Putin, der Poser
20. Mai 2008Putins Haare sind nass von dem türkisfarbenen Wasser, in dem er schwimmt. Zwei Delfine schlängeln sich um ihn herum: Einer knabbert am Präsidenten-Ohrläppchen, der andere stupst an sein Kinn. Putin schafft bei so viel Tierliebe gerade noch den Blick in die Kamera. Das ist nur eines von 330 Fotos in dem neu erschienen Bildband "Wladimir Putin. Die besten Fotos". Obwohl Wladimir Putin immer noch jeden Tag im Fernsehen zu sehen ist, Flughafenterminals eröffnet oder Filmsets besucht, befand der Kreml: Es ist Zeit zurückzuschauen auf acht Putin-Jahre. So durften 33 im Kreml akkreditierte Fotografen in ihren Archiven wühlen.
Sonnenbrille und Designeranzug
Der großformatige Bildband wurde zur besten Sendezeit auf dem ersten Fernsehkanal vorgestellt. Am nächsten Tag kam er in den Verkauf, für umgerechnet rund 15 Euro. Der gesamte Erlös, das haben die Autoren entschieden, soll an einen Fond für Kinder in Not gehen. Käufer wird der Bildband wohl genug finden, denn er zeigt all die Seiten, die die Russen, die sich in der Vergangenheit bisweilen für so manchen überalterten, halb-senilen Staatschefs schämen mussten, an Putin so lieben: Putin mit bloßem Oberkörper und Gewehr. Putin mit lässigem Designeranzug, Sonnenbrille und schwarzem Labrador zu Füßen. Putin mit Schlapphut auf einem rassigen Rappen. Putin als großer Staatsmann mit anderen Regierungschefs. Meist ernst, mal lächelnd, immer souverän.
Als westlicher Betrachter reibt man sich bei so viel offen zur Schau gestelltem Personenkult die Augen. Aber beim Durchblättern des Buches muss man eingestehen: Der Mann ist einfach fotogen. Es fällt schwer, sich einen so unterhaltsamen Bildband mit deutschen Präsidenten oder Regierungschefs vorzustellen. Denn kaum einer liebt und nutzt die große Pose so wie Putin es tut. Kritische Journalistenfragen mag er zwar nicht leiden. Den Fotografen-Pulk aber, der ihn umgibt, nimmt er schon mal vor verärgerten Staatsbeamten und Bodyguards in Schutz: "Rührt sie nicht an, sie machen eine wichtige und nützliche Arbeit", hat er laut der Kreml-Fotografin der Zeitung "Iswestija" einmal gesagt.
Jung und schüchtern
Ein Highlight des Bildbandes, vor allem für Ausländer, die nicht seit Putins Amtsübernahme in Russland leben, sind die beiliegenden DVDs. Nach Datum oder Ereignis sortiert, kann man weitere tausend Fotos aus älteren Putin-Zeiten suchen, sowie banale Glückwunschtelegramme und geschichtsträchtige Reden lesen – und viele davon sogar als Video anschauen.
So zum Beispiel die Neujahrsrede, die Putin am 31. Dezember 1999 hielt, kurz nachdem Boris Jelzin vorzeitig als Präsident zurückgetreten war. Dort spricht nicht nur ein junger, sondern auch ein schüchterner Putin. Fast während der ganzen Rede hält er die Hände unter dem Tisch versteckt, sitzt nicht frontal, sondern seitlich am Tisch - als wollte er gleich weglaufen. Dann klickt man sich acht Jahre weiter, zum Konzert auf dem Roten Platz nach den Präsidentschaftswahlen am 2. März 2008: Putin schreitet über den Kreml-Platz, lässt sich auf der Bühne feiern; der eben gewählte Medwedew neben ihm fällt kaum auf. "Wow", denkt man und merkt plötzlich wie leicht es ist, dem multimedialen Personenkult um diesen Mann zu verfallen.