Putin: 20 Jahre und kein Ende
25. März 2020Wenn es um Wladimir Putin geht, läuft in staatlichen russischen Medien selten etwas schief. Doch genau das geschah in diesen Tagen mit einem Videointerview anlässlich seiner ersten Wahl zum Präsidenten vor genau 20 Jahren am 26. März 2000. Die Nachrichtenagentur TASS setzte ihre tägliche Jubiläumsreihe "20 Fragen an Putin" kurz vor dem geplanten Finale überraschend aus. Die letzten drei von insgesamt 20 Folgen werde man später ausstrahlen, hieß es. Grund sei eine veränderte Nachrichtenagenda, ein "perfekter Sturm", ausgelöst durch die Corona-Pandemie und die dadurch noch weiter verstärkten wirtschaftlichen Turbulenzen.
Immer mehr Russen machen sich Sorgen wegen der Ausbreitung des Coronavirus, die in Russland zunächst lange verharmlost wurde. Die gleichzeitige Abwertung des Rubels, beschleunigt durch den Preiskampf mit Saudi Arabien auf dem Ölmarkt, verstärkt den Druck auf die heimische Wirtschaft. Der Kontrast zwischen dem sichtbar gut gelaunten Kremlchef und der Krisenstimmung im Land war den Machern der Interviewreihe vielleicht zu groß. Der Abbruch überrascht umso mehr, wenn man bedenkt, dass in einer der letzten Folgen über Russlands derzeit zentrales politisches Thema gesprochen werden sollte - Putins Verfassungsreform.
KGB-Offizier aus Leningrad wird Präsident
Der 67-jährige ehemalige KGB-Offizier aus Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, bestimmt Russlands Schicksal seit über zwei Jahrzehnten. Er stieg in den 1990-er Jahren auf und wurde zunächst stellvertretender Bürgermeister seiner Heimatstadt, dann Chef des Geheimdienstes FSB (Nachfolger des KGB) und schließlich Ministerpräsident.
Dem früheren Präsidialamtschef unter Boris Jelzin, Valentin Jumaschew, sei er als eine "starke Figur" aufgefallen. "Bei unseren Sitzungen hat er alles absolut genau formuliert, er hatte eine hervorragende Analysefähigkeit und vernünftige Ideen", erinnerte sich Jelzins Schwiegersohn Jumaschew in einem DW-Interview. Deshalb habe er damals zusammen mit anderen dem gesundheitlich angeschlagenen Jelzin empfohlen, Putin Ende Dezember 1999 zu seinem Nachfolger und Interimspräsidenten zu ernennen, so Jumaschew.
Seitdem wurde Putin vier Mal zum Präsidenten gewählt. Im Inneren setzte er auf Staatskapitalismus, erklärte Patriotismus zur Ideologie, investierte Milliarden in die Armee, ließ das Fernsehen gleichschalten und Oppositionelle verfolgen.
Auf der Weltbühne setzte Moskau zunächst die prowestliche Politik Jelzina fort, ging aber dann zur Konfrontation über. Zu Beginn seiner Amtszeit führte Putin Krieg im Inland, in der abtrünnigen Kaukasus-Republik Tschetschenien. Später folgten Waffeneinsätze in Georgien, der Ukraine und Syrien.
Russland habe sich unter Putin stark gewandelt, sagt sein früherer Wirtschaftsberater Andrej Illarionow. Zunächst habe es ein schnelles Wachstum der Wirtschaft und des Wohlstands gegeben, was nicht nur mit hohen Preisen für Öl, Russlands wichtigstes Exportgut, zu tun hatte, sondern auch mit Reformen. "Seit 2014 - dem Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine, der Annexion der Krim - ist klar: Es ist eine Rezession, aus der wir nicht mehr herauskommen", so Illarionow gegenüber der DW.
Kurzes Bröckeln
Weil die russische Verfassung bisher nur zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten für Präsidenten vorsah, wechselte Putin 2008 in den Sessel des Regierungschefs. Seine Macht bröckelte nur einmal, im Winter 2011/2012, kurz vor seiner Rückkehr in den Kreml. Damals gingen in Moskau rund 100.000 Menschen auf die Straßen, die Putins zunehmend autoritäre Herrschaft ablehnten. Die Regierung reagierte mit schärferen Gesetzen und Einschränkungen der Versammlungsfreiheit.
Putins jetzige Amtszeit als Kremlchef endet 2024 und wäre laut bisheriger Verfassung seine letzte. Doch im Januar stieß der Präsident überraschend eine umfassende Verfassungsreform an. Sie sieht eine Reihe sozialer und ethischer Veränderungen vor: So sollen etwa der Mindestlohn, die jährliche Rentenanpassung oder der Gottesbezug in der Verfassung verankert werden. Vor allem aber ist vorgesehen, die Macht des Präsidenten auszubauen.
Kernstück ist der Plan, die Amtszeiten des Präsidenten neu zu zählen. Damit könnte Putin für zwei weitere sechsjährige Amtsperioden kandidieren und bis 2036 regieren. Das Vorhaben wurde vom Parlament im Rekordtempo beschlossen und vom Präsidenten unterzeichnet.
Zum Abschluss war geplant, es am 22. April dem Volk vorzulegen, ohne dass dies eine rechtlich bindende Abstimmung geworden wäre. Doch der Zeitplan ist nicht mehr zu halten: In einer Ansprache an das Volk kündigte Putin am Mittwoch eine Verschiebung der Volksabstimmung wegen der Corona-Pandemie an. Ein neues Datum nannte er nicht. Zuvor hatten einige prominente Ärzte, Schriftsteller und Journalisten einen Appell unterzeichnet, in dem unter anderem eine Verschiebung gefordert wurde, um "italienische Verhältnisse" zu vermeiden.
Putins Verfassungsreform als "Stunde Null"?
Kritiker wie der Moskauer Wirtschaftsexperte Wladislaw Inosemzew warnen vor der geplanten "Stunde Null" für Putin. "Ich bin mir sicher, dass wir uns von einer normalen Wahldemokratie verabschieden", sagte Inosemzew in einem DW-Gespräch. Putins Verfassungsreform würde einen "legitimen Machtwechsel" unmöglich machen, so der Experte, der einen Appell an den Europarat mitunterzeichnet hatte, die Änderungen zu prüfen.
Der Präsident selbst ließ in der bisher letzten ausgestrahlten Folge seines Interviews für die TASS-Agentur seine eigene Zukunft offen. Er habe "derzeit keine Antwort" darauf, wie genau es mit ihm nach 2024 weitergehen soll. Nur so viel verriet Putin: Das Wichtigste sei "die Stimmung der Mehrheit der Bürger" Russlands.