Megafusion der Problemfälle
31. Oktober 2019Die Fusion von Fiat Chrysler, ein italienisch-US-amerikanisches Gemeinschaftsunternehmen, und dem französische PSA-Konzern sei "richtig und gut", sagte Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer der DW. "Und es wird sehr schnell gehen, denn die Zeit ist knapp", so der Professor für Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen.
"Ein Blinder, der mit einem Einäugigen zusammengeht" - so beschreibt Dudenhöffer die beiden Autokonzerne. Denn im wichtigen Zukunftsmarkt für Elektroautos haben beide nicht viel zu bieten. "Der Einäugige ist PSA", so Dudenhöffer. "Hier gibt es die ersten Elektromodelle, etwa den Opel Corsa und den Peugeot 208, außerdem ein paar Plug-in-Hybride."
Für Fiat Chrysler sei das "die Rettung". Bis zum Jahr 2021-22 brauche der Konzern dringend Elektroautos, um die EU-Regeln für den Schadstoffausstoß von Fahrzeugflotten zu erfüllen. Elektrisch hat Fiat in Europa bisher nichts im Angebot. Doch selbst gemeinsam hinken die beiden hinter der Konkurrenz zurück, Volkswagen sei hier "Lichtjahre" voraus, so Dudenhöffer.
Gute Ergänzung
Trotzdem sei das kein Zusammenschluss der Fußkranken, sagt Stefan Bratzel, Direktor der Center for Automotive Management an der Fachhochschule für Wirtschaft in Bergisch-Gladbach. "PSA-Chef Carlos Tavares hat PSA mit Opel zu einem sehr renditestarkem Konzern gemacht." Jetzt müsse es gelingen, die Synergien zu nutzen und den gesamten Konzern effizienter zu machen. "Sonst bringt die Größe nichts. Es heißt schließlich nicht Survival of the Fattest, sondern Survival of the Fittest", so der Autoexperte zur DW.
Auch wenn Fiat Chrysler im Frühjahr noch mit dem - ebenfalls französischen - Rivalen Renault geflirtet habe, betrachtet Autoanalyst Frank Schwope von der NordLB den PSA-Konzern aufgrund der gemeinsamen Produktionshistorie als den "natürlicheren" Fusionspartner für Fiat Chrysler. "Eine Fusion mit PSA macht absolut Sinn", so Schwope, "und dürfte weit weniger Probleme bereiten, als eine Fusion mit dem Renault-Konzern, der zunächst einmal seine Liaison mit Nissan in den Griff bekommen muss".
Auch Autoexperte Bratzel findet, dass sich die beiden gut ergänzen. "PSA ist völlig vom europäischen Markt abhängig, hier verkaufen sie 80 Prozent ihrer Autos. Durch Fiat Chrysler erhalten sie Zutritt zum US-Markt." Für den fusionierten Konzern sei es ein großer Vorteil, die "Dynamik der verschiedenen Marktregionen" ausgleichen zu können. Der wichtige chinesische Markt bleibe allerdings ein Problem. "In China läuft es bei PSA schlecht und Fiat Chrysler ist dort fast gar nicht vertreten", so Bratzel.
Nummer Vier weltweit
Durch den Deal soll der weltweit viertgrößte Auto-Hersteller entstehen mit einem angestrebten Absatz von 8,7 Millionen Fahrzeugen pro Jahr. Größer als der neue Autoriese wären nur noch Volkswagen, Toyota und der französisch-japanische Renault-Nissan-Verbund - alle drei Konkurrenten verkaufen jeweils mehr als 10 Millionen Fahrzeuge pro Jahr.
Wie Fiat Chrysler und PSA mitteilten, käme ein fusionierter Konzern auf einen Jahresumsatz von 170 Milliarden Euro und einen jährlichen Betriebsgewinn von mehr als 11 Milliarden Euro. Jährlich ließen sich mit einer Fusion Synergien in Höhe von 3,7 Milliarden Euro realisieren, ohne eine Fabrik im Zuge des Deals zu schließen, teilten die Konzerne mit. Die Effizienzgewinne, die sich etwa aus Einsparungen beim gemeinsamen Einkauf ergäben, ließen sich bereits nach vier Jahren zu 80 Prozent erzielen.
Hohe Anfangsinvestitionen
Allerdings wird die angepeilte Fusion auch viel Geld kosten: PSA und Fiat Chrysler rechnen mit einmaligen Kosten von 2,8 Milliarden Euro. Die Schließung von Fabriken sei aber nicht Basis der Synergie-Schätzungen, betonten sie. Angestrebt wird ein Zusammenschluss "unter Gleichen" mit einem ausgewogen besetzten Vorstand unter Führung von PSA-Chef Carlos Tavares als Vorstandsvorsitzendem.
Der Fiat Chrysler-Verwaltungsratsvorsitzende John Elkann - Enkel des langjährigen Fiat-Bosses Giovanni Agnelli - würde diese Rolle auch bei dem neuen Unternehmen einnehmen. Laut "Wall Street Journal" sind Fiat Chrysler und PSA an der Börse zusammen rund 50 Milliarden Dollar (45 Milliarden Euro) wert.
Die bisherigen Aktionäre der beiden Unternehmen sollen zu je 50 Prozent am neuen Konzern beteiligt werden, der unter einer niederländischen Mutter geführt werden soll. "Das Zusammengehen bringt bedeutenden Wert für alle Anteilseigner und eröffnet dem kombinierten Unternehmen eine glänzende Zukunft", so Tavares.
Harte Zeiten für Opel
PSA führt neben Opel die Marken Peugeot, DS und Citroën. Fiat Chrysler hat die Marken Alfa Romeo, Chrysler, Dodge, Jeep, Lancia oder Maserati unter seinem Dach. Opel gehört seit gut zwei Jahren zu PSA und wird mit harter Hand auf Effizienz und Gewinne getrimmt.
"Der Wettbewerb würde innerhalb eines fusionierten Großkonzerns noch härter werden", sagt Autoexperte Bratzel. "Es geht dann um die Verteilung von Investitionen und die Frage, an welchen Standorten welche Fahrzeuge produziert werden." Für Opel werde es verstärkt um die Frage gehen, welche Kompetenzen die Marke im Gesamtkonzern aufbauen darf.
Die Gewerkschaft IG Metall besteht angesichts der geplanten Fusion auf der Eigenständigkeit der Rüsselsheimer Marke. Dafür werde sich die Gewerkschaft einsetzen, erklärte Jörg Köhlinger, Bezirksleiter des IG Metall-Bezirks Mitte. An Spekulationen über mögliche negative Folgen einer Fusion für die Opel-Standorte beteilige sich die IG Metall nicht. "Sie sind kontraproduktiv und schädlich". Köhlinger verwies aber auf den 2018 mit Opel ausgehandelten Tarifvertrag, der betriebsbedingte Kündigungen bis zum 31. Juli 2023 ausschließt.
Autoexperte Dudenhöffer hält die Position der Gewerkschaft für naiv. "Die Gewerkschaften hätten schon vor drei Jahren tätig werden können, sie haben es vermasselt und stehen jetzt mit Rücken zur Wand", sagte er zur DW. "Auf Opel kommen harte Zeiten zu. Der Sparkurs geht weiter, und es werden auch Jobs abgebaut. Der neue Konzern braucht Einsparungen, es gibt drei Entwicklungszentren und viel zu viele Motorenwerke."
Unterstützung aus Paris
Frankreich begrüßt die Fusionspläne von PSA und Fiat Chrysler. Am Ende könnte ein Konzern mit rund 400.000 Mitarbeitern stehen, erklärte der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire in Paris. Die beabsichtigte Fusion sei eine Antwort "auf die Notwendigkeit für die Autobranche, sich zu konsolidieren", erklärte der Minister. "Frankreich muss stolz sein auf seine Autoindustrie, die ihre Fähigkeit zur Forschung und zur technischen Erneuerung unter Beweis gestellt hat", so Le Maire.
Frankreich hält über eine Förderbank 12,23 Prozent der Anteile von PSA und 9,75 Prozent der Stimmrechte. Weitere große Anteilseigner sind die Peugeot-Familie und der chinesische Hersteller Dongfeng.
In der Branche wird immer wieder auf die besonderen Probleme von Fiat Chrysler hingewiesen. Der Hersteller hatte unter der Führung des mittlerweile verstorbenen Sergio Marchionne auf große Investitionen in Elektroantriebe verzichtet. Derzeit ist der Konzern vor allem mit den großen Spritschluckern der Marken Jeep und Ram in den USA erfolgreich. Das hilft in Europa aber nicht beim Einhalten von CO2-Zielen spätestens ab 2021. Im Heimatkontinent von Fiat verliert der Konzern Marktanteile und schrammte zuletzt nur haarscharf an einem operativen Verlust vorbei.