Italien: Berlusconi steht wieder zur Wahl
6. Januar 2022Wirklich? Silvio Berlusconi? Ja, der ehemalige Regierungschef Italiens, dem etliche Skandale und Gerichtsprozesse anhaften, will es noch einmal wissen. Mit 85 Jahren kandidiert er für das höchste Amt. Er will Staatspräsident von Italien werden. Als Termin für den ersten Wahlgang wurde in dieser Woche der 24. Januar festgelegt.
"Ich denke, Silvio Berlusconi kann nützlich sein für das Land", sagte der in Italien "Cavaliere" ("Ritter") genannte greise Konservative über sich selbst. "Ich würde nicht nachgeben und tun, was mein Land braucht." Anfang Dezember schickte Berlusconi ein Bild seines durch Schönheitsoperationen gestrafften Gesichts an die Parlamentsabgeordneten in Rom und legte eine Sammlung seiner schönsten Reden bei.
Das wurde in Italien als der Startschuss für einen diskreten Wahlkampf um das Präsidentenamt gewertet. Viele Beobachter in den zahlreichen Talkshows im italienischen Fernsehen räumen dem Ritter, der immerhin wegen Steuerbetrugs verurteilt wurde, nur Außenseiter-Chancen ein. Aber Berlusconi wird von den Rechtspopulisten Matteo Salvini und Giorgia Meloni unterstützt. Meloni, die die ultrarechten Brüder Italiens (Fratelli d'Italia) anführt, positionierte sich vor Weihnachten eindeutig: "Wir wollen einen Patrioten. Berlusconi ist einer. Draghi nicht."
Draghi: Will er oder will er nicht?
Mit Mario Draghi spricht Giorgia Meloni den wahrscheinlich aussichtsreichsten Kandidaten an. Der derzeitige Premierminister, der eine erfolgreiche und überraschend stabile Technokraten-Regierung anführt, genießt in Italien und in Europa hohes Ansehen. Das Problem: Er hat sich noch nicht erklärt. Sich selbst zu bewerben, ist bei der Präsidentenwahl verpönt. Nur Berlusconi hatte da kein Scheu. Mario Draghi, dem 74 Jahre alten ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, werden zwar Ambitionen nachgesagt, aber ohne ihn an der Spitze würde die Regierung wohl bald zusammenbrechen. Im Parlament wird die Regierung von einer untypischen nationalen Einheitskoalition getragen, der außer den rechten Brüdern Italiens von Giorgia Meloni alle Parteien angehören.
Diese Mehrheit würde zerbröseln, glaubt Lutz Klinkhammer, Italien-Experte am Deutschen Historischen Institut in Rom. Die Regierung sei hauptsächlich im Amt, um die 200 Milliarden Euro an Investitionen und Hilfsgeldern aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der Europäischen Union sinnvoll zu verteilen, so Klinkhammer im DW-Gespräch. "Ohne die Gelder aus Brüssel wäre diese große Koalition nicht zustande gekommen. Und sie ist ja auch wackelig. Das wissen wir. Deshalb sehe ich große Schwierigkeiten. Ich glaube nicht an die Stabilität dieser Regierung, wenn Draghi zum Staatspräsidenten gewählt werden sollte."
Neuwahlen könnten die Folge sein - und im Ergebnis vielleicht eine rechtspopulistische, europaskeptische Regierung. Doch wenn Italiens wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie scheiterte, würde das unweigerlich auch die übrigen EU-Staaten in Mitleidenschaft ziehen.
"Wahl ist mehr als ein Ritual"
Enrico Letta, Chef der Sozialdemokraten in Italien, meint deshalb, es sei viel besser, wenn Mario Draghi bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2023 Regierungschef bliebe und sein Reformprogramm durchziehe. "Italien ist nach wie vor das schwächste Glied in der Eurozone, was bedeutet, dass die italienische Politik und die dahinterstehenden Entscheidungsträger für das Überleben und den Wohlstand der EU in den kommenden Jahren entscheidend sein werden", schrieben Nouriel Roubini, Ökonom und Finanzberater aus New York, und Brunello Rosa von der Wirtschaftsuniversität Bocconi in Mailand in einem gemeinsamen Kommentar für eine sozialdemokratische Zeitschrift.
"Sollten populistische Parteien angesichts der bereits hohen Schulden und Defizite wieder an die Macht kommen, könnte Italiens Mitgliedschaft in der Eurozone in Frage gestellt werden. Dies hätte alle Arten von Marktverwerfungen zur Folge", so Roubini und Rosa. Die bevorstehende italienische Präsidentschaftswahl sei alles andere als ein bloßes Ritual und könne nicht folgenreicher sein.
Anders als der deutsche Bundespräsident hat der italienische Staatspräsident während politischer Krisen entscheidenden Einfluss. Er kann den Regierungschef oder die -chefin ernennen und muss die Kabinettsliste billigen. Außerdem kann er das Parlament auflösen. Mit diesen Befugnissen ausgestattet hat der scheidende Amtsinhaber Sergio Mattarella seinen Freund Mario Draghi vor einem Jahr als Premier installiert und eine Regierungskrise beendet. Es könnte sein, dass Draghi diesen Posten als oberster Strippenzieher in den kommenden sieben Jahren gerne einnehmen würde. Mit einem ihm genehmen Premier könnte er Italien lange führen. Allerdings ist unklar, ob das Parlament, das im nächsten Frühjahr gewählt wird, da mitspielen würde. Draghi merkte dazu nur an, er sei ein erprobter Diener seines Staates. "Mein eigenes Schicksal spielt keine Rolle", so Draghi in einer Pressekonferenz.
"Wie bei der Papstwahl"
Nicht ganz klar sind auch die Mehrheitsverhältnisse im Gremium der 1009 Wahlleute, die am 24. Januar über den neuen Präsidenten abstimmen werden. Den Wahlvorgang selbst vergleicht Lutz Klinkhammer vom Deutschen Historischen Institut wegen seiner komplexen Regeln mit der Wahl eines anderen hohen Amtes, die in Rom stattfindet.
"Das ist wie bei der Papstwahl. Die Mehrheit der Volksvertreter soll in diesem Konklave den Würdigsten ausfindig machen", sagt Lutz Klinkhammer. Es gibt keine Wahlzettel mit aufgedruckten Kandidatennamen. Jeder Abgeordnete, Senator oder Vertreter einer Region muss einen Namen per Hand vollständig aufschreiben. Theoretisch kann also jeder Name niedergeschrieben werden. Erreicht niemand in den ersten drei Wahlgängen eine Zweidrittelmehrheit, ist in folgenden Wahlgängen nur noch eine absolute Mehrheit notwendig. Das Verfahren kann dauern. 1972 waren 23 Urnengänge nötig, bis für den Kandidaten Giovanni Leone eine Mehrheit zustande kam. Sergio Mattarella brauchte vor sieben Jahren vier Wahlgänge.
Am vergangenen Wochenende haben Kulturschaffende öffentlich ein Ende des Postenschachers unter alten Männern gefordert. Sie brachten zwei Frauen als Kandidatinnen ins Spiel: Justizministerin Marta Cartabia und ihre ehemalige Kollegin Paola Severino. Sie haben genauso wie der nicht klein zu kriegende Silvio Berlusconi wohl nur Außenseiter-Chancen. Aber wie schrieb die britische Zeitschrift "The Economist" in einem Kommentar zur italienischen Innenpolitik: "Es ist unwahrscheinlich, aber schon seltsamere Dinge sind passiert."