Wahlkampf-Ende
29. September 2006"Nach der Telenovela Páginas da Vida die Debatte der Präsidentschaftskandidaten" - der Programmhinweis des größten Fernsehsenders Brasiliens, Globo, stellt klar, wie die Prioritäten verteilt sind: erst die Telenovela, dann die Politik.
Staatspräsident Luiz Inácio "Lula" da Silva von der Arbeiterpartei PT (Partido dos Tabalhadores) tat am letzten Tag des Wahlkampfs sein Übriges dazu, auch die Politik zur Telenovela zu machen. Als er im Präsidenten-Jet am Abend vom Flughafen in Brasília abhob, war das Ziel noch unklar: Rio, um an der Fernsehdebatte teilzunehmen, oder São Bernardo do Campo bei São Paulo, um dort seine letzte Wahlkampfrede zu halten?
"Politische Feigheit"
Dreieinhalb Stunden vor Beginn der Debatte sagte Lula schließlich ab. Sein Stuhl im Globo-Fernsehstudio in Rio blieb leer. Die drei Gegenkandidaten dagegen waren alle erschienen. Heloísa Helena, Präsidentschaftskandidatin der Linkspartei P-SOL (Partido Socialismo e Liberdade) kritisierte Lula scharf: "Er muss von seinem Thron der Korruption herunterkommen, von seiner Arroganz, seiner politischen Feigheit. Er müsste hier sein, um dem brasilianischen Volk zu antworten."
Das Thema Korruption dominierte die Debatte. In den vergangenen Jahren war unter anderem bekannt geworden, dass Lulas Arbeiterpartei PT den letzten Wahlkampf illegal finanziert hatte. Außerdem soll sie Abgeordneten monatlich Geld überwiesen haben, damit diese für Regierungsvorlagen stimmten.
"Korruption gegen die Demokratie"
Cristovam Buarque von der PDT (Partido Democrático Trabalhista) meinte an die Adresse des abwesenden Präsidenten: "Bei so einer Debatte zu fehlen, das ist eine Art Korruption - eine bei der kein Geld geklaut wird, sondern bei der Hoffnung gestohlen wird. Das bedeutet, den Wählern keine Chance zu geben herauszufinden, wen sie wählen sollen. Das verhindert, hier eine Debatte zu führen. Das Fehlen von Lula ist ein Akt der Korruption gegen die Demokratie."
Während der Fernsehdebatte erinnerte Geraldo Alckmin vom PSDB (Partido da Social Democracia Brasileira) an den jüngsten Skandal, bei dem Mitarbeiter Lulas ein Dossier mit belastendem Material gegen die Opposition gekauft haben sollen: "13 Tage ist es her, dass 1,7 Millionen Bargeld gefunden wurden - in Dollar und Reais. Bis heute sagt uns die Regierung nicht, wem die Konten gehören, wie die Dollars ins Land gekommen sind und von wem das Geld stammt."
Kandidaten-Internetseiten offline
Ab Freitag (29.9.2006) sind nach brasilianischem Recht öffentliche Auftritte der Kandidaten verboten. Sogar ihre Internetseiten mussten bereits abgeschaltet werden. Die Wahlwerbung in Fernsehen und Radio ging ebenfalls am Donnerstag zu Ende.
Am Sonntag (1.10.2006) werden 125 Millionen wahlberechtigte Brasilianer entscheiden, wer der neue Präsident wird. Nach den letzten Umfragen der renommierten Institute Ibope und Data Folha liegt Lula bei etwa 48 Prozent der Stimmen. Geraldo Alckmin kommt auf etwa 32 Prozent, Heloísa Helena auf 8 Prozent. Da ungültige Stimmen sowie Enthaltungen nicht zählen, könnte Lula damit bereits in der ersten Runde eine absolute Mehrheit und folglich die Wiederwahl erreichen.
Die Wahlbeteiligung wird mit Sicherheit sehr hoch ausfallen, da in Brasilien bis zum Alter von 69 Jahren Wahlpflicht besteht. Wer nicht wählen geht und sich nicht entschuldigt, muss mit empfindlichen Strafen rechnen.