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Prozess nach dem Weltrechtsprinzip

Hilke Fischer18. Februar 2014

Vor 20 Jahren soll ein Bürgermeister in Ruanda ein Massaker befohlen haben - dafür verurteilte ihn nun das Oberlandesgericht Frankfurt zu 14 Jahren Haft. Die Anwälte hätten den Prozess lieber in Afrika geführt.

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Ex-Bürgermeister aus Ruanda wegen Völkermordes vor Gericht mit seiner Verteidigerin
Bild: picture-alliance/dpa

Im schlichten Sitzungssaal des Frankfurter Oberlandesgerichts wurde das Grauen vom 11. April 1994 immer wieder lebendig: Zeugen aus Ruanda schilderten detailliert, wie sie sich damals in die Kirche im Dorf Kiziguro geflüchtet hatten aus Angst vor mordenden Hutu-Milizen. Wie diese die Kirche stürmten und bis zu 1200 Menschen töteten. Wie Überlebende gezwungen wurden, die Toten in einen Brunnenschacht zu werfen und anschließend selbst hineinzuspringen.

Es war ein historischer Prozess, der am Dienstag (18.02.2014) nach drei Jahren zu Ende ging. Zum ersten Mal wurde in Deutschland ein Urteil zum Völkermord in Ruanda gefällt . 1994 metzelten binnen 100 Tagen radikalisierte Hutu drei Viertel der Tutsi-Minderheit und viele gemäßigte Hutu nieder. 20 Jahre später wurde Onesphore Rwabukombe in Frankfurt für seine Mitwirkung an dem Morden zu 14 Jahren Haft verurteilt. Der ehemalige Hutu-Politiker und Bürgermeister von Kiziguro soll das Massaker in Kiziguru mit organisiert, befehligt und überwacht haben.

Foto: Marius Becker dpa/lhe
Der Angeklagte Onesphore Rwabukome hatte alle Vorwürfe abgestrittenBild: picture-alliance/dpa

Schlüsselrolle Bürgermeister

Völkermord kann überall auf der Welt geahndet werden. Es gehört zu den Verbrechen, auf die das so genannte Weltrechtsprinzip angewandt wird. Seit 2002 lebt der 56-jährige Rwabukombe in Deutschland, seit 2010 befindet er sich in Untersuchungshaft. Die Generalbundesanwaltschaft hatte lebenslange Haft gefordert. Dieter Magsam vertritt als Nebenkläger die Opfer: "Es gibt 15 Zeugen, die die Anwesenheit des Angeklagten bei dem Massaker bestätigen. Er hat daran teilgenommen, er hat die Leute mit seinem Amtsauto auf das Kirchengelände gefahren." Diese sollen dann mit Macheten, Beilen und Hacken die Kirche gestürmt haben.

Die Anklage stützt sich vor allem auf Aussagen von Zeugen. Viele von ihnen ließ das Gericht extra nach Deutschland einfliegen. Andere, die in Ruanda in Haft sitzen, wurden per Videoschaltung in den Frankfurter Gerichtssaal geholt. "Wir sind der Meinung, dass die Zeugenaussagen alle davon geprägt waren, den Angeklagten allein deshalb zu belasten und ihn für schuldig zu halten, weil er Bürgermeister war, also eine damalige Autoritätsperson", sagt Natalie von Wistinghausen, eine von Rwabukombes Anwältinnen. Sie und ihre Kollegin Kersten Woweries hatten deshalb einen Freispruch gefordert.

Völkermord Gedenkstätte Nyamata in Ruanda Foto: AP Photo/Sayyid Azim
Auch nach 20 Jahren ist die Erinnerung an den Genozid in Ruanda lebendigBild: picture alliance/AP Photo

In Ruanda selbst hätte Rwabukombe aus genau diesem Grund kein faires Verfahren bekommen, glaubt Gerd Hankel. Der Ruanda-Experte hat den Prozess als Sachverständiger begleitet und bereits an vielen Verfahren in Ruanda teilgenommen. "Da ist häufig leider entscheidend gewesen, wie das Vorverständnis ist." Nämlich, dass jeder, der zu Zeiten des Völkermords der politischen Elite im Land angehörte, zu den Strippenziehern des Völkermordes gehört.

Neuland für die deutsche Justiz

Konnte die deutsche Justiz darüber neutral urteilen? "Das Hauptproblem dabei ist, dass sich ein deutsches Gericht mental nach Ruanda bringen muss", so Hankel. Richterinnen und Richter, die sich bisher gar nicht mit dem Land beschäftigt hätten, müssten sich intensiv mit dem großen historischen Kontext, in dem der Völkermord geschehen ist, auseinandersetzen, mit der Mentalität, mit Fragen der Glaubwürdigkeit von Belastungs- oder Entlastungszeugen. "Alles das ist natürlich für Richterinnen und Richter in Deutschland völlig neu, das ist eine Wahnsinnsarbeit und natürlich ein Einfallstor für alle möglichen Formen der gezielten oder weniger gezielten Desinformationen."

So musste sich das Gericht etwa mit dem Verdacht auseinandersetzen, die ruandische Regierung könne versucht haben, Zeugen zu beeinflussen. Der Präsident des Landes, Paul Kagame, ist Tutsi. Seiner Rebellenarmee gelang es im Juli 1994, den Völkermord zu beenden und die Macht im Land zu übernehmen. Kagame führt das Land autokratisch, wer seine Politik oder die offizielle Geschichtsschreibung öffentlich anzweifelt, läuft Gefahr inhaftiert zu werden.

Verurteilung wegen Massaker in Ruanda

Hinzu kamen in Frankfurt praktische Schwierigkeiten, etwa die Kommunikation mit den ruandischen Zeugen: "Es war immer ein Thema in diesem Verfahren, das gesagt wurde, der Ruander antwortet auf Fragen entsprechend der Erwartungshaltung des Befragers", so Verteidigerin von Wistinghausen. "Zum Beispiel hieß es immer wieder, die Zeugen haben unseren Mandanten vorher nicht erwähnt, weil sie nicht nach ihm gefragt wurden." Um solche Herausforderungen zu meistern, sei mehr sachverständige Begleitung erforderlich. In Deutschland gebe es jedoch niemanden, der etwas zur ruandischen Kommunikationskultur hätte sagen können, so von Wistinghausen. "Letztendlich hat sich da jeder so seinen eigenen Reim darauf gemacht."

Intensivere Vorbereitung notwendig

In einem Punkt waren sich Verteidigung und Nebenklage einig: Deutschland sei nicht der richtige Ort, um über Verbrechen zu urteilen, die sich in Ruanda zugetragen haben. "Unser System - mit der wenigen Erfahrung, die es hat - ist einfach nicht dafür geeignet, den Sachverhalt sauber aufzuklären. Auch wenn alle sich viel Mühe gegeben haben", so Rwabukombes Anwältin von Wistinghausen. Sie verweist auf den Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda, der im Nachbarland Tansania speziell zur Aufarbeitung des Genozids eingerichtet wurde. Auch Opfer-Vertreter Magsam hätte den ehemaligen Bürgermeister am liebsten in Ruanda vor Gericht gesehen.

Der Sachverständige des Prozesses, Gerd Hankel, ist da optimistischer. Er traut der deutschen Justiz zu, derartige Prozesse zu meistern. Sein Verbesserungsvorschlag: Das Gericht hätte sich von Anfang an noch stärker mit Ruanda beschäftigen sollen: "Die Richterinnen und Richter hätten in das Land fahren sollen. Um sich Tatorte anzugucken, um sich mit den Ruandern zu unterhalten, um zu sehen, wie ist das Leben dort ist." Anlässe, diese Lehren aus dem Frankfurter Prozess umzusetzen, gibt es bereits: Auch in Stuttgart und Düsseldorf laufen Prozesse gegen mutmaßliche Hutu-Extremisten und ihre Unterstützer.