Prozess gegen Edathy unterbrochen
23. Februar 2015Um kurz nach zehn Uhr betritt Sebastian Edathy, 45 Jahre alt, den Verhandlungssaal 104 im Landgericht Verden. Dunkelgrauer Anzug, weißes Hemd, blaue Krawatte: Äußerlich wirkt der Angeklagte unberührt, Publikum und Journalisten würdigt er zunächst mit keinem Blick. "Zurzeit ohne Beschäftigung", antwortet er lapidar, als Richter Jürgen Seifert ihn nach seinem Beruf fragt. Tatsächlich hält sich Edathy offenbar zumeist im Ausland auf, von Marokko ist die Rede in den Medien. Braungebrannt jedenfalls ist er.
Sein Sturz ist beispiellos in der jüngeren politischen Geschichte des Landes: Der SPD-Politiker, Innenexperte, Vorsitzender des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur Terrorgruppe NSU ist zunächst ein aufstrebendes Talent. Aber 2014 gibt er sein Mandat plötzlich zurück. Seine Büros und Wohnungen werden durchsucht. Die Ermittlungen ergeben: Edathy soll sich Bild- und Videomaterial mit Kindern und Jugendlichen aus dem Netz besorgt haben - von einer Firma aus Kanada, außerdem auf einem Computer des Bundestages. Er selbst räumt Fehler ein, aber strafbares Material habe er sich nicht besorgt.
"Wir sind hier nicht in der Talkshow"
Die Staatsanwaltschaft Hannover sieht das anders: In sieben Fällen - so Staatsanwalt Thomas Klinge - soll sich Edathy zwischen November 2013 und Februar 2014 "kinderpornografische Schriften" aus dem Internet heruntergeladen haben. Und bei einer Durchsuchung von Edathys Wohnung in Rehburg-Loccum im Frühjahr 2014 wurde jugendpornografisches Material gefunden, Filme und Bücher also: "Boys in ihrer Freizeit", so soll ein Titel lauten, Erwachsene sind darauf beim Sex mit Jugendlichen zu sehen.
Bevor die Verhandlung darüber, was nun stimmt oder nicht, so richtig beginnt, wird der Prozess bis Anfang März vertagt. Staatsanwalt Thomas Klinge und Edathys Anwalt Christian Noll streiten sich um eine mögliche Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schwere der Vorwürfe. Noll hatte immer wieder um ein Gespräch darüber gebeten, der Staatsanwalt will erst ein Zeichen der Reue von Edathy. So sehr fliegen die Worte zwischen Verteidiger und Staatsanwalt hin und her, dass der Richter Jürgen Seifert mahnt: "Wir sind hier nicht in der Talkshow."
100 Morddrohungen
Gründe für eine Einstellung gäbe es tatsächlich. Selbst die Anklagebehörde geht von einer nur geringen Schuld aus: wenige Einzelfälle, Material offenbar an der Grenze zwischen legal und strafbar. Das Landgericht selbst räumt ein, es habe den Fall wegen des großen öffentlichen Interesses übernommen, weniger wegen der Schwere der Tat. Und dem Angeklagten Edathy spielt auch in die Hände, was in den letzten Tagen bekannt wurde: Der Celler Oberstaatsanwalt Frank Lüttig, der maßgeblich an den Ermittlungen gegen Edathy beteiligt war, soll wichtige Akten an die Presse weitergegeben haben. Für Edathys Anwalt Noll ist das ein klarer Fall von Vorverurteilung. Ein faires Verfahren sei deshalb kaum noch möglich, meint er.
Edathy selbst folgt den Ausführungen seines Anwalts äußerlich gelassen. Aber Noll deutet an, wie es seinem Mandanten wohl wirklich geht: In den Medien stehe Edathy seit einem Jahr am Pranger. Rund 100 Morddrohungen habe er erhalten. Es sei ihm nicht mehr möglich, in Deutschland zu leben, seine berufliche Karriere sei ruiniert, sein Sozialleben sowieso.
Die Polit-Affäre Edathy
Aber Edathy verhält sich auch nicht sonderlich geschickt: Auf einer Pressekonferenz im vergangenen Dezember in Berlin trat er aufreizend arrogant auf, sprach von Hetze gegen ihn, war sich offenbar keinerlei Schuld bewusst. Bilder mit nackten Kindern und Jugendlichen unterhalb einer rechtlichen Schwelle darf ich mir anschauen, wann immer ich will, soll das wohl heißen: "Was ich in meiner Freizeit mache, geht Sie einen feuchten Kehricht an", fertigte er die Journalisten damals ab.
Jetzt verlässt Edathy nach gut anderthalb Stunden den Gerichtssaal, Ziel unbekannt. Derweil versucht in Berlin ein Untersuchungsausschuss des Bundestages zu ergründen, wann welcher Politiker von den Ermittlungen gegen Edathy erfuhr. Fest steht: Der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU erfuhr davon und unterrichtete die SPD-Spitze. Mit der befand sich seine Partei damals im Herbst 2013 gerade in Koalitionsgesprächen. Friedrich trat zurück, als das bekannt wurde. Edathy wurde dann tatsächlich für kein Regierungsamt vorgeschlagen. Schadensbegrenzung nennt man das wohl. Aber das ist eine andere Bühne.
Bis zu zwei Jahre Haft oder eine Geldstrafe drohen Edathy - theoretisch. Aber tatsächlich gehen alle Beteiligten von einer wesentlich geringeren Strafe aus. Die Staatsanwaltschaft selbst scheint ihre Anklage für nicht so schwerwiegend zu halten, vielleicht stellt sich heraus, dass das Material, das man bei Edathy fand, tatsächlich in Deutschland nicht verboten ist. Edathy wird das wenig helfen: Er ist in Deutschland eine geächtete Person - ganz schuldlos ist er nicht daran.