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Politik

Polen: Rudert die PiS zurück?

31. Oktober 2020

Die polnische PiS-Regierung hat offenbar nicht mit so massiven Protesten gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes gerechnet. Polens Präsident will den Konflikt durch ein neues Gesetz lösen.

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Polen | Proteste gegen Abtreibungsverbot
Roter Blitz als Symbol des Protests (in Warschau): "Wir haben genug"Bild: Omar Marques/Getty Images

Es war der siebte Tag in Folge, an dem in Polen mehrere zehntausend Menschen auf die Straßen gingen, um gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechtes zu demonstrieren: Am Freitag nahmen am "Marsch auf Warschau" nach Angaben des Rathauses der polnischen Hauptstadt rund 100.000 Menschen teil.

Auf vielen Transparenten und auf Gesichtsschutzmasken waren Blitze zu sehen - sie symbolisieren die Wut der Frauen auf die Männer in der Regierung und in der Kirche. "Mein Körper, meine Entscheidung" und "Wir haben genug", war auf Transparenten zu lesen.

An einigen Orten im Stadtzentrum wurden sie von schwarzgekleideten und vermummten Männern angegriffen. Die Polizei nahm über dreißig von ihnen fest und stellte dabei Schlagstöcke und größere Mengen pyrotechnisches Material sicher. Einige Tage zuvor war es bereits in Breslau und Białystok zu Zusammenstößen der Protestierenden mit Fußballfans gekommen. Zum ersten Mal in Polen fanden Proteste auch während Gottesdiensten in Kirchen statt.

Kampf um die Freiheit, das Leben und Polen

Die Forderungen nach einem Rücktritt der Regierung und nach einer Einschränkung der Macht der Kirche werden während der Proteste oft mit Schimpfworten ausgedrückt. Marta Lempart von der Organisation "Allgemeinpolnischer Frauenstreik", die die Proteste koordiniert, hält nichts davon, dass Frauen nett bleiben und keine Schimpfwörter benutzen sollten.

Diese Zeiten seien vorbei, sagte sie in einem Interview mit der Zeitung Gazeta Wyborcza. "Wenn sich jemand gekränkt fühlt, dann möchte ich ihn hiermit informieren, dass es ein Kampf um die Freiheit, um das Leben und um Polen ist", so die 41-jährige Juristin.

Polen Proteste gegen Abtreibungsverbot
Demonstration in Warschau am Freitagabend: "Kampf um die Freiheit, um das Leben und um Polen"Bild: Maciek Jazwiecki/Agencja Gazeta/REUTERS

In den vergangenen Jahren hat sie bereits mehrere "Schwarze Märsche" gegen die Verschärfung des ohnehin schon restriktiven Abtreibungsgesetzes organisiert. Jetzt hofft sie, dass die Frauen endlich gehört werden, auch wegen der Sprache, die für viele Menschen "unangenehm" klinge.

Die PiS und die Moral

Unüberhörbar war es diesmal auch für den Vizepremier und PiS-Chef Jarosław Kaczyński. Im Parlament bezeichnete er die Opposition und die Protestierenden als "Verbrecher", in einem Video auf Facebook rief er seine Anhänger zur Verteidigung der Kirche und der Gotteshäuser auf. Die Morallehre der Kirche sei "das einzige Moralsystem, das allgemein bekannt ist", sagte Kaczyński, der eine Verschärfung des Abtreibungsrechtes seit vielen Jahren befürwortet.

Premierminister Mateusz Morawiecki forderte ein Ende der Massenproteste, die ungeachtet des Corona-bedingten Versammlungsverbotes stattfinden. Denn sie würden die Pandemie weiter befeuern und damit ältere Menschen gefährden, so Morawiecki.

Ein umstrittenes Urteil

Auslöser der Demonstrationen war ein Urteil des Verfassungsgerichts, das die Abtreibung behinderter Föten als Verstoß gegen den in der polnischen Verfassung garantierten Schutz des Lebens einstufte. Künftig wird eine Abtreibung nur noch legal sein, wenn die Gesundheit einer schwangeren Frau bedroht oder ihre Schwangerschaft das Ergebnis einer Straftat ist.

In Polen werden jedes Jahr rund 1000 Schwangerschaftsabbrüche registriert. Doch die Zahl illegaler Abtreibungen liegt Frauenorganisationen zufolge bei weit über 100.000. Die Ursache von 98 Prozent der legal durchgeführten Abtreibungen waren bisher Fehlbildungen des Fötus. Das umstrittene Gerichtsurteil bedeutet also ein fast totales Abtreibungsverbot.

Marta Lempart
Aktivistin Lempart: "Wir sind es, die jetzt den Ton vorgeben"Bild: Privat

Doch das Urteil des Verfassungsgerichts, das mehrheitlich mit PiS-treuen Richtern besetzt ist, wird nicht nur politisch, sondern von Experten auch juristisch in Frage gestellt. Denn die Berufung einiger PiS-treuer Richter 2015 basierte auf einem Gesetz, das damals vom Verfassungsgericht selbst als nicht verfassungskonform bewertet wurde.

Deshalb bezeichnen Kritiker, darunter der polnische Ombudsmann Adam Bodnar sowie prominente Juristen, das Verfassungsgericht inzwischen als "Pseudo"-Gericht. Ähnlich sieht es auch die Aktivistin Marta Lempart. Für sie ist die Gerichtsentscheidung "kein Urteil, sondern eine Erklärung der Gerichtspräsidentin".

Das Urteil soll nach der Veröffentlichung im polnischen Gesetzblatt in Kraft treten; geplant ist das eigentlich für kommenden Montag. Die Regierung ist dazu allerdings nicht verpflichtet. Sie kann auf eine Veröffentlichung des Urteils auch verzichten oder sie zumindest hinausschieben. Von dieser Praxis hat die Regierung schon mehrfach Gebrauch gemacht.

Ein Rettungsring des Präsidenten

Die tagelangen Proteste zeigen, dass sich die PiS mit ihrem Kalkül, die Abtreibungsfrage mit Hilfe des regierungsfreundlichen Verfassungsgerichts zu lösen, offenbar verschätzt hat.

Polen Präsident Andrzej Duda
Staatspräsident Duda: Deeskalation durch liberaleres neues Gesetz?Bild: Filip Radwanski/SOPA Images/picture-alliance

Jetzt will Präsident Andrzej Duda die Lage deeskalieren und schlägt ein neues, liberaleres Gesetz vor. Es ließe einen Schwangerschaftsabbruch zu, wenn es laut medizinischer Diagnose wahrscheinlich ist, dass das Kind tot zur Welt kommt oder wegen seiner Fehlbildungen kurz nach der Geburt sterben würde.

So wäre Abtreibung künftig zum Beispiel nur verboten, wenn die Diagnose auf das Down-Syndrom hinweist, da dies nicht lebensbedrohlich ist. Zuvor hatte Duda gesagt, dass man den Frauen keinen Heroismus abverlangen dürfe, indem man sie zur Geburt unheilbar kranker Kinder zwinge.

Keine Dialogbereitschaft

"Was der Präsident vorschlägt, könnte eine Lösung sein", sagte Regierungssprecher Piotr Müller zu Dudas Vorschlag. Für die Protestierenden wäre sie jedoch nicht akzeptabel, weil sie nach wie vor eine Verschärfung des bestehenden Gesetzes bedeuten würde. Daher, so Müller, werde es wohl "schwierig sein, sich mit einem Teil der Protestierenden zu verständigen".

"Natürlich wird uns die Regierung nicht zum Gespräch einladen. Sie reden mit uns mit Tränengas und mit Polizei auf den Straßen", sagte Marta Lempart am Freitag während einer Pressekonferenz. An diesem Sonntag soll der neue Konsultationsrat des Allgemeinpolnischen Frauenstreiks zum ersten Mal zusammenkommen. Bei dem Treffen steht nicht nur die heikle Abtreibungsfrage auf der Tagesordnung.

Zusammen mit Experten wollen die Aktivistinnen "Pläne für Polen schmieden" und darüber nachdenken, wie man nach dem von der PiS verursachten Chaos "im Lande aufräumen" könne. "Wir sind es, die jetzt den Ton vorgeben", betont Lempart selbstsicher.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau