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Politik

Proteste in Belarus: Ein bisschen Dé­jà-vu

11. August 2020

Ehemalige Aktivisten der ukrainischen Maidan-Bewegung solidarisieren sich mit den Demonstranten in Belarus. Können die Proteste in Kiew vor sechs Jahren ein Modell für Minsk sein? Und sind sie vergleichbar?

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Präsidentschaftswahl in Belarus: Solidaritätsaktion vor der belarussischen Botschaft in Kiew
Solidarität: Ukrainer protestieren vor der belarussischen Botschaft in KiewBild: Olena Lytvynova

Seit der Präsidentschaftswahl am Sonntag gibt es in Belarus andauernde Proteste, die die Polizei brutal unterdrückt. Beobachter ziehen Parallelen zu den Maidan-Protesten in Kiew vor mehr als sechs Jahren, die zu einem Macht- und Politikwechsel in der Ukraine führten. Teilnehmer der damaligen Protestbewegung sehen Unterschiede, aber auch Ähnlichkeiten mit dem Geschehen in Belarus (Weißrussland).

"Die Ereignisse in Belarus, wo mit Gummigeschossen auf Köpfe geschossen wurde und ein Gefangenentransporter in eine Menschenmenge gerast ist, wecken bittere Erinnerungen", so Oleksandra Matwijtschuk von der zivilgesellschaftlichen Initiative Euromaidan-SOS, die den Opfern während der Maidan-Proteste im Winter 2013/14 geholfen hatte. "Solche Gewaltanwendung ist illegal und muss sofort international untersucht werden, damit die belarussischen Sicherheitsbeamten nicht ungestraft davonkommen", betont sie im Gespräch mit der DW.

Belarussen und Ukrainer: Gegenseitige Unterstützung

Mit etwa hundert anderen Aktivisten zog Matwijtschuk am Montagabend vor die belarussische Botschaft in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, um die Menschen zu unterstützen, die im benachbarten Belarus auf die Straßen gehen. An der Solidaritätsaktion nahmen Aktivisten der Zivilgesellschaft teil, Politiker, belarussische Migranten und Freiwillige, die in der Ostukraine gegen Separatisten kämpften. Sie haben die Behörden in Belarus aufgerufen, die Gewalt gegen die eigene Bevölkerung zu stoppen.

Ukrainische Unterstützer der Demonstrationen in Belarus halten bei einer Protestaktion in Kiew Schilder ((c) Olena Lytvynova)
Die Unterstützung von damals den Belarussen zurückgeben: Ukrainische Aktivisten in KiewBild: Olena Lytvynova

Belarussische Menschenrechtsaktivisten sollten möglichst schnell den Europarat hinzuziehen, damit er Proteste und Menschenrechtsverletzungen überwacht, so die ukrainischen Unterstützer. Es sei falsch, darauf zu warten, dass im Nachhinein Informationen gesammelt und Untersuchungen eingeleitet werden. Sie sollten schnell handeln, um noch mehr Gewalt zu verhindern. "Dies hatte während des Maidan geholfen, grobe Verstöße einzudämmen", berichtet Matwijtschuk von ihren Erfahrungen.

Die Ukrainer, findet sie, sollten sich jetzt mit den Belarussen solidarisch zeigen und ihr Recht auf faire Wahlen unterstützen. Denn die Belarussen hätten seinerzeit die Ukrainer auf dem Maidan unterstützt und dann auch die territoriale Integrität der Ukraine im Donbass verteidigt. Während der Proteste in Kiew im Winter 2014 war der belarussische Journalist Michail Schysnewskij als einer der ersten durch Schüsse getötet worden.

Kiewer Maidan: Erinnerungen werden wach

Die Anwältin Jewgenija Sakrewska fühlt sich an etwas erinnert, das sie nur zu gut kennt. Sie vertritt vor Gericht Angehörige von Menschen, die auf dem Kiewer Maidan Polizeigewalt zum Opfer gefallen sind. "Die nächtlichen Videostreams aus Belarus sind ein Dé­jà-vu in zweifacher Hinsicht", schreibt sie auf Facebook. Sie bezieht sich zum einen auf jene Nacht Ende November 2013, als Sicherheitskräfte auf dem Maidan Proteste gegen die damalige ukrainische Führung niederschlugen, weil sie das EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens abgesagt hatte. Zum anderen erinnert sie an das Jahr 2010, als nach Wahlen in der belarussischen Hauptstadt Minsk ebenfalls nachts Demonstranten niedergeknüppelt wurden.

Der ukrainische Aktivist Pawlo Sydorenko, der die Initiative "Opfer auf dem Maidan" leitet, wurde bei den Maidan-Protesten selbst verletzt. Er unterstützt die Demonstranten in Belarus, glaubt aber, dass sie keine Chance haben. "Ich erlebe ein Dé­jà-vu", sagt auch er und betont, er wünsche ihnen durchaus Erfolg. Da es aber keine Koordination zwischen den verschiedenen Oppositionskräften gebe, werde Lukaschenko wohl an der Macht bleiben.

Fehlende Überzeugung, fehlende Organisation

Sydorenko findet, dass die Belarussen selbst zu wenig von ihrem Vorgehen überzeugt sind. Auch seien sie zu schlecht organisiert, um zu erreichen, dass Lukaschenko nach 26 Jahren die Macht abgibt. "Der Maidan war wie ein Ameisenhaufen, wo jeder seinen Job machte, so gut er konnte. Es gab ein Ziel und es herrschte die absolute Überzeugung, dass Veränderungen nötig sind. Manche standen Wache, andere verarzteten, andere brachten Brennholz, andere verteidigten Gefangene vor Gericht", erinnert er sich.

Lukaschenkos sieht "Strippenzieher" aus Tschechien, Polen, der Ukraine und anderen Ländern hinter den Protesten in Belarus. Sydorenko hält das für Quatsch: "So einen Aufstand der Gesellschaft kann man nicht künstlich organisieren. Entweder es gibt ihn, oder es gibt ihn nicht."

Die Maidan-Proteste 2013/14 und die jetzigen in Belarus seien ähnlich, sagt auch die belarussische Journalistin Jelena Litwinowa im Gespräch mit der DW. Denn die Ukrainer, wie jetzt auch die Belarussen, hätten für freie Wahlen demonstriert, und nicht für eine bestimmte Person oder einen Kandidaten.

Ukraine Proteste der Opposition für Annäherung an die EU 12.12.2013
Erinnerungen kommen hoch: Proteste auf dem Maidan in Kiew im Dezember 2013Bild: picture-alliance/dpa

Doch Litwinowa zufolge gibt es auch einen klaren Unterschied. Die Proteste in der Ukraine seien von Kiew ausgegangen. An ihnen hätten Millionen Menschen teilgenommen. Von der Hauptstadt aus hätten sie sich dann aufs ganze Land ausgeweitet. In Belarus sei es umgekehrt. "Die Kundgebungen begannen in den Regionen, und diesen Faktor hat die belarussische Staatsmacht nicht bedacht."

Litwinowa sieht zwei Szenarien für Belarus: Entweder muss Lukaschenko akzeptieren, dass Bürger die Wahlen nicht als legitim anerkennen und dass es im Land andere Ansichten gibt als seine - oder er wird die Daumenschrauben noch weiter anziehen.

"Es gibt kein Zurück. Lukaschenko hatte die Chance, sein Gesicht zu wahren und keine Aktivisten zu verfolgen. Dann hätte es bezüglich des Wahlergebnisses nicht ein solch totales Misstrauen gegeben. 80 Prozent der Stimmen für ihn, das ist einfach zu viel, wenn man bedenkt, wie viele Menschen auf die Straße gehen", sagt die Journalistin. Sie ist überzeugt, dass es in Belarus Veränderungen geben wird. Die Frage sei nur, in welche Richtung.