Proteste im Jemen gehen trotz Notstands weiter
19. März 2011Sie lassen sich nicht einschüchtern – weder von Scharfschützen noch vom Ausnahmezustand. Auch am Samstag (19.03.2011) versammelten sich wieder zehntausende Demonstranten im Zentrum der Hauptstadt Sanaa, um den Rücktritt des seit 32 Jahren regierenden Präsidenten Ali Abdullah Saleh zu fordern. Auch im Süden des Landes kam es erneut zu Protesten. Mit Tränengas stürmte die Polizei ein Demonstranten-Camp in Aden, berichteten Augenzeugen. Oppositionsgruppen haben die internationale Gemeinschaft um Hilfe angerufen.
Blutbad in Sanaa
Am Freitag hatten Scharfschützen in Sanaa von Dächern und Häusern aus auf zehntausende Demonstranten gefeuert. Dabei wurden mindestens 44 Menschen getötet und mehr als 200 verletzt. Die Demonstranten hatten sich nach dem Freitagsgebet auf einem Platz nahe der Universität versammelt und den Rücktritt Salehs gefordert. Die Polizei habe Fluchtwege mit brennenden Reifen und Feuerwänden aus brennendem Benzin verstellt. Auch in anderen Städten des Landes, wie Taiz und Aden, gingen am Freitag Tausende auf die Straßen. Saleh hatte daraufhin für 30 Tage den Ausnahmezustand ausgerufen und das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit verboten.
Augenberichten zufolge handelte sich bei den Scharfschützen um Anhänger des Präsidenten. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete, dass die Schüsse begannen, als Demonstranten versuchten, eine Polizeiabsperrung abzubauen. Nachdem die Scharfschützen das Feuer eröffnet hatten, seien Demonstranten in die Häuser eingedrungen und hätten sechs Schützen gefangen genommen. Mindestens einer sei vom Dach gestürzt worden.
UN soll Zivilisten schützen
Regierungsgegner sprachen von einem "Massaker". "Das ist Teil eines verbrecherischen Plans, Demonstranten zu töten und der Präsident und seine Verwandten sind verantwortlich für dieses Blutvergießen", sagte Oppositionssprecher Mohammad al Sabri. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) solle nun politische und moralische Verantwortung übernehmen und "Maßnahmen zum Schutz von Zivilpersonen" einleiten.
Weltweit verurteilten Politiker die Gewalt am Freitag scharf. US-Präsident Barack Obama forderte, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton mahnte die Einhaltung der Menschenrechte im Jemen an. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief Jemens Regierung erneut auf, für die Sicherheit der Demonstranten zu sorgen. Der Staatsminister im deutsche Auswärtigen Amt, Werner Hoyer, nannte es "völlig inakzeptabel", dass "offensichtlich gezielt auf Demonstranten geschossen wird".
Minister geht, Präsident Saleh bleibt hart
Der Tourismusminister des Jemen, Nabil al-Fakih, zog am Samstag die Konsequenzen aus dem Blutbad und trat als erstes Regierungsmitglied von seinem Amt zurück, berichtete die "Yemen Post". Saleh hingegen dementierte am Freitag, dass die Polizei auf die Menschenmenge geschossen habe und wieß den Demonstranten die Schuld an der Eskalation zu. Er drückte sein "Bedauern" über den Tod der Demonstranten aus und bezeichnete sie als "Märtyrer der Demokratie". Zudem kündigte er die Schaffung einer Kommission an, die die Todesfälle im ganzen Land untersuchen solle. Beobachter gehen davon aus, dass die Scharfschützen auf die ein oder andere Weise mit dem Sicherheitsapparat des Präsidenten verbunden sind.
Demonstranten wollen weiter machen
Die Oppositionsgruppen sind entschlossen, Saleh weiter die Stirn zu bieten. Auf einem Krisentreffen nach dem blutigen Anschlag riefen sie zu weiteren Demonstrationen auf. Tausende Regierungsgegner hielten einen Platz in der Hauptstadt Sanaa besetzt, den sie "Taghijr-Platz" – arabisch für Wechsel – genannt haben. Auf diesem zentralen Platz campieren seit etwa vier Wochen tausende Anhänger der Opposition. Nach den erfolgreichen Protestbewegungen in Tunesien und Ägypten hoffen sie, auch in ihrem Land einen Umbruch herbeiführen zu können.
Polizei und Anhänger der Regierung hatten mit zunehmender Gewalt versucht, die Proteste zu unterdrücken. Dabei setzten sie Tränengas, Gummigeschosse, Knüppel, Messer und Steine, aber auch scharfe Munition ein. Mindestens achtzig Menschen wurden seit Beginn der Proteste im Jemen getötet, mehr als tausend wurden verletzt. Unter dem Druck der Proteste kündigte Saleh bereits an, bei den Wahlen 2013 auf eine erneute Kandidatur zu verzichten und Ende dieses Jahres ein Verfassungsreferendum abzuhalten. Der Opposition reicht das nicht, sie fordert seinen sofortigen Rücktritt.
Autorin: Julia Hahn (mit afp, dapd, dpa, ap)
Redaktion: Martin Schrader