Israel bombardiert Gaza
8. Juli 2014Überall im Süden Israels ertönten am Abend und in der Nacht die Luftschutzsirenen. Fast im Minutentakt wurden Raketen und Granaten vom Gazastreifen auf israelisches Gebiet abgefeuert. Die Behörden ordneten die Öffnung der öffentlichen Schutzräume an. Alle Einwohner im Süden sollten dort bleiben oder sie innerhalb von 15 Sekunden erreichen können.
In Gaza bombardierte die israelische Luftwaffe mehr als 50 Ziele, so ein Armeesprecher. Einige palästinensische Familien erhielten Warnaufrufe, um ihre Häuser verlassen zu können, bevor sie bombardiert wurden. Aus Gaza werden über 14 Verletzte gemeldet. Schutzräume gibt es dort nicht. Auch ein deutsches Kreuzfahrtschiff, das im Hafen der israelischen Stadt Ashdod angelegt hatte, geriet ins Kreuzfeuer. Die Passagiere und Besatzung seien aber wohlauf und bereits auf dem Weg nach Kreta, hieß es von dem Kreuzfahrtunternehmen.
Beide Seiten weiten Angriffe aus
"Operation Protective Edge hat begonnen", schrieb ein Armeesprecher in einem Tweet um kurz nach Ein-Uhr morgens. So nennt die israelische Armee ihre neueste Offensive auf das kleine Küstengebiet. 1500 zusätzliche Reservisten waren am Montag einberufen worden. Nach Medienberichten hatte das israelische Sicherheitskabinett nach einer dreistündigen Sitzung entschieden, die Angriffe auf den Gazastreifen in Stufen auszuweiten.
Vorausgegangen war eine massive Ausweitung der Raketenangriffe der Hamas - als "Reaktion" auf israelische Luftangriffe, bei denen mindestens sieben Mitglieder der Qassam-Brigaden, einer Unterorganisation der Hamas, getötet worden waren. "Dafür wird die zionistische Besatzung einen hohen Preis bezahlen", sagte Sami Abu Zuhri, Sprecher der Hamas. Deren militärischer Arm warnte, dass man auch auf Tel Aviv schießen werde, sollten die israelischen "Aggressionen" nicht aufhören.
Regierungsbündnis aufgelöst
Erneut bedroht der Zyklus der Gewalt die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten. Nach Operation "Pillar of Defense" im November 2012 und dem dreiwöchigen Gaza-Krieg "Cast Lead" Ende 2008 ist dies bereits die dritte Militäroperation innerhalb von sieben Jahren. In den israelischen Medien wird bereits diskutiert, wie weit der Angriff diesmal gehen wird.
Am Montag (07.07.2014) hatten Meinungsverschiedenheiten über das weitere Vorgehen im Gazastreifen zum Bruch zwischen dem israelischen Außenminister Avigdor Liebermann und Premierminister Benjamin Netanjahu geführt. Wohl auch aus taktischen Gründen kündigte Liebermann das Parteienbündnis zwischen Likud und seiner Partei "Israel Beitenu" auf, um eine eigene Fraktion zu gründen. Die Regierungskoalition ist dadurch aber nicht in Gefahr. Als Begründung nannte er Differenzen mit dem Premierminister, dessen bisherige Zurückhaltung er nicht teile. Liebermann will einen Einmarsch in Gaza, um die Strukturen der Hamas zu zerstören. Eine Bodenoffensive schließt die israelische Armee nach eigenen Angaben inzwischen aber auch nicht mehr aus. Die Streitkräfte hätten die Genehmigung erhalten, mehr Reservisten zu mobilisieren, sagte ein Sprecher am Dienstag (08.07.2014).
Lage der Menschen im Gaza verschlechtert
Noch am Wochenende hatte es Berichte über eine mögliche Rückkehr zur Waffenruhe von 2012 gegeben, vermittelt durch Ägypten. Israel werde "Ruhe mit Ruhe" beantworten, hieß es. Auch von dem politischen Arm der Hamas waren de-eskalierende Stimmen zu hören. Doch nach dem Luftangriff am Montag auf Mitglieder der Qassam-Brigaden, scheint der militante Flügel der Hamas unter Druck zu stehen. Nach den israelischen Angriffen in der Nacht zu Dienstag sagte die Gruppe in einer Stellungnahme, dass das "das Bombardieren von (Familien)-Häusern ein Überschreiten aller roten Linien sei". Bislang bombardierte die israelische Luftwaffe vor allem militärische Ziele.
Dabei hat die Hamas derzeit auch intern an allen Fronten zu kämpfen. Bislang hatte sie die allerdings oft brüchige Waffenruhe von 2012 eingehalten und mit Patrouillen entlang des Grenzgebiets verhindert, dass kleinere militante Gruppen Raketen auf Israel abfeuerten. Die Lage im Gazastreifen hat sich für die rund 1,7 Milionen Menschen in den letzten Monaten nochmals dramatisch verschlechtert: Der palästinensisch-ägyptische Grenzübergang in Rafah ist die meiste Zeit geschlossen, Stromausfälle bis zu zehn Stunden am Tag beherrschen den Alltag und die Arbeitslosigkeit ist nach der Zerstörung vieler Tunnelanlagen auf ägyptischer Seite nochmals rapide angestiegen. Auch die Bildung der neuen Interimsregierung des "nationalen Konsensus" Anfang Juni hat an der Situation nichts geändert. Trotz Versöhnungsprozess zwischen Hamas und Fatah stehen seit Monaten die Gehälter von rund 40.000 Beamten der früheren Hamas-Regierung aus.
Der Tropfen auf den heißen Stein
Seit der Entführung und Ermordung von drei israelischen Studenten nahe eines Siedlungsgebiets im besetzten Westjordanland hat sich die Situation nochmals zugespitzt. Die israelische Armee hatte eine großangelegte Suchaktion gestartet und die Hamas für die Entführung verantwortlich gemacht. Diese hat sich dazu aber nicht bekannt. Premierminister Benjamin Netanjahu hatte damals angekündigt, dass "Hamas dafür einen hohen Preis" zahlen werde. Bei der weitläufigen Militäroperation im Westjordanland wurden hunderte Hamas-Mitglieder verhaftet, die soziale Infrastruktur der Organisation zum Teil zerstört. Die entführten Teenager wurden vor einer Woche ermordet im Westjordanland aufgefunden. Der anschließende Mord an dem palästinensischen Jugendlichen Mohammed Abu Khdeir aus Ostjerusalem durch mutmaßliche israelische Extremisten hat die Situation weiter verschärft und sorgt für Unruhen im Westjordanland, in Ostjerusalem und einigen arabischen Städten im Norden Israels. Auch von dort wurden über Nacht wieder Auseinandersetzungen gemeldet.