Jeder BRIC ist anders
30. August 2013Keiner der BRICS-Staaten hängt dermaßen stark von Rohstoffexporten ab wie Russland. Es war hauptsächlich die Ausfuhr von Energieträgern, die den wirtschaftlichen Aufschwung in der ersten Dekade nach der Jahrtausendwende befeuerte. Stark steigende Weltmarktpreise für Öl und Gas bescherten der russischen Bevölkerung einen sichtbar wachsenden Wohlstand, und so wurde der Konsum zur zweiten Triebfeder des Wachstums.
Doch nun scheint das Potenzial dieser beiden Lokomotiven ausgeschöpft zu sein. Der kreditgetriebene Konsum stottert, die Industrie wächst nicht mehr, und der schwache Rubel hilft auch nicht viel, denn russische Unternehmen haben nicht viele weltmarktfähige Produkte, die sie exportieren könnten. Die russische Wirtschaft braucht mehr denn je eine Modernisierung, einen grundlegenden Strukturwandel, eine konsequente Förderung des Mittelstandes. Dazu wären politische und institutionelle Veränderungen nötig. Den notwendigen Reformen steht jedoch das System Putin im Wege. Russland wird "zu zentralistisch und diktatorisch regiert", resümiert der Erfinder des Begriffes BRIC, Jim O'Neill, in einem Handelsblatt-Interview. (Andrey Gurkov, Russische Redaktion)
Brasilien: Proteste klagen Mängel an
Mit am härtesten trifft die Kapitalflucht den BRICS-Vertreter Brasilien: Rund 20 Prozent ihres Wertes gegenüber dem US-Dollar hat die Landeswährung Real seit Anfang des Jahres eingebüßt. "Jetzt flüchtet auch brasilianisches Kapital vor Inflation, Wachstumsschwäche und sozialen Unruhen", meint der Kieler Ökonom Federico Foders. Im Juni haben Massenproteste während des Confederation Cups das Land erschüttert. Sie richteten sich gegen Korruption, schlechte Infrastruktur, vernachlässigte Bildung und mangelnde Gesundheitsversorgung.
Genau diese Mängel vertreiben die Investoren – hinzu kommt noch die Furcht vor politischer Instabilität. Das Ergebnis zeigt sich in den Wachstumsraten: Nach 0,9 Prozent im vergangenen Jahr erwarten Experten für dieses Jahr nur 0,3 Prozent. Die rückläufige Rohstoff-Nachfrage aus China - Brasiliens wichtigster Handelspartner - kann das nur zum Teil erklären, denn noch im März 2012 verzeichnete Brasilien einen Ausfuhrrekord. (Jan D. Walter, Brasilianische Redaktion)
Indien: Das Defizit macht Sorgen
Als drittgrößte Volkswirtschaft Asiens ist Indien besonders stark von den Kapitalabflüssen internationaler Anleger betroffen. Die indische Rupie verlor seit April 2013 gegenüber dem US-Dollar knapp 20 Prozent. Doch Indien importiert nach wie vor mehr als es im Ausland verkauft, und ist zur Finanzierung dieser Lücke auf ausländisches Kapital angewiesen. Vor allem die Öl- und Kohleimporte zur Stromerzeugung drücken auf die Zahlungsbilanz. Dabei könnte Indien reichlich Kohle fördern, der Bergwerkssektor ist aber in einem Sumpf aus Korruption und Ineffizienz lahmgelegt.
Indiens Wachstum und sein zu schwacher industrieller Sektor reichen nicht aus, um eine nennenswerte Exportwirtschaft auf die Beine zu stellen. Außerdem schrecken Korruption und die ausufernde Bürokratie mögliche Investoren ab. Dennoch sehen Experten wie Fridolin Strack vom Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft in den aktuellen Problemen auch eine Chance: "Das ist der Aufrüttler und die Chance, die Indien braucht. Die Politik des Durchwurstelns scheint jetzt ihr Ende zu finden." (Hans Sproß, Asien-Redaktion)
Südafrika: Streikfreude schreckt ab
In Südafrika ist Winter, Streiksaison. Jedes Jahr legen Arbeitskämpfe um diese Zeit ganze Wirtschaftszweige und Verwaltungen lahm. Es kommt zu Lohnanhebungen, die Wirtschaft streicht Jobs, der Staat erhöht sein Defizit, die Inflation steigt noch mehr. Die Gewerkschaften beginnen zu klagen - und das Ritual beginnt von Neuem. In guten wie in schlechten Jahren.
Seit einiger Zeit überwiegen die schlechten: Das Wirtschaftswachstum – im letzten Quartal 0,9 Prozent - hinkt dem afrikanischen Durchschnitt und den eigenen Zielen weit hinterher. Es entstehen kaum neue Jobs; Investoren schreckt die Streikfreude der Südafrikaner ab, auch ihre Gewaltbereitschaft. Aber auch die komplizierten Vorschriften. Die Regierung von Jacob Zuma gilt als unberechenbar und prinzipienlos.
Und wenn sich in dieser Situation noch eine Zinswende in den USA abzeichnet, schichten institutionelle Anleger erst recht ihr Geld um. Südafrikas Finanzminister Pravin Gordon schäumt. Er verlangt, dass die G20, die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, "aggressiv" und mit "radikalen Aktionen" gegen den gigantischen Kapitalabfluss vorgehen müsse. Aber sein Appell klingt ziemlich hilflos. (Claus Stäcker, Afrika-Redaktion)
Sonderfall China
Dass China unter einem massiven Abfluss ausländischen Kapitals zu leiden hätte, ist nicht bekannt. Am Wechselkurs der Währung jedenfalls ist das nicht abzulesen, der Yuan ist nach wie vor nicht frei handelbar. Und als die übrigen BRICS-Staaten vor Jahren noch über einen hohen Kapitalzufluss und über einen Aufwertungsdruck auf ihre Währungen klagten, blieb es in Peking recht still. Nur die Amerikaner monierten, Peking halte seine Währung künstlich viel zu niedrig, um weiter exportieren zu können.
Dass Export auf Dauer zu einseitig ist, wissen auch die Machthaber in Peking. Sie bemühen sich deshalb seit Jahren, den Binnenkonsum anzukurbeln. Im Oktober steht das dritte Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas an. Dann werden vermutlich die Wirtschaftsreformpläne der neuen Regierung vorgestellt. Gerechnet wird mit einem Programm, das auf mehr Binnenkonsum setzt und auf größere unternehmerische Freiheiten, um das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten. Insbesondere erwarten Experten eine Förderung speziell von kleinen und mittleren Privatbetrieben. (Mathias von Hein, Chinesische Redaktion)