Problematischer Einsatz
20. Oktober 2003Jetzt also nach Kundus. In dieser mittelgroßen Stadt im Norden Afghanistans werden Bundeswehr-Soldaten stationiert, Soldaten, die zur internationalen Sicherheitstruppe ISAF gehören. Doch was sollen sie dort eigentlich ausrichten? Kundus gilt jetzt als relativ sicher, die Lage als stabil. Trotzdem spricht die Bundesregierung von "Sicherheitsinseln", die in Afghanistan geschaffen werden müssen - und eine solche soll Kundus dann mit Hilfe der Bundeswehr angeblich werden. Das klingt in der Tat ein wenig konstruiert.
Die Bundesregierung hat sich nicht zuletzt deshalb für Kundus entschieden, weil dort ein Einsatz mit einer überschaubaren Zahl von Soldaten überhaupt möglich ist. Eine verständliche Maxime des Verteidigungsministers ist es, seine Soldaten nicht unnötig zu gefährden. Er will sie also nicht in Regionen schicken, die von unberechenbaren Kriegsfürsten kontrolliert werden oder in denen amerikanische Soldaten immer noch erbittert gegen versprengte Reste der Taliban kämpfen. Dafür würde er die Zustimmung des Bundestags auch nicht bekommen. Außerdem ist Kundus relativ gut zu erreichen, ein Rückzug ist schnell möglich - auch das spricht für die Stadt im Norden Afghanistans.
Maximal 450 deutsche Soldaten dürfen nach Kundus verlegt werden. Wenn man diejenigen abzieht, die sich um die Logistik, die Versorgung und die Sicherheit ihrer Kameraden kümmern, bleiben nicht mehr allzu viele übrig. Großer Staat lässt sich damit unter militärischen Gesichtspunkten nicht machen. Für das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung könnte es dennoch positiv sein, wenn unabhängige Beobachter durch die Straßen patrouillieren. Die Erfahrungen der deutschen Soldaten in der Hauptstadt Kabul zeigen, dass sie dort freundlich empfangen werden. Das wird auch in Kundus nicht anders sein.
Trotzdem ist der Einsatz nicht ungefährlich für die Bundeswehr. Die Soldaten dürfen und können sich nicht einmischen in die inneren Machtstrukturen in Kundus und den umliegenden Provinzen. Von den regionalen Machthabern werden sie nur akzeptiert werden, wenn sie sich neutral verhalten und nicht wie eine Besatzungsarmee mit besonderen Vollmachten. Die Region rund um Kundus gehört aber zu den größten Opiumanbaugebieten in Afghanistan, und vom Drogenhandel leben viele jener Männer, die in der Stadt etwas zu sagen haben. Das kann für die deutschen Soldaten im Zweifelsfall nur heißen: Wegschauen.
Die Stadt Kundus hat einen hohen Entwicklungsbedarf, hat man im Verteidigungsministerium analysiert. Und genau darauf werden sich die Soldaten konzentrieren. Zwar sollen sie, so die offizielle Lesart, nur die Arbeit von Hilfsorganisationen absichern und diese nicht selbst übernehmen. Aber die Erfahrung aus den bisherigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr lässt anderes vermuten: Am Ende werden die Soldaten selbst beim Häuserbau Hand anlegen, ihr Sanitätszelt für Kranke öffnen und helfen, wo es nur geht. Das ist ehrenhaft, hat aber mit dem eigentlichen Ziel der Mission nur am Rande zu tun. Afghanistan wird nicht viel sicherer werden, und die Autorität von Präsident Karzai wird dadurch auch nicht wesentlich gestärkt. Das Afghanistan außerhalb Kabuls gänzlich sich selbst zu überlassen, ist allerdings auch keine Lösung. Das wohlklingende Konzept der "Sicherheitsinseln" macht überhaupt nur dann Sinn, wenn es viele davon im ganzen Land geben wird. Aber danach sieht es im Moment nicht aus.