Deutschland und das Flüchlingsdrama
21. Mai 2014Maya Alkhechen war zur falschen Zeit am falschen Ort. Das hat die in Deutschland im Ruhrgebiet aufgewachsene Syrerin zum Flüchtling gemacht. Als sie 2006 nach dem Abitur von ihrer Heimatstadt Essen aus nach Syrien aufbrach, gab es dort keinen Bürgerkrieg, in Deutschlands damaliger Krisenökonomie aber auch keine Lehrstelle für sie.
Mit dem Beginn des Bürgerkriegs floh die heute 30-Jährige dann mit Mann und zwei Kindern von Syrien ins Nachbarland Ägypten. Legale Wege zurück nach Deutschland blieben ihr damals verwehrt, weil sie von Ägypten aus keinen Asylantrag für Deutschland stellen konnte. Deshalb entschloss sie sich zur Flucht übers Mittelmeer. "Ich wollte nicht illegal und unerwünscht nach Deutschland zurückkommen, aber unsere Situation hat sich so sehr verschlechtert, dass wir auf dieses verdammte Boot mussten", sagt Alkhechen zu ihrem Beweggrund.
"Die Menschen werden gezwungen, auf die Boote zu gehen"
Für Maya Alkhechen liegt der Albtraum der Flucht übers Mittelmeer nach Italien und dann ins Ruhrgebiet rund sieben Monate zurück. Eine ihrer beiden Schwestern hat die Flucht noch immer vor sich. Sie ist mit ihrer Familie nach Libyen geflohen, ebenfalls kein Land, aus dem syrische Flüchtlinge legal deutsche Asylanträge stellen könnten. "Letztendlich sind alle Versuche, sie nach Deutschland zu bekommen, daran gescheitert, dass meine Schwester gerade in Libyen ist", sagt Maya Alkhechen mit Verbitterung.
An ihrem Beispiel erläutert Günter Burkhardt, Geschäftsführer des Flüchtlingshilfsverbandes Pro Asyl, woran eine schnelle, unbürokratische Aufnahme von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen in Deutschland derzeit scheitert. "Sie können aus Libyen keinen Aufnahmeantrag in Aufnahmeprogramme des Bundes stellen, das heißt, selbst wenn genügend Plätze da wären, gäbe es keine Chance auf einen legalen Weg."
Dass nicht genügend Plätze zur Verfügung stehen, das ist der zweite Kritikpunkt der Hilfsorganisation an der derzeitigen Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Aktuell haben sich Bund und Länder darauf verständigt, zwei Aufnahmeprogrammen für insgesamt 10.000 syrische Flüchtlinge einzurichten. 5000 sind bis Mai bereits in Deutschland eingetroffen, gut 5000 weitere Syrer sollen mit dem zweiten Programm in den kommenden Wochen noch folgen.
Burkhardt hält diese Kontingente angesichts der drohenden humanitären Katastrophe in Syrien für eine Farce, nicht zuletzt, weil bis Februar dieses Jahres bei Bund und Ländern rund 80.000 Anträge syrischer Flüchtlinge auf Asyl eingegangen seien. "Das bedeutet, dass im Moment Flüchtlinge aus Syrien durch die Konstruktion der Bundes- und Länderprogramme und dieser Festung Europa gezwungen werden, auf die Boote zu gehen, um nach Europa zu gelangen", sagt Burkhardt.
Pro Asyl fordert Aufhebung der Visumspflicht
Pro Asyl fordert daher ein Umsteuern in der deutschen Syrienpolitik, auch deshalb, weil Deutschland eine besondere Verantwortung als Zielland syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge zukomme. Nach Informationen der Menschenrechtsaktivisten leben derzeit in Deutschland rund 65.000 Menschen mit syrischem Pass sowie eine noch deutlich höhere aber nicht näher identifizierbare Anzahl deutscher Staatsbürger mit syrischen Wurzeln.
Es gebe bei diesen Menschen die berechtigte Erwartung, dass zumindest die Verwandten einreisen könnten, so Burkhardt. "Die Tore der Festung Europa müssen geöffnet werden." Konkret fordert die Organisation ein Ende starrer Quotenregelungen sowie eine stärkere Einzelfallbetrachtung. Damit einhergehen müsste für die Menschenrechtsaktivisten eine EU-weite Aufhebung der Visumspflicht für Syrer. Angesichts von rund 2,7 Millionen Vertriebenen aus Syrien, allerdings eine Forderung, die bei den EU-Innenministern kaum auf Zustimmung treffen dürfte.
Zudem werde der Nachzug von Verwandten nach Deutschland oft dadurch verhindert, sagt Günter Burkhardt, dass deutsche Behörden unrealistisch hohe finanzielle Rücklagen von in Deutschland wohnenden Verwandten einforderten. In ihrem Fall, so berichtet eine Deutsch-Syrerin, die anonym bleiben möchte, hätten die deutschen Behörden für den Nachzug eines Teils ihrer syrischen Geschwister eine monatliche Absicherung von rund 3000 Euro netto eingefordert. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Familie später keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen muss. Die Frau berichtete, dass ihr monatlich 1300 Euro netto zur Verfügung stehen.
Aram Ali, ein 25-jähriger Deutsch-Syrer aus Hannover, versucht ebenfalls, das notwendige Geld aufzutreiben, damit seine syrischen Verwandten nachziehen können. Für ihn sind derlei Geldforderungen vor allem eines: "Wenn man die Aufnahmeprogramme aus meiner Sicht auswertet, bedeutet das in der Realität, dass Hochverdienende eine Chance haben weiterzuleben und die Angehörigen von Geringverdienenden können in letzter Konsequenz dort in Syrien auf den Tod warten."
Wer hier ist, ist noch nicht gerettet
Im Gegensatz zu ihrer Schwester ist Maya Alkhechen in ihrem alten Heimatort Essen wieder angekommen. Geschafft hat sie es aber noch lange nicht, wie sie selbst sagt. Denn mit einer Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre ausgestattet kämpft sie derzeit darum, dass nachzuholen, was ihr mit 22 Jahren einst verwehrt blieb: Alkhechen will eine Ausbildung als Rettungsassistentin oder als Physiotherapeutin beginnen.
Bislang wird sie dabei von der Essener Arbeitsagentur nicht unterstützt, sondern eher behindert, sagt sie traurig. Denn weil die Entlohnung in den jeweiligen Berufen im Schnitt zu niedrig sei, um sich dauerhaft ein eigenständiges Leben zu finanzieren, lehnen die Behörden eine Förderung der Weiterbildungsmaßnahme ab. Mayas Fazit: "Auch wenn man es als Flüchtling nach Deutschland geschafft hat, bleiben noch genug Hürden übrig."