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Prigoschin: Vom Hotdog-Verkäufer zum "Eroberer von Bachmut"

Maria Katamadze
27. August 2023

Es ist offiziell: Jewgeni Prigoschin, einer der berüchtigsten Akteure in Moskaus Krieg gegen die Ukraine, ist tot. Zuletzt sorgte der Söldner-Chef durch den Aufstand gegen den Kreml für Schlagzeilen.

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Russland | Wagner-Söldner in Rostow am Don
Aufstand abgebrochen: Der Chef der Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin, nach dem Rückzug der Wagner-Gruppe aus der Stadt Rostow am DonBild: Alexander Ermochenko/REUTERS

Er war der Kopf der von ihm gegründeten Privatarmee Wagner und ein vehementer Kritiker der russischen Militärführung im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Jetzt ist Jewgeni Prigoschin im Alter von 62 Jahren bei einem Flugzeugabsturz getötet worden. Russische Ermittler haben die Identität von Söldner-Chef Jewgeni Prigoschin an Bord des abgestürzten Flugzeugs bestätigt. Das hätten DNA-Tests ergeben, teilte das Ermittlungskomitee mit.

Spekulationen darüber, dass Prigoschin einen baldigen Tod finden könnte, gab es spätestens seit dem Kurzaufstand der von ihm befehligten Wagner-Gruppe gegen die russische Militärführung am 23. und 24. Juni. Dieser konnte zwar auf Vermittlung des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko beigelegt werden, doch spätestens jetzt war klar, dass Prigoschin bei Russlands Präsident Wladimir Putin in Ungnade gefallen war. Seine Privatarmee in Russland wurde aufgelöst, die Kämpfer der russischen Militärführung unterstellt.

Am Ende war es laut russischen Berichten ein Flugzeugabsturz, der ihn das Leben kostete - auf den Tag genau zwei Monate nach Beginn seines Aufstandes. Ein Privatjet auf dem Weg von Moskau nach St. Petersburg stürzte aus noch ungeklärter Ursache in der Region Twer ab, alle zehn Insassen starben, darunter auch der langjährige Söldnerchef. Es ist der Endpunkt eines beispiellosen Aufstiegs zu einem der wichtigsten Getreuen Putins - und eines ebenso schnellen wie tiefen Niedergangs. 

Die Absturzstelle des Privatjets mit Jewgeni Prigoschin an Bord in der Region Twer
Region Twer: Die Absturzstelle des Privatjets, in dem sich auch Jewgeni Prigoschin befandBild: Ostorozhno Novosti/Handout/REUTERS

Wie aber wurde Prigoschin vom einstigen Würstchenverkäufer zum skrupellosen Kriegsfürsten, der am Ende gar einen Umsturzversuch in Russland anzettelte?

Militärisches Kapital für den Kreml

Jewgeni Prigoschins Karriere wurde geleitet von einer unausgesprochenen Regel der russischen Politik: Je näher du dem Präsidenten bist, desto mehr Geld verdienst du. Diesen stillschweigend vorausgesetzten Code hat er schnell verstanden.

Nach dem Fall der Sowjetunion und dem Siegeszug des Kapitalismus in Russland in den 1990er Jahren begann Prigoschins unternehmerischer Aufstieg. Da hatte er gerade neun Jahre Haft wegen Raubes und Betrugs in einem sowjetischen Gefängnis abgesessen.

Sein erstes Kapital erwirtschaftete er mit Hotdogs. Er nutzte es, um damit in seiner Heimatstadt Sankt Petersburg ein Luxusrestaurant zu eröffnen, das schnell zum beliebten Treffpunkt der lokalen Eliten wurde, den späteren russischen Präsidenten Putin eingeschlossen.

Wladimir Putin im Jahr 2011 zu Besuch in Jewgeni Prigoschins Luxusrestaurant
Als Restaurant-Inhaber geriet Prigoschin in den Dunstkreis des Kremlchefs, was ihm den Spitznamen "Putins Koch" einbrachteBild: Misha Japaridze/AP/picture alliance

Diese Verbindung verschaffte seiner Cateringfirma Concord später lukrative Staatsaufträge. Sein Unternehmen verpflegte die russische Armee und organisierte auch Bankette für ausländische Staats- und Regierungschefs, die Russland offizielle Visiten abstatteten.

Prigoschin gewann an Einfluss, als er die Privatarmee Wagner sowie eine Trollfabrik gründete, die im In- und Ausland Falschinformationen verbreitete. Seine Aktivitäten wurden jetzt unverzichtbar für Putin und den russischen Staat, die ihre politischen Ziele erreichen wollten, ohne offiziell in Konflikte und Kriege im Nahen Osten und Afrika involviert zu werden.

Im Syrien-Krieg unterstützen Prigoschins Truppen Diktator Baschar al-Assad und die russischen Interessen in der Region. Die Erfahrung, die sie dabei sammelten, war höchst wertvoll, als Putin im Februar 2022 den Überfall auf die Ukraine befahl.

DW Dokumentationen | Syrien - Russlands Testlabor?
Im Syrien-Krieg unterstützten Prigoschins Söldner Machthaber Assad - dabei sollen sie zahlreiche Kriegsverbrechen verübt habenBild: Arte

Monate später, als immer mehr Soldaten in den Kämpfen starben, erlaubten die russischen Behörden Prigoschin, Häftlinge aus den Gefängnissen zu rekrutieren. Sie wurden für den Kriegseinsatz begnadigt, obgleich Söldnertruppen wie "Wagner" nach russischem Gesetz verboten sind.

Als die russische Armee beim Vorstoß in bestimmte Regionen der Ukraine versagte, erwies sich die Wagner-Gruppe als militärisches Kapital für den Kreml. Prigoschins Privatarmee nahm im Mai 2023 nach einem langen und blutigen Kampf die Stadt Bachmut ein, bis dahin Moskaus größte militärische Leistung in diesem Krieg.

Wagner-Söldner gegen Kreml-Soldaten

Als Russlands Invasion nach einem Jahr ins Stocken geriet, überzog Prigoschin das russische Verteidigungsministerium im Frühjahr 2023 mit Demütigungen und Beleidigungen. Er beschuldigte die militärische Führung, korrupt und unfähig zu sein und das Vorrücken in der Ukraine zu verhindern. Er unterstellte den Verantwortlichen sogar Verrat und die Absicht, der Wagner-Gruppe Munition vorzuenthalten.

Diese harsche Kritik warf die Frage auf, wie viel Kontrolle Putin noch über seinen einstigen Vertrauten hatte. Beobachter vermuteten, dass der Präsident die Ausbrüche des Söldnerchefs tolerierte, um die militärische Führung auf Trab zu halten.

Russland Jewgeni Prigoschin Statement in Rostow-am-Don
Während des Ukraine-Kriegs ritt Prigoschin wiederholt wütende Attacken gegen die russische Militärführung Bild: Press service of "Concord"/REUTERS

Prigoschins Unberechenbarkeit verursachte jedoch mehr und mehr Kopfschmerzen im Kreml, der die Wagner-Kämpfer in der Ukraine einsetze, ihnen jedoch nicht völlig freie Hand geben wollte. Ihr Boss durfte ab Februar 2023 keine Strafgefangenen mehr anwerben und verlor damit eine wichtige Rekrutierungsquelle.

Anfang Juni 2023, nach Monaten des Schlagabtauschs zwischen Militärführung und Wagner-Chef, sagte der stellvertretende russische Verteidigungsminister Nikolai Pankow, "Freiwilligenverbände" müssten bis Ende des Monats einen Vertrag mit seiner Behörde unterzeichnen. Experten vermuteten, damit sollten Prigoschin gekippt und seine Männer unter die Kontrolle der regulären Armee gebracht werden.

Der Marsch auf Moskau

Am 23. Juni eskalierte der Konflikt zu einem Putschversuch, der mit einer Telegram-Sprachnachricht begann. "Das Böse, das die Militärführung des Landes verbreitet, muss gestoppt werden", sagte Prigoschin darin.

Als die Wagner-Truppen die südrussische Stadt Rostow am Don erreichten und das dortige Militärhauptquartier besetzten, verkündeten sie einen "Marsch für Gerechtigkeit". Prigoschin behauptete, dass sich 25.000 Söldner Richtung Moskau in Bewegung gesetzt hätten.

Russland | Wagner-Söldner ziehen sich aus Rostow am Don zurück
"Marsch für Gerechtigkeit": Wagner-Söldner werden in Rostow am Don gefeiertBild: REUTERS

Der Kreml reagierte am nächsten Morgen. In einem seiner seltenen Fernsehauftritte sah Putin wütend und entschlossen aus. Ohne Prigoschins Namen zu erwähnen, sprach der russische Präsident von "Verrat" und einem "Stich in den Rücken".

Der Marsch auf Moskau endete abrupt, als der belarussische Diktator und Putin-Verbündete Alexander Lukaschenko sich einschaltete und zwischen Prigoschin und dem Kreml vermittelte. Er bot an, den Söldnerchef und seine Truppe nach Belarus zu verlegen. Den Kämpfern wurde anheimgestellt, ob sie ins Nachbarland übersiedeln oder in der regulären russischen Armee anheuern wollten.

Prigoschin hatte zuvor seinen gescheiterten Marsch auf Moskau dahingehend kommentiert, dass die Meuterei kein Umsturzversuch gegen Putin gewesen sei: "Wir wollten unseren Protest demonstrieren, nicht die Regierung stürzen."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

DW-Korrespondentin Maria Katamadze in Goris, Armenien
Maria Katamadze DW-Korrespondentin, Studio Riga