Pressestimmen von Montag, 28. Juni 2004
27. Juni 2004Die Kommentare der deutschen Tageszeitungen befassen sich an diesem Montag vor allem mit dem neuen Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Auch die Diskussion um die 40-Stunden-Woche in Deutschland bleibt weiter Thema.
Portugals Ministerpräsident Jose Manuel Durao wird nach langem Tauziehen als Kandidat für das Amt des EU-Kommissionschefs nominiert. Dazu schreibt die FRANKFURTER RUNDSCHAU:
"So kriegt einer dann den Spitzenjob, weil er erstens ein Regierungschef, zweitens ein Konservativer und drittens noch mit keinem in der EU angeeckt ist. Einer, der freilich auch noch nie als europäischer Vordenker oder Beweger aufgefallen wäre. Und der, was dem machtbewussten Europäischen Rat gelegen kommt, keine starke Machtbasis in der EU hat. Es ist wohl vor allem sein Mangel an europapolitischem Profil, der Barroso im Kreis der Mitgliedsländer konsensfähig macht."
In der MÄRKISCHEN ALLGEMEINE aus Potsdam heißt es:
"Hand aufs Herz: Wer hat bis letzten Freitag den Namen des portugiesischen Ministerpräsidenten gekannt? José Manuel Durão Barroso mag ein honoriger Mann sein, aber für den Posten des EU- Kommissionsvorsitzenden ist er nicht mehr als eine Notlösung. Barroso kommt zum Zuge, weil Kandidaten mit europapolitischem Profil und internationaler Ausstrahlung entweder nicht zur Verfügung standen oder der einen oder anderen Regierung nicht passten."
Auch das HANDELSBLATT aus Düsseldorf sieht die Kandidatur Barrosos kritisch:
"Als starker Politiker gilt Barroso nicht einmal in Portugal. Bei der Europawahl heimste er in Lissabon eine schwere Schlappe ein - nicht gerade eine Empfehlung für Brüssel. Und auf EU-Parkett ist er bisher kaum in Erscheinung getreten, sieht man einmal von seiner dubiosen Rolle als Gastgeber des Azoren-Gipfels kurz vor dem Irak-Krieg ab. Damals brachte Barroso die Kriegsgegner Deutschland und Frankreich gegen sich auf - heute sind sie offenbar bereit, ihn als Kompromisskandidaten zu akzeptieren. Doch selbst mit ihrer Zustimmung bleibt Barroso nur dritte Wahl."
Die STUTTGARTER ZEITUNG widmet sich der Diskussion um die Arbeitszeitverlängerung in Deutschland. "Was über Jahrzehnte in harten Streiks an Arbeitszeitverkürzung errungen wurde, sehen die Arbeitnehmervertreter plötzlich in ihren Händen zerrinnen. Auch im öffentlichen Dienst: Bayern prescht mit einer 42-Stunden-Woche voran, andere Länder und der Bund ziehen mit 41 und 40 Stunden nach. Obwohl die Tarifrunde erst zum Jahreswechsel ansteht, macht Verdi schon jetzt mobil. Viele Menschen sind offenbar bereit, länger zu arbeiten, sofern der eigene Arbeitsplatz erhalten bleibt. Und sie nehmen es hin, wenn in anderen Bereichen Stellen gestrichen werden. Die Arbeitnehmer sind flexibler, als es Funktionären lieb sein kann."
Die HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE aus Kassel schreibt dazu:
"Die 40-Stunden-Woche ist lange keine Glaubensfrage mehr. Im weltweiten Wettbewerb ist sie eine Frage des blanken Überlebens. Das Modell Siemens zeigt, dass die Gewerkschaften in der Lage sind, aus ihrer ideologischen Schmollecke herauszukommen und sich der Wirklichkeit zu stellen. Den Glauben an diese neuerworbene Fähigkeit sollte sich niemand nehmen lassen. Auch nicht von IG-Metall-Chef Jürgen Peters, der beschwörend vom großen Einzellfall spricht. 'Am Samstag gehört Papi uns.' Mit diesem Slogan sind die Gewerkschaften in den 70er Jahren in den Kampf gezogen. Heute muss es darum gehen, dass Papis Woche nicht nur aus freien Tagen besteht - sondern Papi eine Arbeit hat."
Abschließend meint die ABENDZEITUNG aus München:
"Unzählige Firmen in Deutschland stecken tief in der Krise, weil ihre Produkte auf dem Weltmarkt zu teuer sind. Sie verlagern Jobs ins Ausland oder machen Werke ganz dicht. Mit einer längeren Arbeitszeit können sie ihre Produkte günstiger anbieten und werden konkurrenzfähiger. Die hohen Arbeitskosten sind ein deutsches Grundübel und die Hauptursache für die hohe Arbeitslosigkeit. Alles, was Firmen hier entlastet, ist gut. Eine längere Arbeitszeit ist für die Beschäftigten nicht schön - hilft aber gegen noch mehr Arbeitslosigkeit."
Zusammengestellt von Annamaria Sigrist.