Pressekodex wird nicht verändert
9. März 2016Alles bleibt wie es war. Das teilte der Deutsche Presserat nach seinen Beratungen mit. An der bisherigen Richtlinie soll sich nichts ändern, beschloss das Gremium mit überwiegender Mehrheit. Die Expertenrunde entschied darüber, wann Medien Angaben zur Herkunft oder Religion von Straftätern machen dürfen. Die seit Anfang der 1970er Jahre bestehende Richtlinie des Pressekodex empfiehlt, dass ein "begründeter Sachbezug" zur Straftat bestehen muss, wenn Journalisten erwähnen, dass der Täter oder Verdächtige einer religiösen, ethnischen oder anderen Minderheit angehört. Zu beachten sei, "dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte".
Presserat: Weder Zensur noch Maulkorb für Journalisten
Die Vollversammlung des Presserates sei überein gekommen, dass die Richtlinie kein Sprachverbot oder ein Maulkorb für Medien darstelle, sagte der Geschäftsführer des Presserat Lutz Tillmanns dem Evangelischen Pressedienst. Auch den Vorwurf der Zensur wies er zurück. Die Redaktionen seien autonom in ihren Entscheidungen, wann sie die Nationalität mutmaßlicher Straftäter nennen und wann nicht, betonte Tillmanns.
Zugleich erkenne man jedoch an, dass in den Redaktionen Unsicherheit über die Anwendung herrsche. Dabei wolle man Journalisten künftig verstärkt Hilfestellung leisten, erklärte er. Geplant sei deshalb ein Leitfaden zur Auslegung der Regel, der den Redaktionen zur Verfügung gestellt werden soll.
Schon im Vorfeld der Entscheidung hatte Tillmanns betont, dass der Pressekodex eine "berufsethische Verpflichtung und keine Handlungsanweisung" sei. Die Richtlinie lasse Informationen zur ethnischen Zugehörigkeit oder Religion im Zusammenhang mit Straftaten durchaus zu, so Tillmanns weiter. "Aber wenn in einem Achtzeiler bei Verdacht einer Straftat die Rede von einem ägyptischen Asylbewerber ist, ist das aus unserer Sicht ein diskriminierender Vorgang."
Verdacht der "Lügenpresse"
In vielen Redaktionen ist die Richtlinie dennoch umstritten. Die Kritik daran wurde zuletzt vor allem wegen der Berichterstattung über die zahlreichen Straftaten in der Silvesternacht in Köln schärfer. In der Berichterstattung war von nordafrikanisch aussehenden Männern die Rede, ohne die Herkunft klar zu benennen. Der von der Pegida-Bewegung öffentlich erhobene Vorwurf der "Lügenpresse" bekam neue Nahrung. Hinter dem "Lügenpresse"-Vorwurf stehe der Verdacht, die Herkunft von Tätern werde nicht genannt, weil es Absprachen zwischen Staat, Polizei und Medien gebe, solche Informationen zu unterdrücken, so Tillmanns im Vorfeld der Entscheidung.
Die nun bestätigte Richtlinie zur Herkunftsnennung mutmaßlicher Täter lässt weiterhin Spielräume offen und gibt keine klare Antwort wie Ja oder Nein. Im Vorfeld der Sitzung des Presserates war diskutiert worden, ob der Text mit einer Liste von Beispielen ergänzt werden sollte, die klar machen, in welchen Fällen ein "begründeter Sachbezug" besteht. Nach Einschätzung der "Bild"-Chefredakteurin Tanit Koch geht es immer um eine Einzelfall-Entscheidung. Die Richtlinie schränke Journalisten aber unzulässig ein und bevormunde die Leser. Ihre Anwendung schüre das Misstrauen gegen journalistische Arbeit. Menschen würden merken, so Koch, wenn ihnen relevante Informationen vorenthalten würden.
Kritik an der Entscheidung
Christian Lindner, Chefredakteur der in Koblenz erscheinenden "Rhein-Zeitung", bedauerte die Entscheidung und erklärte: "Wir werden uns an die Richtlinie 12.1 nicht mehr gebunden fühlen." Lindner kündigte eigene Empfehlungen für seine Redaktion an, "die hilfreicher sein werden als die aus der Zeit gefallene Richtlinie 12.1".
Die "Sächsische Zeitung" erwägt, die Herkunft von Straftätern in der Berichterstattung künftig generell anzugeben. Chefredakteur Uwe Vetterick, der an der Sitzung des Presserats teilgenommen hatte, schlug dabei vor, künftig konsequent die Nationalität zu nennen, egal ob es sich dabei um Deutsche handele oder um Ausländer. Vetterick begründete das mit den Ergebnissen einer repräsentativen Befragung: Sie habe gezeigt, dass viele Leser davon ausgingen, die Täter seien Asylbewerber, wenn in der Berichterstattung keine Nationalität genannt werde.
Wächter über die Pressefreiheit
Der Presserat ist das freiwillige Selbstkontrollorgan der gedruckten Medien in Deutschland. Der Berufsverband von Verlegern und Journalisten versteht sich als Wächter über Pressefreiheit und publizistische Ethik. Das "Handbuch" des Rates ist der sogenannte Pressekodex. Dieser umfasst 16 Ziffern, die Maßstäbe zum Beispiel zur Trennung von Werbung und Redaktion oder zum Schutz der Persönlichkeit beschreiben.
Gegründet wurde der Rat 1956, um damals staatliche Kontrollinstanzen zu verhindern. Diese Sorge ist inzwischen in den Hintergrund getreten. Heutzutage ist der Presserat hauptsächlich eine Art Beschwerdestelle. Jeder Bürger kann sich hier über analoge oder digitale Veröffentlichungen in deutschen Zeitungen oder Zeitschriften beschweren. Im vergangenen Jahr baten 2358 Leser um eine Überprüfung von Artikeln, Interviews oder Fotos. Der Presserat kann aber auch selbst eine Beschwerde einleiten, Rügen oder Missbilligungen aussprechen.
Soziale Medien schaffen parallele Öffentlichkeit
Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Frank Überall, hatte zur Diskussion gesagt, dass die Medien im Fall Köln nicht wegen des Pressekodexes spät und zum Teil zurückhaltend berichtet hätten. Grund sei vielmehr die Desinformation der Polizei gewesen. Nach der Entscheidung begrüßte Überall die Position des Presserates: "Ich halte das genau für die richtige Entscheidung, weil die Richtlinie 12.1 nach wie vor tragfähig ist", sagte er. "Das Thema darf nun aber nicht zu den Akten gelegt werden, wir müssen uns damit beschäftigen, wie die Richtlinie im Alltag gelebt wird."
Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDVZ) hatte dagegen dafür plädierte, die Richtlinie auf ihre Alltagstauglichkeit zu überprüfen. Das sei wegen der Schnelligkeit in den sozialen Netzwerken notwendig. Dort seien die Angaben zu Herkunft und Alter von Straftätern oftmals von dritter Seite sowieso verfügbar.
Der DJV-Vorsitzende Überall argumentierte, in sozialen Netzwerken seien Fakten oft egal. Zum journalistischen Handwerk aber gehöre die sorgfältige Recherche, also auch das Gegenprüfen von Informationen, bevor diese veröffentlicht würden. Auch von der Idee, die Nationalität immer zu nennen, halte er wenig. Was nämlich sei mit Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft oder mit Migranten, die schon 20 Jahre in Deutschland lebten?