Pressefreiheit weltweit bedroht
3. Mai 2016"Es sind düstere Zeiten für die Presse- und Meinungsfreiheit und für die Menschenrechte allgemein", sagt der ägyptische Anwalt und Menschenrechtler Gamal Eid. Gegen ihn und den Menschenrechtsaktivisten Hossam Bahgar steht der Prozess in Kairo wegen "Rufschädigung seines Landes" noch aus - Ausgang ungewiss.
"Es ist heute gefährlich als Journalist zu arbeiten oder seine Meinung in einem Roman, im Internet oder in einer Zeitung zu äußern", sagt Eid der Deutschen Welle und bezieht sich dabei nicht nur auf sein eigenes Land Ägypten, sondern auf die gesamte Region Nordafrika und Nahost.
Diese Einschätzung trifft weltweit zu, zeigt der Jahresbericht der Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG). Im Jahr 2015 haben 110 Journalisten, 27 Bürgerjournalisten und sieben Medienmitarbeiter ihre Arbeit mit dem Leben bezahlt. Der Bericht wird auf der Grundlage eines umfangreichen Fragebogens und auf Beobachtungen in 180 Ländern erstellt.
Mit der Überschrift "Pressefreiheit weltweit auf dem Rückzug" fasst die Organisation die negative Entwicklung 2015 zusammen. "Es gibt nicht den einen gemeinsamen Nenner, aber es gibt ein paar, auf die man es reduzieren kann", sagt Pressereferent Christoph Dreyer von Reporter ohne Grenzen (RoG). So spricht er von "Regierungen mit autokratischen Tendenzen, wie zum Beispiel die Türkei".
DW-Auszeichnung für "Hürriyet"-Chefredakteur
In der Türkei werden regierungskritische Journalisten massenhaft vor Gericht gezerrt und Internet-Seiten gesperrt. Der diesjährige Preisträger des "Freedom of Speech Award" der Deutschen Welle ist der "Hürriyet"-Chefredakteur Sedat Ergin, der wie viele andere Journalisten wegen angeblicher Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten Erdogan vor Gericht steht. Er erhält den Preis "stellvertretend für Hunderte von Journalisten in der Türkei, die unter ähnlich schwierigen Bedingungen arbeiten müssen", so die Begründung des DW-Intendanten Peter Limbourg.
In anderen Ländern wie Russland, so Dreyer von RoG, würden die Spielräume für eine unabhängige Presse systematisch eingeschränkt - mit Erfolg, wie es scheint.
"Formal gibt es keine Verbote, aber jeder weiß, was man wo sagen darf", schreibt der unabhängige russische Journalist und Blogger Alexander Pljuschtschew. Er arbeitet für den kritischen Sender "Echo Moskwy" und als Kolumnist für DW-Russisch. "Wenn eine besonders mutige Redaktion geschlossen oder verkauft wird, protestiert niemand", schreibt er in seiner DW-Kolumne "Meinungsfreiheit verkauft".
Blogger riskieren ihr Leben
Die Versuche, eine freie Presse zu unterdrücken, sind vielfältig. In bewaffneten Konflikten gehören Journalisten zu den ersten Opfern, erzählt Christoph Dreyer. In Ländern mit medienfeindlichen Ideologien, zum Beispiel Saudi-Arabien oder Bangladesch, riskieren Blogger ihr Leben, wenn sie kritisch über die Religionsausübung berichten.
Der saudi-arabische Blogger Raif Badawi, dem im letzten Jahr der Sacharow-Preis des Europaparlaments und der erste "Freedom of Speech Award" der Deutschen Welle verliehen wurde, ist nur ein Beispiel dafür. Nach seiner öffentlichen Auspeitschung im Januar 2015 ist er weiterhin als politischer Gefangener inhaftiert. Im Mai 2014 wurde er zu zehn Jahren Gefängnis und insgesamt eintausend Peitschenhieben verurteilt, unter anderem weil er Muslime, Christen, Juden und Atheisten als gleichwertige Menschen bezeichnet hatte.
In Bangladesch wurden 2015 vier säkulare Blogger wegen ihrer Arbeit ermordet. Die Behörden unternehmen wenig, um die Täter zu finden.
Terrorbekämpfung auf Kosten der Medienfreiheit
Auch Dunja Mijatovic sieht die weltweite Entwicklung mit Sorge. Seit 2010 ist sie Beauftragte für Medienfreiheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und verfolgt die Entwicklungen in den 57 Partnerstaaten mit zunehmender Sorge.
"Die OSZE-Staaten unterscheiden sich nicht wesentlich vom Rest der Welt, wenn es um Medienfreiheit und Journalismus geht", sagte die Medien- und Menschenrechtsexpertin im DW-Interview am Rande einer Europäischen Journalisten-Konferenz.
Sie nennt insbesondere die Anti-Terror-Maßnahmen, die in vielen Ländern die Presse- und Medienfreiheit eingeschränkt haben. "Es geht nicht darum, das legitime Recht einer Regierung in Frage zu stellen, den Terror oder andere Bedrohungen zu bekämpfen", betont sie. "Doch es darf nicht auf Kosten der Menschenrechte und auf Kosten der Meinungsfreiheit geschehen. Die Medienfreiheit ist ein wesentlicher Teil einer Demokratie."
Dabei sind es bei weitem nicht nur die "üblichen Verdächtigen", die Gegenstand der Veröffentlichungen der OSZE-Beauftragten sind. Am 6. April forderte Mijatovic aufgrund eines aktuellen Gerichtsurteils die kanadische Regierung auf, den Quellenschutz für Journalisten zu verbessern. Die Entscheidung der deutschen Bundesregierung, ein Strafverfahren gegen den Satiriker Jan Böhmermann auf Wunsch der Türkei wegen dessen Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten Erdogan zuzulassen, bezeichnet sie als "besorgniserregend". Grundlage für die Entscheidung war der umstrittene Paragraph 103 des Strafgesetzbuchs.
Cyberspace als Kriegsschauplatz
Zur Medienfreiheit gehöre auch das Internet. Insgesamt, so Mijatovic, erweitere die Digitalisierung die Möglichkeiten nicht nur für die journalistische Recherche, sondern vor allem auch für die Verbreitung der Medien. Doch die Unterdrückung der Medien finde längst auch digital statt.
"Der neue Kriegsschauplatz der freien Medien ist der Cyberspace", betont Mijatovic im DW-Interview. "Die Globalisierung der Medien und der Informationszugang und nicht zuletzt auch die neuen Blogger-Journalisten machen manche Regierungen sehr nervös. Und sie versuchen diese Digitalisierung zu unterdrücken."
Reporter ohne Grenzen bemängeln in den USA die zunehmende digitale Überwachung der Presse durch die Nachrichtendienste und kritisieren die Verfolgung von Whistleblowern unter der Präsidentschaft Barack Obamas scharf.
Zensurprogramme in Ländern wie China oder auch dem Iran sperren den Zugang der Bürger zu unerwünschten Internetseiten. Auch die Türkei bedient sich gerne die Sperrung kritischer Internetseiten.
Afrika verliert an Freiheit
In Afrika werden neue Freiheiten für die Medien wieder zurückgefahren. In vielen Ländern wird die Lage der Medien als "schwierig" bis "sehr ernst" eingestuft.
Burundi findet man auf dem RoG-Index weit unten, auf Platz 156. "Regierungskritische Journalisten werden häufig eingeschüchtert", so der Länderbericht der RoG. Der Blogger Alain Amrah Horutanga beschreibt die aktuelle Situation nach einem Putschversuch gegen Präsident Pierre Nkurunziza im Mai 2015:
"Die Leute auf der Straße haben Angst, ihre Meinung zu äußern, mehrere Journalisten mussten das Land verlassen oder stehen vor Gericht. Unsere Meinungsfreiheit ist bedroht, und die Journalisten, die noch in Bujumbura leben, müssen sich verstecken", so Horutanga in einem Gespräch mit DW-Journalist Eric Topona aus dem Tschad. Auch Topona musste nach einer Verhaftung wegen "Gefährdung der Verfassungsordnung" seine Heimat verlassen und lebt seitdem in Bonn.
Tunesien als Aufsteiger
Es gibt jedoch auch positive Beispiele: Aufsteiger des Jahres ist Tunesien, das in der RoG-Rangliste von Platz 126 auf Platz 96 vorgerückt ist. Es sei bei weitem nicht alles rosig, so RoG-Sprecher Dreyer. Kritische Journalisten werden weiterhin drangsaliert, doch es finden keine willkürlichen Festnahmen von Journalisten mehr statt. Und der neue gesetzliche Rahmen gebe zumindest Anlass zur Hoffnung, dass sich das nordafrikanische Land in die richtige Richtung bewege.
Sieben Länder haben sich unverändert ganz am Ende der Rangliste gehalten: Der Sudan, Vietnam, China, Syrien, Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea.