1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Preiswert wohnen

Eric Segueda 3. Juli 2012

Niedrige Kosten, Anteile statt Privateigentum: Wohngenossenschaften sind in Deutschland immer noch beliebt. Die ersten deutschen Wohngenossenschaften sind vor 125 Jahren entstanden.

https://p.dw.com/p/15QQf
Mehrgenerationenhaus in Bonn (Foto: DW/Elena Singer)
Mehrgenerationenhaus in BonnBild: DW

Klaus Rascher ist seit 1962 Mitglied der Wohnungsgenossenschaft Aufbau Dresden, der zurzeit größten Genossenschaft in Deutschland. Nach seiner Hochzeit brauchte er Anfang der 1960er Jahre dringend eine Wohnung für sich und seine Frau: "Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder man bekam eine Wohnung im kommunalen Bereich, aber diese waren sehr knapp und man musste viele Jahre warten. Oder man trat in eine Genossenschaft ein, leistete dort durch finanzielle Anteile und manuelle Eigenleistung selbst einen Beitrag zum Aufbau von Wohnungen und hatte damit die Chance, sofort eine Wohnung zu bekommen", erzählt er.

Der heute 74-Jährige lebt immer noch in dieser Drei-Zimmer-Wohnung und zahlt dafür nur 350 Euro im Monat: für deutsche Verhältnisse eine sehr preiswerte Miete. "Es ist immer noch das Beste, was man haben kann, wenn man nicht selber baut und investiert", meint Rascher.

Aufschwung in der Not

Wohnungsgenossenschaften gibt es seit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. In besonders schweren Zeiten - zum Beispiel nach den beiden Weltkriegen - war die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum ohne großes finanzielles Risiko besonders groß. In Zeiten des Wirtschaftsbooms galten Wohnungsgenossenschaften als altmodisch, doch in der aktuellen Krise werden sie nun wieder entdeckt. Mittlerweile gibt es in der Bundesrepublik knapp 1900 Wohnungsgenossenschaften mit über zwei Millionen Wohnungen. Grundprinzipien sind Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung.

"Wir haben eine Satzung, in der vorgeschrieben ist, welche finanziellen Anteile man für eine bestimmte Wohnungsgröße zahlt", erklärt Gita Müller, Vorstandsvorsitzende der Baugenossenschaft Aufbau Dresden. "Man wird Mitglied, hat ein Mitspracherecht und kann dann eine Wohnung mieten".

Schlüssel auf einem Wohnungsmietvertrag
Ein Vorteil der Genossenschaften: Günstige MietenBild: picture-alliance / Sven Simon

Auch Klaus Rascher ist damit heute Miteigentümer seiner Genossenschaft. "Wenn ich aus der Genossenschaft austrete, werden die eingezahlten Genossenschaftsanteile aus dem Genossenschaftsfonds an mich oder, im Fall meines Todes, an die Erben ausgezahlt", sagt er.

Wenig Neubau

Die Genossenschaftswohnungen sind preiswerter als Wohnungen auf dem privaten Markt und werden meist gut erhalten. Doch dieses System hat auch Nachteile, meint Kay Nöll, Referatsleiter für experimentellen Wohnungsbau im Bauministerium des Landes Nordrhein-Westfalen: "Genossenschaften sind gut darin, ihre alten Bestände zu pflegen, um dort gutes, sicheres und preiswertes Wohnen zu ermöglichen, aber sie sind nicht so stark, wenn es darum geht, die Wohnungsnot durch Neubau zu lindern".

Neubau-Wohnungen würden jedoch auch die junge Generation anziehen, meint der 22-jährige Maschinenbaustudent Timo. Er ist Mitglied der WGF Wohnungsgenossenschaft in Stuttgart und schätzt die günstige Miete und den guten Wohnstandard bei den Genossenschaften. "Aber ich lebe hier nur mit älteren Mitbewohnern. Das heißt, dass das soziale Umfeld für mich nicht ganz ansprechend ist", bemängelt der Student.

Dabei könne eine Genossenschaften mit Zuschüssen vom Bundesland rechnen, wenn sie neu bauen würde, betont Referatsleiter Kay Nöll. Mit Hilfe dieser Fördermittel hat auch die Genossenschaft "Gut in Widdersdorf" in Köln ein erfolgreiches Bauprojekt gestartet.

Bau eines Hauses im Neubaugebiet Wittenberg südlich von Hamburg
Genossenschaften bauen zu wenig, kritisiert Kay NöllBild: picture-alliance / dpa / Themendienst

Soziale Genossenschaften

Ziel dieses Förderprogramms der Landesregierungen ist es, durch die Baugenossenschaften bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Doch nicht nur das Geld soll im Mittelpunkt stehen. "Der Kerngedanke ist, dass wir als Profis Genossenschaften entwickeln, neu gründen und auch neu bauen", erzählt Josef Hennebrüder, der das Bauprojekt der Genossenschaft "Gut in Widdersdorf" in Köln gestartet hat. Dabei berücksichtige man auch zeitgemäße Energiestandards. Passivhäuser seien der Standard - also Häuser, die durch ihre sehr gute Wärmedämmung im Winter keine klassische Heizung benötigen.

In der Genossenschaft "Gut in Widdersdorf" entstehen zurzeit knapp 70 Wohnungen. "Wir haben dieses Bauprojekt so angelegt, dass alle Bewohner aus dem Innenhof ihre Wohnungen erschließen", sagt Adrian Hatzfeld, Architekt der Kölner Genossenschaft "Gut in Widdersdorf". Dadurch fördere die Architektur die Kommunikation zwischen den Bewohnern: "Es sind ein paar Gemeinschaftseinheiten dabei, zum Beispiel das Café für die Bewohner, Atelierräume und Gästeappartements."

Damit werde nicht nur ein finanzieller, sondern auch ein sozialer Aspekt berücksichtigt. Das Ziel: Ein generationsübergreifendes Wohnprojekt nach dem Solidaritätsprinzip der Genossenschaftsbewegung.