Wie überleben unabhängige Verlage?
3. April 2019Zwei große Herausforderungen sind es, die die Verlagsszene aktuell in Atem halten: Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat mit einer Studie aufgewartet, die belegt, dass die Zahl der Leser im Alter von 20 bis 49 weiterhin abnimmt. Hinzu kommt die Digitalisierung, die dem Buchmarkt erheblich zusetzt. Verschärft wird die Situation durch die Insolvenz des größten deutschen Zwischenbuchhändlers, der Stuttgarter Firmengruppe Koch, Neff und Volckmar (KNV). Von der Insolvenz sind besonders die unabhängigen Verlage betroffen. Die Szene ist alarmiert.
Was ist ein unabhängiger Verlag?
In Deutschland gibt es etwa 3.000 Buchverlage, ein Drittel davon sind Publikumsverlage, die keine Fachbücher oder Bildungs- und Lehrmaterialien verkaufen. Rund sieben Prozent der Verlage machen 95 Prozent des Gesamtumsatzes von mehr als fünf Milliarden Euro. Zu den restlichen 93 Prozent gehören die kleinen und mittleren unabhängigen Verlage. Das sind oft Unternehmen, die mit viel Engagement, wenig Geld und von einer kleinen Gruppe Menschen betrieben werden und die im Jahr weniger als zehn Bücher publizieren.
Formale Kriterien, um als unabhängig anerkannt zu werden, gibt es auch: Entscheidend ist, dass der Verlag keinem Konzern angehört, über eine professionelle verlegerische und vertriebliche Struktur verfügt und jährlich mindestens zwei Titel veröffentlicht. Nicht als unabhängig gelten die vielen Verlage, die sich auf Basis von Druckkostenzuschuss finanzieren. Ein "Unabhängiger" muss einen Jahresumsatz haben, der unter fünf Millionen Euro liegt - eine Vorgabe, die bei den meisten kleinen und mittleren Verlagen nur sarkastisch zur Kenntnis genommen werden dürfte.
Existenzbedrohende Verluste durch Insolvenz eines Zwischenhändlers
Nachdem mit KNV ein Riese der Branche in die Knie gegangen ist, droht vielen unabhängigen Verlagen der Verlust eines hohen Prozentsatzes ihres jährlichen Umsatzes. Die Ursache liegt in einem nicht unwesentlichen Detail: Anders als die großen Verlagshäuser, die ihr Geld von den Zwischenhändlern nach 30 Tagen bekommen, beliefern kleine Verlage Zwischenhändler wie KNV mit einem Zahlungsziel von 60 Tagen; manche Verlage erhalten das Geld für ihre Bücher sogar erst nach drei Monaten. KNV hat im Februar Insolvenz angemeldet: Für die meisten unabhängigen Verlage bedeutet das den Ausfall des Weihnachtsgeschäfts, der bedeutendsten Einnahmequelle des Jahres.
Für einige sind die Umsatzeinbußen existenzbedrohend. "Die Dezemberrechnungen tragen einen durchs Jahr, und wenn das ausbleibt, ist es schwierig, diese Lücke zu schließen", fasst Frauke Hampel von der Connewitzer Verlagsbuchhandlung die Situation zusammen.
Hinschmeißen oder weitermachen?
"Vielleicht wäre es klug, einfach hinzuschmeißen", überlegten die Verleger von Voland & Quist, nachdem ihnen das Ausmaß der Verluste klar geworden war. Sie waren die ersten, die ihre Einbußen in ihrem Verlagsblog öffentlich bezifferten: "Offene Rechnungen von über 65.000 Euro, zwölf Prozent vom Jahresumsatz. Mit der ausstehenden Summe können wir ein ganzes Jahr Programm gestalten. Wir könnten Bücher drucken, Cover kreieren, Texte übersetzen lassen …" 15 Jahre Verlagsarbeit drohen im unverschuldeten finanziellen Ruin unterzugehen. Sie machen trotz ihrer Wut weiter.
Verlage gegen geistige Monokultur
Denn den meisten Kleinverlegern geht es nicht nur darum, Bücher zu verkaufen. "Die Arbeit der kleinen unabhängigen Verlage hat einen hohen künstlerischen, aber auch gesellschaftlichen Wert", sagt Britta Jürgs, die Vorstandsvorsitzende derKurt Wolff Stiftung. Die im Jahr 2000 gegründete Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Arbeit zu fördern. Über 100 unabhängige Verlegerinnen und Verleger gehören zu ihrem Freundeskreis. Im Frühjahr, auf der Leipziger Buchmesse, vergibt die Stiftung alljährlich zwei Preise, einen Hauptpreis, den in diesem Jahr Andreas Meyer vom Merlin-Verlage erhielt, der mit über 60 Jahren einer der ältesten unabhängigen Verlage Deutschlands ist, und einen Förderpreis.
"Die kulturelle Vielfalt wird in Deutschland maßgeblich von der Existenz und dem Wirken der vielen kleineren, unabhängigen Verlage geprägt", so beschreibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels als Branchenverband die Funktion der vielen Kleinverleger. Auch die Bundesregierung hat den Ernst der Lage erkannt. Im Oktober 2018, Monate vor der KNV-Insolvenz, kündigte Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Auslobung eines Deutschen Verlagspreises an. Ihr Engagement gegen die "Bewirtschaftung einer geistigen Monokultur, in der nur überlebt, was hohe Verkaufszahlen garantiert", bekräftigte sie in Leipzig.
Grütters lobt einen Verlagspreis aus
Am Mittwoch (3.4.) wurde nun bekannt, wie der angekündigte Verlagspreis konkret aussehen und mit welchen Summen er unterfüttert sein wird: mit über einer Million Euro. Ab Mai können sich kleine und unabhängige Verlage bewerben. Im Oktober sollen die Preise in drei Sparten auf der Frankfurter Buchmesse vergeben werden. Drei Hauptpreise mit Prämien von jeweils 60.000 Euro sind zu gewinnen, daneben sollen bis zu 60 herausragende Verlage mit einem Gütesiegel und jeweils 15.000 Euro ausgezeichnet werden. Drei große Verlage, deren Jahresumsatz drei Millionen Euro übersteigt, können mit einem undotierten Gütesiegel gewürdigt werden.
Die meisten unabhängigen Verleger halten eine über einen Preis hinausgehende strukturelle Förderung, wie es sie in der Schweiz und in Österreich bereits gibt, für unabdingbar. Denn die meisten von ihnen sehen diese Vielfalt aktuell bedroht. Ursi Anna Aeschbacher vom Bieler Verlag "Die Brotsuppe", die für "Swips", den Schweizer Verband der Unabhängigen, spricht, unterstützt die Forderung aufgrund ihrer eigenen Erfahrung: "Unbedingt brauchen unabhängige Verlage eine Förderung. Nur so können unsere demokratischen Länder dafür sorgen, dass die Autoren, die in diesen Ländern leben (ganz egal, welche Nationalität sie haben), auch Ausdruck finden. Sonst gibt es nur noch Bücher von diesen riesigen Verlagen, und das können wir einfach nicht hoffen."
Auch Andreas Rostek von der edition.FotoTapeta hofft, dass der zukünftige Verlagspreis mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein bewirken wird. "Als Fährtenhunde und Entdecker bei einer Tiefenbohrung in Literatur und Geschichte, dafür sind kleine Verlage in der Tat unverzichtbar", meint er. Bei einem Preis für Verlage sollte der ökonomische Anteil im Vordergrund stehen. "Wir haben zum Beispiel gute Kanäle zu Belarus und machen europäische Kulturarbeit, wofür es kaum Förderung gibt. Da steckt viel Arbeit und Engagement drin, um so einen europäischen Austausch zu gewährleisten. Ich fände es schön, wenn es für derartige Verlagsarbeit Fördermittel gäbe."
Verlagsförderung als Investition in die Demokratie
Für seine verlegerische Arbeit, mit der er uns "die Lebenswelt osteuropäischer Länder näher bringt", so die Jury, erhielt der Journalist in diesem Jahr den Kurt-Wolff-Förderpreis: "Unabhängige Verlage stellen Vieles für eine Öffentlichkeit zur Verfügung, was ein größerer Verlag am Wegesrand liegen lassen würde", so Rostek. "Zum Beispiel bei uns die Bücher von Moyshe Kulbak, Übersetzungen aus dem Jiddischen oder den in Polen wahnsinnig bekannten Miron Białoszewski, den in Deutschland so gut wie niemand kannte - solche Bücher können kleine Verlage machen, wenn sie das richtig und gut finden."
Britta Jürgs hofft darauf, dass zukünftig vielleicht sogar zwei Preise nebeneinander die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung unabhängiger Verlage stärken, weiterhin der Kurt-Wolff-Preis und Monika Grütters neuer, nach dem Vorbild des Deutschen Buchhandlungspreises gestalteter Verlagspreis. "Wir investieren mit einer Förderung in Raritäten abseits der Massenverträglichkeit, in unbequeme Stimmen und Neudenker", so sieht es die Stiftungsverantwortliche. "Wir investieren letztlich in die kulturelle Vielfalt - und in unsere Demokratie."