Vom Träumen und Leiden der Tiere
20. März 2017In Deutschland ist die Fleischproduktion in den letzten 20 Jahren rasant gestiegen. Die Erzeugung von Schweinefleisch wuchs um 50 Prozent, bei Geflügelfleisch sind es sogar 75. Immer weniger Mastbetriebe produzieren in nicht-artgerechter Haltung immer mehr Fleisch für den Weltmarkt. Gleichzeitig empfinden immer mehr Menschen großes Unbehagen angesichts der Bedingungen, die für die Tiere in den industriellen Agrarbetrieben eine Qual sind - selbst Menschen, die gern Fleisch essen und nicht zur wachsenden Zahl von Vegetariern oder Veganern gehören. Das Thema ist mitten in der Gesellschaft.
Tiere sind uns näher, als wir denken, behauptet Peter Wohlleben in seinem Bestseller "Das Seelenleben der Tiere". Wie könne es also sein, dass dass wir Menschen sie jagen, einsperren, quälen, töten und ihnen jegliche Gefühle, selbst die Leidensfähigkeit absprechen? Der "Förster aus der Eifel" und Deutschlands populärster Philosoph, Richard David Precht, haben sich die Sache unserer geschundenen Mitkreaturen unabhängig voneinander zueigen gemacht. Der eine, indem er vor allem emotional begreiflich macht, wie ignorant und grausam unser Umgang mit Tieren ist. Der andere mit kategorischen Analysen, wie er sie in seinem jüngsten Buch "Tiere denken" unterhaltsam darbietet.
Zwei Tierversteher gegen Massentierhaltung
Wenn sich beide gemeinsam zum Anwalt der Tiere machen, hören ihnen die Menschen zu - vor einigen Tagen (14.3.2017) bei einem Auftritt im Rahmen der lit.Cologne waren es mehr als 1000, die den Saal bis auf den letzten Platz füllten. Und Wohlleben und Precht schaffen es mit ihrem Plädoyer, dass die meisten von ihnen auf einmal bereit sind, Dinge zu glauben, die sie kurz zuvor vielleicht noch lächerlich gefunden hätten. Dass Tiere Gefühle haben, ist dabei sicherlich noch am einfachsten nachvollziehbar. Auch, dass sie ebenso wie wir Menschen hormongesteuert sind, dass sie miteinander sprechen und dass manche Arten, wie zum Beispiel die Kolkraben, lebenslange Beziehungen eingehen, Freundschaften pflegen und sich noch nach Jahren wiedererkennen, ist inzwischen wissenschaftlich belegt.
Aber wer hätte auf Anhieb geglaubt, dass Fruchtfliegen träumen? Dass Hähne lügen können? Dass es zwischen Fauna und Flora keinen prinzipiellen Unterschied gibt? Dass auch pflanzliche Lebewesen miteinander sprechen, über große Strecken miteinander kommunizieren, dass sie Netzwerke bilden und sich von Wachstumszyklus zu Wachstumszyklus veränderten Umweltbedingungen anpassen, um zum Beispiel Schädlinge zu bekämpfen? Dass Bäume zählen können und Gefühle haben? Wir müssen aus unserem "Gedankengefängnis" ausbrechen, fordert Wohlleben. "Die Natur hat sich für uns Menschen keinen Extraweg ausgedacht." Der Erfolg von "Das geheime Leben der Bäume", seines zweiten Titels auf den Listen der meistverkauften Bücher, zeigt, dass ihm viele Menschen darin folgen.
Tiere haben ähnliche Gefühle wie Menschen
Wir machen unsere Tierliebe an amoralischen, ästhetischen Maßstäben fest, sagt der Berliner Philosoph Precht. In unseren "Liebeshorizont" beziehen wir Tiere ein, die uns gefallen, oder die anrührende Namen haben. Doch wir geben uns keine Mühe, den Schmerz der aus der Öffentlichkeit verbannten Rinder, Schweine, Hühner, Puten, Fische und Krebse, die unseren Hunger nach tierischem Eiweiß stillen sollen, zur Kenntnis zu nehmen. "Seit der Aufklärung betrachten wir Tiere als Reizreflexmaschinen", erklärt Precht, doch "die Geschichte der Aufklärung ist eine maßlose Übertreibung der Vernunft". Gefühle ließen sich sehr schwer beweisen, auch beim Menschen. "Wenn jemand sagt, ich liebe dich - wie könnte er das beweisen? Bei Tieren suchen wir Beweise, die wir beim Menschen nicht einfordern. "
Das Schmerzempfinden bei Tieren gilt noch immer als unbewiesen. Und die Politik, sagt Precht, berufe sich vorgeblich bei ihren Entscheidungen nur auf wissenschaftliche Fakten. Doch letztlich ginge es beim Umgang mit Tieren nicht um Wissenschaft, sondern Ökonomie. "Wir leben im Anthropozän, in einem Zeitalter, das vom Menschen gestalteten ist. Doch tatsächlich müsste man vom Monetozän sprechen, dem Zeitalter des Geldes, des gefräßigen Kapitalismus. Und es ist sehr schwer, einen Menschen von etwas zu überzeugen, das seinen wirtschaftlichen Interessen entgegensteht."
Ethisch sauberes, umweltschonendes Fleisch dank Gentechnologie
Massentierhaltung sei eine grundsätzliche, ethisch-moralische Frage, der Verzehr von Fleisch eine persönliche. Weder Precht noch Wohlleben möchten sich zum Ernährungsberater machen. Gelöst werden müsse das Problem der barbarischen, die Umwelt belastenden Haltungsbedingungen von der Politik. "Ein Bauer verdient ein bis sechs Euro an einem Schwein. Deutschland beliefert den Weltmarkt und ist überall konkurrenzfähig", berichtet Precht. Den entscheidenden Ausweg aus dem Dilemma biete eine neue Art der Fleischproduktion, die derzeit gen-wissenschaftlich erprobt werde. "In zwanzig Jahren essen wir Burger, die aus den Nackenzellen eines Kalbs gezüchtet wurden. Schlachthöfe gibt es dann nur noch als Gedenkstätten."
Peter Wohlleben teilt die Hoffnung auf ein wachsendes Bewusstsein im Umgang mit Tieren. "Immer mehr Menschen, empfinden Respekt vor unseren Mitgeschöpfen und wehren sich gegen das Diktat des Geldes der Großindustrie. Das ist keine Randgruppe mehr, die nicht mehr so in den Spiegel sehen will."
Richard David Precht: "Tiere denken. Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen", Goldmann Verlag 2016, 512 S.
Peter Wohlleben: "Das Seelenleben der Tiere", 2016, 224 Seiten; "Das geheime Leben der Bäume", 2015, 220 Seiten, beide erschienen im Ludwig Verlag