1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Tiger im Tank?

Barbara Wesel
15. Juni 2020

Nach einer Videokonferenz zwischen dem britischen Premier und den Spitzen der EU sollen die Handelsgespräche mit "neuem Schwung" fortgesetzt werden. Woher der jedoch kommen soll, bleibt offen. Von Barbara Wesel, Brüssel.

https://p.dw.com/p/3dorb
Videokonferenz mit Boris Johnson, Ursula von der Leyen und Charles Michel
Bild: Reuters/10 Downing Street/A. Parsons

Politisch war die Videokonferenz zwischen Boris Johnson und den Spitzen der Europäischen Union eher eine Nullnummer. Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel hatten kein Mandat, den Briten neue Angebote zu machen. Und der britische Premier hatte seinerseits keine Offerte in der Tasche. Er glaubt, dass er weiter Druck aufbauen muss, um die EU zu Zugeständnissen bewegen. Einigkeit besteht nur darin, dass man vorerst weiterreden will.

Johnson will mehr "oomph"

In London sagte Johnson nach dem Gespräch mit den EU-Vertretern in Brüssel, um die Verhandlungen abzuschließen brauche man ein bisschen "oomph", zu deutsch: Pep. Die Lautmalerei übersetzt sich in der offiziellen Erklärung in "new momentum" - "neuer Schwung". Wo dieser Impuls allerdings herkommen soll, bleibt offen. Der britische Premier sagte auch: "Ich glaube, wir sind nicht so weit auseinander."

Fischfang in der Nordsee
Streitpunkt Fischfang in der Nordsee: Wunsch nach "großartigem Deal"Bild: Getty Images/AFP/A. Buchanan

Und dann listete er einmal mehr die britischen Wünsche auf: keine Rolle des Europäischen Gerichtshofs im künftigem Handelsvertrag, keine EU-Regulierungen für Großbritannien nach seinem Austritt und einen "großartigen Deal beim Fisch". Was wiederum heißt, dass beide Seiten genau dastehen, wo sie im Frühjahr bei den Gesprächen über das künftige Verhältnis angefangen hatten: am Nullpunkt.

Denn in genau diesen entscheidenden Fragen gab es bisher keine Annäherung. Die EU will, dass die Briten im Arbeitsrecht, beim Umwelt- und Verbraucherschutz nicht hinter die europäischen Regeln zurückfällt. Man will keine Dumping-Produkte aus Großbritannien, mit denen die Briten EU-Hersteller unterbieten könnten. Das ist die Bedingung für den freien Zugang zum großen europäischen Binnenmarkt, und viel wird sich die Europäische Union an dem Punkt nicht abhandeln lassen.

Beim Fisch hatte EU-Chefunterhändler Michel Barnier bereits mögliche Kompromisse angedeutet. Bei der Frage der Rechtsaufsicht über das Abkommen ist noch unklar, wie sie aussehen könnte. Und alle Zusatzforderungen der Briten, die über sonstige Handelsverträge mit Drittländern hinausgehen, dürften sowieso unter den Tisch fallen.

Boris Johnson
Premier Johnson: "Nicht so weit auseinander"Bild: Reuters/10 Downing Street/A. Parsons

Als kleine Geste des Entgegenkommens hat die Regierung in London jetzt der EU im Rahmen des Austauschs der Polizeibehörden den Zugang zu britischen Datenbanken angeboten. Die britische Regierung hofft, daran auch künftig teilnehmen zu können. Aber das ist nur ein winziger Baustein der zahlreichen Einzelbestimmungen, die noch strittig sind.

Keine Verlängerung und wirklich wenig Zeit

Seit dem Brexit sind fünf Monate ohne jegliches Ergebnis verstrichen. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen nahm jetzt zur Kenntnis, dass Boris Johnson keine Verlängerung der Übergangszeit beantragen wird. Das heißt, diese läuft planmäßig am 31. Dezember ab, für ein Abkommen bleibt also nur noch gut ein halbes Jahr.

Der britische Premier versucht, jetzt Druck zu machen: "Je schneller wir das machen können, desto besser, ich sehe keinen Grund, nicht im Juli fertig zu werden. Ich sehe jedenfalls nicht, dass sich das bis in den Herbst/Winter erstreckt, wie es Brüssel vielleicht möchte". Vor dem Treffen war in London noch die Rede von einem Enddatum Ende August, jetzt soll das Handelsabkommen in vier Wochen fertig sein.

Das könnte nur klappen, wenn eine Seite den Vorschlag der anderen quasi kommentarlos unterschreibt. Und dazu wird es nicht kommen. Der britische Handelsexperte David Henig schreibt dazu auf Twitter: "Der Impuls, etwas Albernes über die EU-Gespräche für den heimischen (britischen) Konsum zu sagen, lebt fort. Insbesondere weil die Unterhändler schon eine Verhandlungsrunde im August vereinbart haben".

Charles Michel
Ratspräsidenten Charles Michel: "Niemals gegen die Interessen der Union"Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Seco

EU-Diplomat Michel Barnier hatte in der vorigen Woche einen Fahrplan über weitere Runden veröffentlicht, die ab Ende Juni wöchentlich stattfinden und bis in den August reichen sollen. Tatsächlich wurde weltweit noch nie in so kurzer Zeit ein Handelsabkommen vereinbart, insbesondere das komplizierte Verhältnis EU-Großbritannien bietet sich nicht für Fertigmodelle aus dem Regal an. Man wolle sich wenn möglich auf Grundzüge einigen, heißt es in der Erklärung beider Seiten nach der Videokonferenz von Montag. Das wird nur klappen, wenn eine große Dosis Kompromissbereitschaft in die Gespräche Einzug hält.

Keine Katze im Sack

Warnungen kamen vor allem von EU-Ratspräsident Charles Michel. Er informierte nach dem Gespräch mit Johnson den irischen Premier Leo Varadkar, und erklärte dabei: "Wir werden niemals eine Vereinbarung akzeptieren, die gegen die Interessen der Union geht". In dem Zusammenhang wurden die Briten auch erneut an ihre Verpflichtungen aus dem Austrittsabkommen zur Sicherung der Grenze zu Nordirland erinnert. Bisher ist dazu erkennbar nichts passiert.

Außerdem betonte Michel, die EU sei zwar bereit, den "Tiger in den Tank" zu packen, werde aber "keine Katze im Sack" kaufen. Die Stoßrichtung der tierischen Vergleiche ist klar: Die EU wird kein Handelsabkommen um jeden Preis abschließen. Ähnliche Warnungen kommen immer wieder aus dem Europaparlament, dem der Schutz des EU-Binnenmarktes heilig ist. Auch Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron betonen stets, die Integrität des Binnenmarkts sei das wichtigste Element. Keiner von beiden dürfte bereit sein, den Briten zu geben, was sie wollen: freien Zugang zum EU-Binnenmarkt ohne Konditionen und Kosten.