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Streit um das System

Tilo Wagner24. Mai 2013

Die portugiesische Regierung plant eine neue Abgabe für Rentner und schürt damit auch den Generationskonflikt. Doch der Widerstand gegen die Sparpolitik eint die Protestbewegung der Jungen und der Alten.

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Protestierende Rentner in Lissabon (Foto: Reuters)
Bild: reuters

Jeden Nachmittag geht Angelica Canelo in das Café des Seniorenzentrums, das direkt gegenüber ihrer Wohnung in der Lissabonner Vorstadt Amadora liegt: "Ich spiele Domino oder unterhalte mich mit meinen Freunden. Aber ich esse nicht hier, sondern zu Hause", sagt die 79-jährige Rentnerin. So spart sie sich den Beitrag für das gemeinsame Kaffeekränzchen. Mit ihren 400 Euro, die sie vom Staat monatlich überwiesen bekommt, muss Angelica Canelo gut haushalten, damit es für Miete, Lebensmittel, Telefon und Medikamente reicht. Ob die neuen Sparpläne der portugiesischen Regierung sie direkt betreffen werden, weiß Angelica Canelo noch nicht. Sie stellt sich dennoch auf neue Einschnitte ein: "Ich muss von dem leben, was sie mir geben. Und wenn es für Fleisch oder Fisch nicht mehr reicht, dann esse ich halt Brot und Suppe."

Angelica Canelo vor einem Seniorenzentrum (Foto: DW/T. Wagner)
Die Rentnerin Angelica Canelo geht nur zum Plaudern und Domino-Spielen ins SeniorenzentrumBild: DW/T. Wagner

Verordneter Sparhaushalt

Nachdem das portugiesische Verfassungsgericht im April Teile des Haushaltes für verfassungswidrig erklärt hatte, sucht die Regierung nach neuen Wegen, das Staatsdefizit zu senken. Die Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank drängt darauf, insbesondere die Renten für ehemalige Staatsangestellte zu kürzen. Portugal gibt in Bezug auf seine Wirtschaftsleistung schon jetzt mehr Geld für Renten aus als die Mehrheit der EU-Staaten. Der portugiesische Staat versorgt über 3,5 Millionen Einwohner mit Altersbezügen. Die Unterschiede zwischen den Renten sind sehr groß. Während die Hälfte der ehemaligen Angestellten im öffentlichen Dienst eine Rente von mehr als 1000 Euro erhält, liegen 85 Prozent der Altersbezüge in der Privatwirtschaft unter 500 Euro. Premierminister Pedro Passos Coelho hat nun die Einführung einer neuen Abgabe vorgeschlagen, die die Rentner aus der Privatwirtschaft ebenso betrifft wie ehemalige Staatsbedienstete. Diese Rentenabgabe ist auch innerhalb der Mitte-rechts-Koalition des Regierungschefs umstritten. Ob sie umgesetzt wird, hängt davon ab, ob Portugal bis zum Jahresende sein Defizit auf fünf Prozent senken kann. 

Der Protest formiert sich

Die Pläne der Regierung stoßen in der Bevölkerung auf großen Widerstand. Vor sechs Monaten hat sich eine Gruppe von Rentnern zusammengeschlossen, um gegen die Sparpolitik zu protestieren. Vítor Ferreira leitet das Lissabonner Büro des Rentnervereins. Tausende von verunsicherten älteren Portugiesen hätten sich in kürzester Zeit bei ihm gemeldet, erzählt der ehemalige Versicherungskaufmann: "Wir Rentner wollen natürlich auch unseren Beitrag leisten, um die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen. Uns stört aber, dass wir immer mehr Sonderabgaben zahlen müssen, die ausschließlich die Rentner zu leisten haben." Experten geben Ferreira und seinem Rentenverein Recht: Der ehemalige Arbeitsminister, António Bagão Félix, hat errechnet, dass der reale Einkommensverlust von Rentnern in Portugal in den vergangenen zwei Jahren zwischen 9 und 25 Prozent gelegen habe. Ferreiras Verein fordert eine tiefgreifende Reform des Rentensystems: Anstatt neue Abgaben pauschal auf alle Rentner zu erheben, müssten die Ungerechtigkeiten bei der Altersversorgung von Fall zu Fall analysiert und beseitigt werden.

Vítor Ferreira (Foto: DW/T. Wagner)
Vítor Ferreira engagiert sich für RentnerBild: DW/T. Wagner

Vítor Ferreira wirft der Regierung außerdem vor, in der gegenwärtigen Diskussion einen Generationskonflikt zu schüren. Regierungschef Passos Coelho hatte bei einem Kongress der Jugendorganisation seiner konservativen Partei erklärt, dass viele Rentner in Portugal mehr Geld erhielten, als ihnen eigentlich zustehen würde. Dass er die ältere Generation ausgerechnet bei einer Veranstaltung von jungen Portugiesen ins Visier nahm, sei sehr unsensibel gewesen, sagt Vítor Ferreira: "Wir erleben eine dramatische Wirtschaftslage und gerade die Jugendarbeitslosigkeit ist erschreckend hoch. Ein verantwortungsbewusster Politiker darf diese Themen nicht direkt mit einer Rentenreform in Verbindung bringen, so wie es der Premierminister getan hat." 

Ohne Familie geht nichts mehr

In den EU-Krisenstaaten Portugal, Spanien oder Griechenland sind die Familien ein wichtiger Rückhalt für die jüngere Generation. Die Solidarität zwischen jungen, arbeitslosen Kindern und pensionierten Eltern ist ein Grund, warum in Portugal trotz der Wirtschaftskrise die Armut nicht stärker ansteigt. Der Lissabonner Sozialverband "Cais" schätzt, dass die Zahl der Portugiesen, die an der Armutsgrenze leben, von 24 auf 35 Prozent ansteigen könnte, wenn die Unterstützung von Familien und Freunden wegfallen würden. Der 34-jährige arbeitslose Historiker Tiago Peixoto lebt immer noch zusammen mit seiner Mutter in Lissabon: "Wir unterstützen uns gegenseitig, denn meine Mutter leidet auch unter der Krise. Natürlich würde auch ich gerne mein eigenes Leben aufbauen, unabhängig sein und eine eigene Wohnung haben. Aber das geht zur Zeit nicht. Deshalb leben wir zusammen und zwar ohne große Konflikte." Peixoto ist in einer Zivilbewegung aktiv, die sich insbesondere für die Rechte junger Portugiesen einsetzt. Trotzdem unterstützt er zusammen mit anderen Jugendprotestbewegungen den Widerstand der Rentner - ein Zeichen, dass der Protest gegen die Sparpolitik der Regierung die Generationen bis jetzt noch eint, und nicht entzweit.

Perspektivloses Portugal