Porträt Steinmeier: Moderator und Mahner
13. Februar 2022Frank Walter-Steinmeier wird weitere fünf Jahre das Amt des deutschen Bundeskanzlers innehaben. Ende Mai 2021 war es, als der sonst so zurückhaltende Frank-Walter Steinmeier verkündete, dass er noch einmal für das höchste Amt im Staat kandidieren will. Das war durchaus ungewöhnlich. So kannte man ihn nicht. "Ich möchte unser Land auf dem Weg in die Zukunft begleiten", sagte Steinmeier. Deutschland stehe in der Pandemie, die "Leid und Trauer" gebracht habe, "an einem Wendepunkt". Er wolle "helfen, diese Wunden zu heilen", so Steinmeier.
Noch mal Bundespräsident für fünf Jahre. Er wollte nicht warten, bis er vorgeschlagen wird, wie es eigentlich Usus ist. Und er wird's.
Steinmeier hatte auf Risiko gesetzt und gesiegt. Der Sozialdemokrat wurde von allen Koalitionsparteien - SPD, FDP, Grüne - unterstützt und sogar die Konservativen von CDU/CSU haben sich für ihn ausgesprochen. Sie nominierten keinen Gegenkandidaten. "Gerade in diesen Zeiten braucht es an der Spitze unseres Staates eine glaubwürdige Stimme, die zusammenführt und nicht ausgrenzt" hieß es vom damaligen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet. Die Konservativen wählten also einen Mann, der von der politischen Konkurrenz, der SPD, kommt.
Dialog, Zusammenhalt, Debatte
In seiner fünfjährigen Amtszeit hat Frank-Walter-Steinmeier immer wieder gezeigt, dass er als Integrator und Vermittler wirken will. Jemand, der das Gespräch sucht. Gerade in Krisenzeiten findet er den richtigen Ton.
Frank-Walter Steinmeier pflegt seit längerem Gesprächskreise wie die "Kaffeetafel" oder die "Bürgerlage", zu der er in der für alle Menschen belastenden Pandemiezeit immer wieder eingeladen hatte. Auch Politiker der rechtspopulistischen AfD waren darunter.
Anfang Januar 2022 hatte der Bundespräsident wieder einmal zum Gespräch in seinen Amtssitz gebeten: Pro und Contra Impfpflicht. Impfskeptiker waren ebenfalls zum öffentlichen Gespräch eingeladen. Die ganze Republik - und auch die Runde - debattierte hitzig über das Thema. Aber der Bundespräsident wollte sich nicht klar äußern.
Gleich zu Beginn sagte Frank-Walter Steinmeier: "Als Bundespräsident werde ich mich in dieser Runde nicht zum Ja oder Nein einer allgemeinen Impfpflicht positionieren." Wieder mal: Chance vertan, kein mutiger Impuls, kein Statement, über das die Republik streiten könnte. Steinmeier moderierte die Runde routiniert, wollte nicht anecken, nicht provozieren. Und das war Programm für seine bisherige Amtszeit.
Der Mann aus der Machtmaschine wird Bundespräsident
Den Höhepunkt seiner politischen Karriere erlebte Frank-Walter Steinmeier Anfang 2017. Im Februar wurde er zum ersten Mal ins Amt des Bundespräsidenten gewählt; gleich im ersten Wahlgang. Er lächelte sein breites, schelmisches Steinmeier-Lächeln, freute sich sichtbar über das gute Ergebnis und umriss dann sein Programm: gegen Geschichtsvergessenheit, gegen Rechtspopulismus.
Zwar gebe es "keinen Grund für Alarmismus", aber die Populisten erhitzten die Debatten "durch ein Feuerwerk von Feindbildern", sagte Steinmeier bei seiner Antrittsrede; ohne die AfD zu nennen. Und dann dieser Appell: "Wir müssen über Demokratie nicht nur reden, wir müssen lernen für sie zu streiten!"
Steinmeiers Meisterstück: Kabinett Merkel IV
Die Bewährungsprobe im neuen Amt ereilte den Bundespräsidenten wenige Monate später. Nach der Bundestagswahl im Herbst 2017 konnten sich die Parteichefs nicht auf ein neues Regierungsbündnis einigen; erwogen sogar Neuwahlen. Die Partei Steinmeiers, die SPD, wollte damals partout nicht mehr eine Große Koalition mit der konservativen Union eingehen.
Steinmeier appellierte, das Wahlergebnis ernst zu nehmen und eine funktionierende Regierung zu gründen - mit Erfolg. Im März 2018 wurde das Kabinett Merkel IV gegründet; mit Beteiligung der SPD. In der Geschichte der Bundesrepublik ist diese Vermittlung durch den Präsidenten einmalig. Das Grundgesetz weist dem Bundespräsidenten nämlich sonst - aus historischen Gründen - eher repräsentative Aufgaben im In- und Ausland zu.
Bundespräsident aus "kleinen Verhältnissen" mit großem Herz
Fast idealtypisch für seine Partei, die SPD, kam Steinmeier aus sogenannten "kleinen Verhältnissen". Der Sohn eines Tischlers und einer Fabrikarbeiterin aus dem westdeutschen Detmold machte das Abitur, studierte Jura und promovierte später in dem Fach. 1975 trat Steinmeier in die SPD ein. An der Universität traf er seine spätere Ehefrau, Elke Büdenbender, ebenfalls Juristin.
Die Sympathien der Deutschen errang Steinmeier auch mit einer privaten Entscheidung: Ende 2010 spendete er seiner kranken Frau eine Niere. Die Republik war gerührt und voller Mitgefühl für einen Politiker, der bescheiden blieb: "Das ist weder heldenhaft noch ein Geschenk an meine Frau", sagte Steinmeier damals.
Förderer und Freund: Gerhard Schröder
Die politischen Talente von Frank-Walter Steinmeier entdeckte der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder schon sehr früh. Er wurde zu einem Förderer und Wegbegleiter, holte Steinmeier als Chef des Kanzleramtes nach Berlin, wo er seine Karriere fortsetzte.
Unauffällig, verschwiegen, loyal, selbstlos - so beschreiben Wegbegleiter Frank-Walter Steinmeier. Ideale Voraussetzungen für viele weitere Jobs in der Politik. 2005 berief Kanzlerin Angela Merkel ihn zum Außenminister der Großen Koalition von SPD und Union.
Dann wagte Steinmeier den Schritt auf die ganz große politische Bühne. Bei der Bundestagswahl 2009 trat er – als Kanzlerkandidat – gegen Angela Merkel an und scheiterte kläglich. Die SPD erreichte nur 23 Prozent. Das schlechteste Resultat seit Kriegsende. "Das Ergebnis ist ein bitterer Tag für die deutsche Sozialdemokratie", bekannte Steinmeier damals.
Steinmeier - die zweite
Steinmeier tritt mit 66 Jahren seine zweite Amtszeit an. Unermüdlich hielt der Nahbare Reden in der ganzen Republik, reiste fast hundert Mal ins Ausland. Er wird getragen von einer breiten Zustimmung in Politik und Gesellschaft. In einer Umfrage von Mitte Januar sagten 86 Prozent der Deutschen, dass der Bundespräsident seine Arbeit "eher gut macht". Ganze 81 Prozent sprachen sich dafür aus, dass er im Amt bleiben sollte. Seine Gelassenheit ist seine Stärke. Und vielleicht wird in der zweiten Amtszeit aus dem Vermittler und Moderator doch noch der Visionär Frank-Walter Steinmeier. Er hätte fünf Jahre Zeit dazu.