Pompeo: USA kündigen Abrüstungsvertrag INF
1. Februar 2019Die USA haben ihren Ausstieg aus dem INF-Abrüstungsabkommen mit Russland erklärt. Außenminister Mike Pompeo sagte in Washington, bereits ab diesem Samstag sähen sich die Vereinigten Staaten nicht mehr an den Vertrag gebunden. Er warf Russland vor, das 1987 geschlossene Abkommen über nukleare Mittelstreckensysteme in "schamloser" Weise verletzt zu haben.
Die USA setzen ihre Bindung an den Vertrag allerdings zunächst nur vorläufig aus. Nach Angaben Pompeos setzen sie Russland eine sechsmonatige Frist, um zur "vollen und nachprüfbaren Einhaltung" des Abkommens zurückzukehren. Dazu müsse Moskau bestimmte Raketen und Raketenwerfer vernichten. Komme Moskau dieser Forderung nicht nach, "endet der Vertrag", sagte der US-Außenminister. Die Vereinigten Staaten seien aber bereit, weiterhin mit Moskau über die Rüstungskontrolle zu sprechen.
NATO unterstützt Washington
Die NATO-Partner der USA stellten sich umgehend hinter deren Entscheidung zum Ausstieg aus dem Vertrag. In einer Erklärung des Nordatlantikrats heißt es, die Verbündeten unterstützten den Schritt uneingeschränkt.
Die russischen Marschflugkörper mit der Bezeichnung 9M729 (NATO-Code: SSC-8) stellen nach Auffassung Washingtons einen eindeutigen Bruch des INF-Abkommens dar. Die USA hatten Moskau zuletzt ein Ultimatum von 60 Tagen gesetzt, um die Zerstörung der neuen Marschflugkörper zuzusagen. Dieses läuft am Samstag aus. Die Frist ist nach Ansicht der USA aber erfolglos verstrichen.
Russland nennt US-Rückzug strategisch
Dass Russland in der Auseinandersetzung noch einlenkt, gilt als unwahrscheinlich. Das russische Außenministerium drohte stattdessen umgehend mit Konsequenzen. "Wenn sich die amerikanische Seite aus dem INF-Vertrag zurückzieht, behält sich Moskau das Recht vor, entsprechend zu reagieren", sagte Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa russischen Medien zufolge - ohne konkrete Schritte zu nennen. Es sei Teil des amerikanischen Konzepts, möglichst viele internationale Abkommen zu brechen und aufzukündigen.
Russland hatte bereits in den vergangenen Wochen mehrfach deutlich gemacht, dass es die US-Vorwürfe für haltlos erachtet und nicht daran denkt, seine Marschflugkörper zu vernichten. Nach russischen Angaben haben die 9M729 eine Reichweite von maximal 480 Kilometern. Die USA gehen hingegen von mindestens 2600 Kilometern aus. Damit könnten die Marschflugkörper nahezu alle Hauptstädte in Europa treffen.
Vertrag aus dem Jahr 1987
Der INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (Intermediate Range Nuclear Forces) war 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geschlossen worden. Er verpflichtet beide Seiten zum Verzicht auf landgestützte ballistische Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern. Zugleich untersagt er auch die Produktion und Tests solcher Systeme.
Kurz vor der Bekanntgabe der US-Entscheidung erhob Bundeskanzlerin Angela Merkel Vorwürfe gegen Moskau. "Russland hat den INF-Vertrag verletzt", sagte Merkel nach einem Treffen mit dem armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan in Berlin. Sie betonte, dass "wir alles daran setzten werden", die sechsmonatige Frist nach der Kündigung zu nutzen, um weitere Gespräche zu führen. Das "Gesprächsfenster" mit Moskau müsse offengehalten werden.
"Es darf keinen deutschen Sonderweg geben"
Für Europa wäre das Aus für den INF-Vertrag brisant, weil es in Folge aller Voraussicht nach eine Diskussion über eine mögliche atomare Aufrüstung in Europa geben dürfte. Nach Auffassung von Militärs ließen sich nämlich nur so langfristig ein strategisches Gleichgewicht und Abschreckung sichern. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Johann David Wadephul warnte Außenminister Heiko Maas (SPD) schon davor, eine Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen der NATO in Europa auszuschließen. Wenn Russland nicht zum Verzicht auf sein neues Raketensystem bereit sei, müsse die NATO sich auch diese Option vorbehalten, sagte der CDU-Politiker. "Es darf also keinen deutschen Sonderweg geben." Maas hat sich im Fall eines Ausstiegs der USA aus dem INF-Abkommen bereits gegen einer Stationierung landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen in Deutschland und Europa ausgesprochen.
Auch sein luxemburgischer Kollege Jean Asselborn warnte vor einem neuen Rüstungswettlauf. Es sei "befremdend", dass sich Russen und Amerikaner im Kalten Krieg auf den Abrüstungsvertrag geeinigt hätten und heute vor einem neuen "Wettrüsten" stünden, sagte Asselborn beim EU-Außeneminister-Treffen in Bukarest. "Geografisch sind wir die Leidtragenden, wenn wieder Aufrüstung auf der Tagesordnung steht." Eine neue Debatte über Wettrüsten werde "Europa wieder zerreißen". Er hoffe, dass es in der nun beginnenden Sechs-Monats-Frist bis zum 2. August noch gelinge, Moskau und Washington "zum Dialog" zu bringen, so Asselborn.
Westen scheinheilig im Umgang mit Moskau?
Lettlands Außenminister Edgar Rinkevics zeigte "volles Verständnis" für die US-Entscheidung. Denn Russland halte sich nicht an den INF-Vertrag, sagte er. Nötig seien nun "weltweite Lösungen", denn heute gebe es viel mehr Länder mit solchen Raketen als vor 30 Jahren. Ungarns Außenminister Peter Szijjarto wiederum warf westlichen Staaten "Scheinheiligkeit" im Verhältnis zu Russland vor. Einerseits kritisierten sie Moskau, andererseits machten "ihre Unternehmen enorme Geschäfte mit russischen Firmen". "Milliarden" würden mit Energie- und Gasgeschäften gemacht, sagte Szijjarto. Er verwies dabei auch auf die Pipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland.
Der Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, Volker Perthes, äußerte unterdessen die Befürchtung, dass nach einer Kündigung das INF-Abrüstungsabkommen "tot" sein werde. Auch Russland scheine "kein Interesse daran zu haben, diesen Vertrag zu erhalten", sagte Perthes in einem Interview der Nachrichtenagentur AFP. Dabei gehe es nur vordergründig um bestimmte Waffensysteme, die als vertragswidrig angesehen würden. "Beide Eliten (in den USA und Russland) sind unglücklich, wenn sie in ihrer Waffenentwicklung und -aufstellung durch Verträge behindert werden.
Beide sehen hier den Nachteil, dass nur sie allein an diesen Vertrag gebunden sind", sagte Perthes. China, Indien oder der Iran seien es dagegen nicht. "Wenn wir uns ansehen, was in Indien und China steht: 90 Prozent der dort aufgestellten Atomraketen sind Mittelstreckenraketen, die in Europa unter das INF-Verbot fallen würden." Ein Scheitern des INF-Abkommens wäre insbesondere für Russland interessant, wenn es dadurch an der gemeinsamen Landgrenze mit China "eine symmetrische Antwort aufbauen könnte", so Perthes weiter. "Das dürfen sie unter dem derzeitigen Vertrag nicht. Wenn der INF tot ist, haben die Russen auch da freie Hand." China soll inzwischen über knapp 2000 ballistische Raketen und Marschflugkörper verfügen, die unter das Abkommen fallen würden.
sti/pg/kle (afp, dpa, CNN)