Kirchenaustrittszahl stark gestiegen
18. Juli 2014
Die katholische Deutsche Bischofskonferenz hat am Freitag (18.07) die aktuellen Kirchenaustrittszahlen für das Jahr 2013 veröffentlicht. Danach haben in Deutschland fast 180.000 Katholiken ihre Kirche verlassen. Das ist gegenüber dem Jahr 2012 eine Steigerung von mehr als 50 Prozent. Für viele Beobachter sind die Skandale der vergangenen Jahre innerhalb der katholischen Kirche mit dafür verantwortlich.
DW: Was sind die Ursachen des dramatischen Anstiegs der Kirchenaustritte?
Prof. Detlef Pollak: Ein ganz wichtiges Motiv ist, dass den Menschen der christliche Glauben fremd geworden ist und sie sich entfremdet fühlen. Man kann das zusammenfassen unter dem Stichwort: religiöse Indifferenz. Man ist möglicherweise religiös erzogen worden, aber jetzt sagt einem der Glaube nicht mehr so viel. Ein zweiter wichtiger Punkt, der immer wieder genannt wird, ist der, dass man die Kirchensteuer sparen möchte. Wenn man nicht viel von der Kirche hält, kann man sich auf diese Weise eine unnütze Ausgabe sparen.
Inwieweit spielen bei der aktuellen katholischen Kirchenaustrittszahl auch Skandale wie der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Kirchenbedienstete oder die Causa Tebartz-van Elst eine Rolle ?
Ganz sicher sind das wesentliche Punkte. Man hat eine gewisse Enttäuschungstoleranz, gesteht auch der Kirche zu, Fehler machen zu dürfen. Aber wenn das zu stark wird, dann ist die Frustration so groß. Im Jahre 2010, als die Missbrauchsfälle öffentlich breit diskutiert wurden, ist die Kirchenaustrittsrate schon einmal etwa um die Hälfte gestiegen. Das zeigt sehr deutlich, dass es einen klaren Zusammenhang gibt zwischen diesen Missbrauchsfällen oder auch den Ereignissen im Bistum Limburg, und der Bereitschaft, aus der Kirche auszutreten.“
Wie bewerten sie die erneut gestiegenen Kirchenaustritte von Katholiken?
Es ist schon ernst zu nehmen, was sich da vollzieht. Man sollte aber jetzt diese Kirchenaustrittszahlen nicht überdramatisieren. Sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Kirche ist die Mehrheit der Meinung, dass ein Kirchenaustritt für sie nicht in Frage kommt. Die Mehrheit steht also zu ihrer Kirche, erlebt Kirche als Heimat.
Was muss denn insbesondere die katholische Kirche tun, um wieder Vertrauen zurück zu gewinnen?
Ganz wichtig ist, dass die Kirche deutlich macht, dass sie für die Ausgegrenzten in der Gesellschaft, für die Armen, für die Schwachen, auch für die Kranken da ist. Caritas und Diakonie stehen ganz hoch im Kurs und werden stark nachgefragt. Man erwartet von der Kirche auch, dass sie keine Privilegien in Anspruch nimmt, also auf Macht verzichtet. Das ist auch ein wichtiger Punkt, dass sie nicht dogmatisch auftritt, sich nicht als Autorität geriert, sondern dass sie ein dialogisches Verhältnis zu den Gläubigen, zu den Menschen entwickelt.
Was müssen die beiden großen Volkskirchen beachten, wenn sie den Menschen spirituell eine Heimat geben wollen?
Was man manchmal vielleicht übersieht, was aber eigentlich im Zentrum stehen sollte, ist, dass die Kirchen gute Gottesdienste anbieten sollten. Das wird auch von den Menschen erwartet. Wenn man also verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen will, dann natürlich auch darüber, dass man dort, wo die Kirche ihre Kernkompetenz hat, besonders ansprechende Rituale vollzieht, ansprechende Predigten anbietet. Dass man die Menschen in ihren existentiellen Problemen abholt. Diesen Bereich der religiösen Kernfunktion, sollte man nicht unterschätzen. Auch da wird Vertrauen gebildet. Da traut man der Kirche auch die meiste Kompetenz zu.
Nun hat die katholische Kirche ja den Dialog mit den Menschen aufgenommen. Bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchsskandals saß sie mit am Runden Tisch. Dann hat die Bischofkonferenz einen Dialogprozess zur Erneuerung der Kirche ins Leben gerufen. Sind das richtige Maßnahmen?“
Ja, unbedingt. Man muss allerdings sagen, die Vorbehalte und auch die Vorurteile insbesondere gegenüber der katholischen Kirche, sind schon eine starke Barriere dagegen, dass diese Bemühungen der Kirche um Aufarbeitung der Missbrauchsfälle auch wirklich honoriert werden. Es gibt einen starken Vorbehalt, dass man denkt, der Kirche geht es ja doch nur darum, sich ins beste Licht zu rücken. Eine wirkliche Aufarbeitung, sagen viele, ist gar nicht gewünscht. Es gibt ganz starke Vorurteile gegenüber der Kirche. Man kann sagen, es gibt eine starke Strömung, die gegen die Kirche läuft. Damit muss man auch versuchen, professionell umzugehen.
Und wie sieht solch ein professioneller Umgang aus?
Es kommt darauf an, diese Vorurteile auf keinen Fall zu bedienen, sondern deutlich zu machen, dass man wirklich bereit ist zu Reformen, zu Änderungen – auch bereit ist, Fehler oder Sünden zu bekennen. Diese Demut erwarten die Menschen von der Kirche und ich glaube, die Kirche ist gut beraten, sich in diese Richtung zu bewegen.
Prof. Detlef Pollack , 59, ist Religions- und Kultursoziologe sowie Theologe. Er forscht unter anderem über das Verhältnis von Religion und Moderne, über die Geschichte der DDR und über politische Kultur. Seit 2008 ist Detlef Pollack Professor für Religionssoziologie im Rahmen des Exzellenzclusters Religion und Politik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.