Politischer Rap hat wieder Konjunktur
26. April 2016Vor 15 Jahren sagte der damalige HipHop-Labelbetreiber Marcus Staiger "Bevor ich einen schlechten Rap-Song über politische Themen höre, hör ich lieber einen Song übers Ficken". Das Problem liegt auf der Hand. Warum sollte ein Musiker mehr Ahnung von Politik haben als jeder andere Otto Normalbürger, der seine Meinung in den Kommentarspalten dieser Welt hinterlässt? Trotzdem wird seit Jahr und Tag gefordert, der HipHop müsse wieder politischer werden. Doch warum eigentlich sollte Rap politischer sein? Und: Bewegt er am Ende überhaupt etwas?
Die Absurdität der Forderung wird deutlicher, wenn man die Gegenprobe macht und folgende Forderung stellt: "Die Politik sollte endlich musikalischer werden!" Möchte man das wirklich? Es ist eine Frage, was am Ende dabei herauskommt. Das dürfte über viele Jahre auch einer der Gründe gewesen sein, warum es kaum politischen Rap gab. Die Arbeit einiger weniger - etwa die von Sookee, form oder ihren Mitstreitern von Springstoff - soll hier aber nicht unterschlagen werden.
Politischer Rap ist ein Risiko
Man kann sich mit politischem Rap ziemlich in die Nesseln setzen. Denn Rappern ist es immer wichtig, "cool" zu sein. Und Politik ist davon meistens ziemlich weit entfernt. HipHop wird in der breiten Öffentlichkeit von Extremen definiert. Da gibt es Rapper wie Cro, die netten harmlosen Jungs von nebenan, die man sofort mitnehmen würde zum Sonntags-Brunch bei den Schwiegereltern. Die Botschaft dahinter lautet: Alles ist gut. Das ist der "nette Rap", der von der breiten Medienwelt gerne eingemeindet wird. Die Gegenwelt dazu wird dargestellt von Rappern wie Bushido: "Die bösen Ausländer", die man gerne abschieben würde, aber nicht darf, weil sie einen grünen Pass haben. Die heimliche Botschaft dahinter: Es ist doch nicht alles gut. Denn sonst gäbe es keinen Gangsta-Rap in Deutschland. Der kann nur dort wachsen, wo gesellschaftlich etwas nicht in Ordnung ist.
Um das zu verstehen, müsste man die entsprechenden Fragen stellen. Doch die Antworten sind komplex und unangenehm. Also lieber nicht nachfragen. Viel besser scheint da doch das Verurteilen von Gangsta-Rappern zu sein. Die sagen schliesslich sehr schlimme Sachen. Es ist diese indirekte politische Botschaft - eine, die die Kinder schon immer wissen wollten, aber nach denen sie die Eltern niemals zu fragen wagten - die HipHop zu einer politischen Musikform macht.
Indirekte politische Botschaft
Entstanden in den ausgebrannten Ruinen der Bronx der 70er Jahre, beeinflusste dieses politische Erbe auch die deutschen Rapper der frühen 90er Wendezeit-Jahre. Die allgemeine Wahrnehmung war monatelang beherrscht von einer Asyl-Debatte, in der Begriffe wie "Asylmissbrauch", "Scheinasylanten" und "Wirtschaftsflüchtlinge" von Politikern und Medien instrumentalisiert wurden. Es entstand eine Atmosphäre, in der sich Neonazis aus ihren Löchern trauten, um in die Offensive zu gehen.
Im August 1992 kam es zu den schwersten rassistischen Ausschreitungen seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland: In Rostock-Lichtenhagen griffen Rechte über mehrere Tage die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber an. Sie riefen "Jetzt werdet ihr geröstet" und warfen Molotov-Cocktails in ein Hochhaus, in dem 100 Vietnamesen wohnten. Etwa 2000 Beifall klatschende deutsche Anwohner stehen dabei. Den Pogrom kann man zur besten Sendezeit im TV verfolgen. Und was die ausgebrannten Ruinen der Bronx waren, sind für deutschen Rap die Ausgebrannten Ruinen in Rostock Lichtenhagen und Hoyerswerda.
Die Stimme der Stimmlosen
Politik war immer noch nicht cool. Aber schweigend zuschauen ging auch nicht mehr. Die damals kleine deutsche HipHop-Szene reagierte mit Benefiz-Konzerten und Compilation-Alben, auf denen sich diverse Gruppen gegen Nazis und rechtes Gedankengut aussprachen. Und natürlich auch mit eigenen Alben und Singles, auf denen man sich politisch äußerte. Wie das wohl bekannteste Lied aus der Zeit "Fremd im eigenen Land" von Advanced Chemistry. Darin rappt Toni L:
"Politiker und Medien berichten ob früh oder spät
Von einer 'überschrittenen Aufnahmekapazität'
Es wird einem erklärt, der Kopf wird einem verdreht
Dass man durch Ausländer in eine Bedrohung gerät
Somit denkt der Bürger, der Vorurteile pflegt
Dass für ihn eine grosse Gefahr entsteht
Er sie verliert, sie ihm entgeht
Seine ihm so wichtige deutsche Lebensqualität"
Es scheint so, als wären wir heute - fast 25 Jahre später - an denselben Punkt zurückgekehrt. So ist es auch nicht verwunderlich das seit ca. zwei Jahren von den verschiedensten Rappern wieder verstärkt politische Lieder entstehen. Man kann von einer Re-Politisierung der Rap-Szene sprechen. Zu hören und sehen etwa bei erfolgreichen Rappern wie K.I.Z., die in "Boom Boom Boom" konstatieren:
"Der Lynchmob ist krank vor Neid
Auf das 5-Sterne-Hotel im Asylantenheim.
Denkt ihr, die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen
Mit dem großen Traum, im Park mit Drogen zu dealen?"
Schwarz-rot-goldenes Klopapier
Oder das Hamburger Rap-Urgestein Samy Deluxe (unser Titelbild), der uns in seinem neuen Album "Berühmte letzte Worte" (erscheint am 29. April) erklärt, warum sein Klopapier inzwischen "Schwarz Rot Gold" ist. Und Eko Fresh, der - geschockt von den Wahlerfolgen der AFD - explizit erläutert, warum das ein "Albtraum für Deutschland!" ist. Und der darauf sogar eine Reaktion der AFD bekommt.
OK Kid zeigen in dem Video zu "Gute Menschen", welche Abgründe sich in deutschen Vorgärten auftun können. Aber auch unterhalb des Mainstream-Radars wird es politisch: Ali As und Pretty Mo lassen im Song "Deutscher / Ausländer" eben diese beiden Parteien mit all ihren Vorurteilen aufeinander prallen. Mit ernüchternden Einsichten. Zugezogen Maskulin berichten vom "Oranienplatz", wo Flüchtlinge von der Polizei "weggeräumt" werden. Und der Rapper form stellt im äußerst bedrückenden "Das Boot ist voll" die Schönheit des Mittelmeeres dem Fakt gegenüber, dass Flüchtlinge darin ertrinken dürfen. Und was das über unsere europäischen Werte aussagt.
Immer noch eine Gegenkultur
Der Grund, warum Rap-Musik stets auf die Gesellschaft reagiert, liegt in seinem politischen Erbe. Trotz aller seiner Erfolge auch im Pop-Bereich ist HipHop immer eine Gegenkultur geblieben. Bleibt am Ende die Frage: Hat politischer Rap eine Wirkung? Bringt das was? Und wenn ja: Welche Wirkung hat dann schlechter politischer Rap? Sollte man doch lieber über Sex rappen? Wenn HipHop den Stimmlosen eine Stimme geben wollte, dann ist das erste Ziel erreicht, wenn diese Stimme gehört wird. Ob die Stimme dann etwas Gutes oder Schlechtes sagt, kann man hinterher ausdiskutieren.
Und genau das ist das Gute an politischer Rap-Musik - sogar an schlechter: Sie regt auf und an. So dass ein Diskurs entsteht. Immer mit der Hoffnung, dass es der Anfang einer Lösung ist.