Politische Zwänge des iranischen Wahlsiegers
21. Juni 2021Weniger als die Hälfte der rund 60 Millionen Wahlberechtigten, so wenige wie noch nie seit Bestehen der Islamischen Republik Iran, haben ihre Stimme bei der Präsidentschaftswahl am Freitag abgegeben. Von den abgegeben rund 29 Millionen Stimmen entfielen rund 18 Millionen oder 60 Prozent auf den konservativen Kandidaten Ebrahim Raeissi, so dass er schon im ersten Wahlgang die Wahl für sich entscheiden konnte.
Die Enttäuschung über die ausgebliebenen Fortschritte sowohl bei der Wirtschaftsentwicklung als auch bei bürgerlichen Freiheiten unter dem vor acht Jahren als Reformer angetretenen Hassan Rohani schlug sich auch im Ergebnis für den Kandidaten der moderaten Kräfte nieder: Nasser Hemmati, ehemals Leiter der iranischen Zentralbank, wollte den Kurs von Rohani fortsetzen, erhielt aber nur knapp 2, 5 Millionen Stimmen. Deutlich mehr Stimmen, nämlich vier Millionen, waren ungültig abgeben worden.
Hardliner im Sattel, aber zerstritten
Nachdem die Hardliner im vergangenen Jahr - auch wegen der geringen Wahlbeteiligung von 42 Prozent - bei den Parlamentswahlen die Mehrheit gewinnen konnten, haben sie nun auch das Präsidialamt unter Kontrolle. "Das bedeutet aber auf keinen Fall eine vollständige Machtkonsolidierung der Hardliner im Iran", sagt der Iran-Experte Adnan Tabatabai im Gespräch mit der Deutschen Welle. Denn die Hardliner seien als Gruppe nicht so geschlossen, wie es oft den Anschein habe.
Tabatabai ist Geschäftsführer des Bonner Forschungszentrums Carpo und berät als Iran-Experte EU-Institutionen, Bundesministerien und politische Stiftungen. "Bei den Parlamentswahlen 2020 hatte der Wächterrat ein sehr enges Feld von Kandidaten zugelassen. Aber kurz nachdem das Parlament zusammentrat, taten sich plötzlich neue Gräben innerhalb der Konservativen auf. Unter den Hardlinern sehen wir tatsächlich sehr unterschiedliche Strömungen, die um mehr Macht ringen."
So konnten sich die Hardliner lange nicht auf die Besetzung des Präsidiums des Parlaments einigen. In verschiedenen Parlamentsausschüssen bekämpfen sie sich gegenseitig und werfen einander Missmanagement und Machtmissbrauch vor. Tabatabai rechnet damit, dass die Rivalitäten im Lager der Hardliner spätestens nach Regierungsbildung und Amtseinführung Raeissis ausbrechen werden, eventuell sogar schon während der Regierungsbildung. "Wir können aber davon ausgehen, dass Reaissi zu Beginn seiner Arbeit bei wichtigen außenpolitischen Weichenstellungen weniger Widerstand erfährt."
Kontinuität bei Atomverhandlungen und Gesprächen mit Riad
So hatte Raeissi wie alle anderen Präsidentschaftskandidaten betont, sich an das 2015 ausgehandelte Atomabkommen halten zu wollen. "Er wird die Wiederherstellung des Nuklearabkommens brauchen, damit Sanktionen abgebaut werden können und er kurzfristig wirtschaftlich etwas in Bewegung setzen kann. Das ist letztlich das, was den Menschen am meisten zu schaffen macht", sagt Tabatai. Am Sonntag fand die 6. Gesprächsrunde in Wien zur Rettung des Atomabkommens ihren Abschluss, die Teilnehmer hoffen auf eine Einigung bis Ende Juli.
Als zweite große Baustelle in der Außenpolitik sieht der Iran-Experte die Regionalpolitik. "Da würde ich vor allen Dingen die laufenden Sicherheitsgespräche zwischen dem saudischen und iranischen Militärapparat sehen. Das bedeutet, dass man auch regionalpolitisch auf eine Entspannungspolitik setzt und die würde ich auch unter Präsident Raeissi sehen. Denn diejenigen Kräfte, die diese Dialoge führen, kommen aus dem Außenministerium und dem Sicherheitsapparat und da wird sich auch nach einem Regierungswechsel nichts ändern."
Auftritte auf internationaler Bühne schwieriger
Auch wenn Chamenei das letzte Wort bei den außenpolitischen Leitlinien hat, sei für die Umsetzung diplomatisches Fingerspitzengefühl erforderlich. „Und hier muss man erst einmal abwarten, welches Team Ebrahim Raeissi zusammenstellt", sagt Tabatabai. Ein erfahrener Außenpolitiker wie der jetzige Außenminister Mohammad Dschawad Sarif fehlt bislang in Raeissis Umfeld. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass Sarif in seinem Amt bestätigt wird. Für die Hardliner ist er spätestens seit seinem entspannten Spaziergang 2015 mit dem damaligen US-Außenminister John Kerry in den Straßen von Wien ein rotes Tuch, er gilt ihnen als zu westlich.
Die amerikanische Journalistin und Moderatorin des Iran-Podcast Negar Mortazavi rechnet jedenfalls damit, dass abgesehen von der Wiederbelebung des Atomdeals jede Form von Diplomatie zwischen dem Iran und dem Westen unter Raeissi schwieriger werden wird.
"Wegen Menschenrechtsverletzungen steht Raeissi als Irans Justizchef auf Sanktionslisten der USA. Raeissi war in den 1980er Jahren als Mitglied des sogenannten Todeskomitees verantwortlich für die Hinrichtung Tausender politischer Gefangenen. Er wird wahrscheinlich nie nach New York reisen können, um an der Generalversammlung der Vereinten Nationen teilzunehmen, was iranische Präsidenten als Teil ihrer Annäherung an den Westen regelmäßig getan haben."