Politikerin in Deutschland: Das muss man wollen
16. August 2017"Meine Herren und Damen": Mit diesen eigentlich simplen Worten begann am 19. Februar 1919 eine Rede in der Weimarer Nationalversammlung, die in die Geschichte eingehen sollte - auch wegen ihres Inhalts, aber vor allem, weil diese Worte von einer Frau kamen. Mit Marie Juchacz sprach zum ersten Mal in Deutschland eine Politikerin vor einem demokratisch gewählten Parlament. Erst drei Monate zuvor war das Frauenwahlrecht Gesetz geworden.
Die SPD-Politikerin Juchacz war eine von 37 Frauen, die 1919 ins Parlament einzogen. Knapp neun Prozent der Abgeordneten machten sie damals aus. Heute, knapp 100 Jahre später, gehen 37,1 Prozent der Bundestagsmandate an Frauen. Damit sind sie in der deutschen Politiklandschaft noch immer unterrepräsentiert. In einem internationalen Ranking der Frauenquoten rangiert Deutschland auf Platz 22 von 190. Glaubt man den neuesten Umfragen, könnte sich das mit der Bundestagswahl im September weiter verschlechtern: Dann könnte der Frauenanteil unter der Reichstagskuppel auf 32 Prozent sinken.
Drei Kinder und 80 Stunden Arbeit pro Woche
Wollen sie nicht - oder ist es für Frauen einfach schwieriger, Politik zum Hauptberuf zu machen? Dorothee Bär (CSU), Mitglied des aktuellen Deutschen Bundestages, glaubt schon, dass sich Frauen stärker beweisen und behaupten müssen. Gerade junge Kolleginnen ohne Kinder würden besonders kritisch beurteilt und oft nicht ernst genommen. Habe eine Politikerin dann aber Kinder, würde ihr dann das nachteilig angerechnet. "Man braucht schon ein sehr dickes Fell. Und ich gebe zu, dass mein eigenes Fell auch von Kind zu Kind dicker geworden ist", so Bär im DW-Interview. Drei Kinder hat sie und arbeitet pro Woche 70 bis 80 Stunden. Wenn sie in den Sitzungswochen ohne Familie in Berlin ist, können es auch mehr sein. "Da wartet abends ja keiner auf mich."
Neben der Frauenquote, die die CSU in ihren Bezirksvorständen und dem Parteivorstand eingeführt hat, gebe es inzwischen auch Mentoring-Programme. Mit "Frauen müssen mehr" sei es eben nicht getan. Diese müssten auch selber wollen, sagt Bär im Gespräch mit der DW. Viele ihrer Freundinnen hätten wie sie kleine Kinder und eine Halbtagsstelle. Ein Job in der Politik sei aber immer mindestens eine Vollzeitstelle. "Und das - das sage ich ganz offen - wollen sich viele auch nicht antun."
Mehr Frauen für mehr Erfolg
Bei Christdemokraten und Christsozialen stehen gerade mal 79 Frauen 230 Unions-Männern gegenüber. Auch die CSU-Vizevorsitzende Barbara Stamm sieht bei ihrer Partei noch viel Luft nach oben. "Die ganze Partei muss wissen, dass wir für eine erfolgreiche Zukunft das Gesicht der CSU auch mit Frauen prägen müssen", so die 72-Jährige. Das haben andere bereits umgesetzt. Grüne und Linke sind im Bundestag sogar knapp mit mehr Frauen als Männern vertreten. Sie haben ihre Chancen schneller ergriffen.
So wie die SPD-Politikerin Hannelore Kraft nach der Landtagswahl 2005 in Nordrhein-Westfalen, meint der Politikwissenschaftler Wichard Woyke von der Universität Münster im DW-Interview. Damals hatte die SPD stark an Stimmen verloren. "Frau Kraft hat dann zugegriffen." Zuerst übernahm sie den Fraktionsvorsitz, wurde später neue Landesvorsitzende ihrer Partei und 2010 schließlich zur Ministerpräsidentin ihres Landes gewählt.
Viel Arbeit und ein raues Arbeitsklima
Familie und politische Karriere bis zum Bundestagsabgeordneten - das sei, so Woyke, auf die Dauer nicht machbar. "Es sei denn, ich habe einen Mann zu Hause, der eben als Hausmann und als Kindererziehungsberechtigter alles erledigt." Das komme manchmal vor, sei aber sehr selten. Einstellen muss man sich auf gewaltig viel Arbeit und ein teilweise sehr raues Klima. "Auch wenn sich die direkten Verhaltensmuster gegenüber Frauen verbessert haben, ist die Politik in ihren Strukturen männlich dominiert", sagt der Politikwissenschaftler.
Das bekommt auch Dorothee Bär (CSU) immer wieder zu spüren. Während sie immer wieder gefragt würde, wie sie das denn mit den Kindern mache, habe ihr Mann - auch ein Politiker - diese Frage noch nie beantworten müssen. "Da wird offenbar vorausgesetzt, dass das schon irgendwie läuft."
Die Machtfrage und heikle Themen
Und da ist auch noch die Sache mit der Macht. Allzu viel Gefallen solle eine Frau darüber lieber nicht äußern, das habe gleich etwas Anrüchiges, so Bär. Trotz alledem lohne es sich, als Frau in die Politik zu gehen, weil Frauen andere Ansätze und eine andere Herangehensweise hätten - besonders im Hinblick auf bestimmte Themen. So würde sie in ihren Bürger-Sprechstunden beispielsweise nach künstlicher Befruchtung und Unfruchtbarkeit beim Partner befragt. Ihren männlichen Kollegen, sagt Bär, würden solche Fragen nie gestellt. "Was mich auch nicht wundert, weil man sowas eben auch nicht mit einem Mann besprechen würde."