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Zahnpasta oder Nervengift?

19. September 2013

Wie konnte es passieren, dass Deutschland mehr als 100 Tonnen Chemikalien nach Syrien geliefert hat? Politiker fordern Aufklärung. Denn die Substanzen könnten zur Herstellung des Nervengifts Sarin benutzt worden sein.

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Speziell gekennzeichnete Fracht in Kartons in einer Lagerhalle auf dem Frankfurter Flughafen mit der Aufschrift "Vorsicht - leicht entflammbar!" (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele erwartet Antworten von den Regierungen, die in den Jahren 2002 und 2003 sowie 2005 und 2006 die Ausfuhr sensibler Chemikalien nach Syrien genehmigt hatten. Die Behauptung, die Chemikalien seien nur für zivile Zwecke verwendet worden, entlaste die Instanzen "gar nicht", die den Deal genehmigt hätten.

Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), forderte weitere Aufklärung über den Verbleib und die Nutzung der Chemikalien. Der Verdacht, die Stoffe aus Deutschland seien zur Giftgasherstellung benutzt worden, müsse ausgeräumt werden, sagte Polenz im Rundfunk Berlin-Brandenburg.

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken (Foto: imago/Jens Jeske)
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan van AkenBild: imago/Jens Jeske

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken sagte im ZDF-Morgenmagazin: "Wenn es ein Land gegeben hat, wo man die auf gar keinen Fall hinliefern hätten dürfen, dann Syrien". Die deutsche Bundesregierung habe schon 2002 gewusst, dass Syrien ein riesiges Chemiewaffenprogramm habe. Es sei "allgemein bekannt" gewesen, dass "da auch in großen Mengen Sarin hergestellt" werde, so van Aken. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP hatte der Chemiewaffen-Experte zuvor gesagt, es sei nicht auszuschließen, "dass sich Deutschland auch an den Toten des Sarin-Angriffes von Damaskus am 21. August mitschuldig gemacht hat."

Ein Junge hält eine Flasche Wasser hoch, er steht neben Überlebenden des Giftgasanschlags in der syrischen Region Ghouta in einem Zimmer. Die Überlebenden werden von Helfern versorgt (Foto: REUTERS)
Überlebende des Giftgasanschlags in der syrischen Region GhoutaBild: Reuters

Bei einem Angriff mit Sarin waren am 21. August dieses Jahres im Raum Damaskus Hunderte Menschen getötet worden. Westliche Regierungen machen Assads Truppen dafür verantwortlich.

83 Tonnen unter schwarz-roter Regierung

Auf Anfrage der Linksfraktion hatte das Bundeswirtschaftsministerium am Mittwoch mitgeteilt, dass Deutschland zwischen 2002 und 2006 rund 137 Tonnen Chemikalien an Syrien geliefert hat. Die Substanzen sind sogenannte Dual-Use-Güter, die für militärische Zwecke aber auch für die zivile Nutzung - etwa zur Herstellung von Zahnpasta - verwendet werden können. Daher sei der Export der Stoffe nicht generell verboten, hieß es zur Erklärung.

Die Lieferungen erfolgten in der Regierungszeit von Rot-Grün sowie den Anfangsjahren der großen Koalition aus Union und SPD. Mit gut 83 Tonnen fiel der Großteil der Genehmigungen in die Regierungszeit von Schwarz-Rot.

Merkel verspricht Aufklärung

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte in den ARD-"Tagesthemen" gesagt, die Regierung gehe allen Vorwürfen nach. Jedoch seien die Chemikalien "nach allen Erkenntnissen, die mir zur Verfügung stehen" für "zivile Dinge benutzt" worden, erklärte die Kanzlerin. Es gebe keine Hinweise, dass mit den Stoffen das Nervengas Sarin produziert wurde.

Bei den ausgelieferten Chemiekalien handelte es sich um Fluorwasserstoff, Natriumfluorid und Ammoniumhydrogendifluorid. Der Chemiker Lasse Greiner sagte dem ARD-Hauptstadtstudio, die Stoffe seien für die Produktion des Giftgases nötig. Allerdings seien sie nur "Bestandteile" von Sarin. Der Wert der an Syrien verkauften Lieferungen liegt bei rund 173.000 Euro.

nem/mm (dpa, afp, epd)