"Politik auf dem Balkan ist Realsatire"
13. April 2017Deutsche Welle: Warum ein Balkan-Podcast in Deutschland? Interessiert das jemanden?
Krsto: Nein. Sehr groß ist das Interesse an Balkanthemen in Deutschland nicht. Danijel und ich haben uns ständig über Balkanthemen ausgetauscht. Freunde von uns hat das genervt, da haben wir entschieden, einen Podcast zu starten und nur noch die Menschen zu belästigen, die unser Balkanpalaver wirklich hören wollen.
Danijel: Der durchschnittliche deutsche Medienkonsument blickt, wenn überhaupt, auf diesen Balkan, dieses Kuddelmuddel da unten, wie auf eine RTL-II-Pseudo-Doku über die Prekariatsfamilie aus dem Sozialbau nebenan. Und dieses Bild wird auch kräftig von deutschen Medien bedient: Die sind halt so, so chaotisch, so zerstritten. Das ist deren Mentalität. Balkan eben.
Welche Themen werden behandelt und worauf fokussiert ihr euch: eher auf Information oder Satire?
Danijel: Naja, das Konzept des Podcasts ist grundsätzlich schon ein ernsthaftes. Zum Balkan muss man erst mal ganz schön viel erklären. Lustig sind wir eher unabsichtlich.
Krsto: Wir versuchen uns nicht als Satiriker, die Politik auf dem Balkan ist Realsatire. Humor hilft dabei, das alles zu ertragen. Klar machen wir viele Witze, aber im Grunde ist es uns schon ernst. Wir versuchen, eine Ausgabe im Monat zu machen. Die Themen bieten sich meist von selbst an. In der aktuellen Ausgabe geht es um Serbien und die Präsidentschaftswahlen. Manchmal nehmen wir auch Themen, welche die gesamte Region betreffen. Uns war es etwa wichtig, auf die Situation von Schwulen, Lesben und Transpersonen auf dem Balkan aufmerksam zu machen.
Was wissen die Deutschen über den Balkan?
Krsto: Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien machen eine der größten Migranten-Gruppen in Deutschland aus, trotzdem hört man fast nichts über sie. Einerseits ist das sicherlich ein Zeichen für gelungene Integration, andererseits wäre mehr Interesse wünschenswert. In den Räumen kroatischer Gemeinden in Deutschland wurde ein Film gezeigt, der die Shoah relativiert. Dafür hat sich kaum jemand interessiert. Stellen Sie sich vor, die würden das in Ditib-Moscheen machen. Dann wäre der Aufschrei aber groß gewesen.
Danijel: Da gibt es noch viele Beispiele. Die Aktivitäten von fundamentalistischen katholischen Gruppierungen in Deutschland etwa. Und das sind ja nur die Kroaten. Und nur die in Deutschland. Aber das Wissen über das, was auf dem Balkan geschieht, ist weder beim Publikum, noch in den Redaktionen besonders ausgeprägt. Wer weiß schon, dass die EU in Mazedonien mit einem autoritären Regime kooperiert, das Journalisten drangsaliert und gerade einen ethnischen Konflikt anheizt, um sich irgendwie an der Macht zu halten.
In Deutschland gibt es viele Vorurteile über den Balkan und seine Bewohner. Welche findet ihr ärgerlich, und bei welchen schmunzelt ihr?
Krsto: Ich finde es ärgerlich, dass der westliche Balkan immer nur mit Krieg assoziiert wird. Ständig fragen mich Redakteure, ob in diesem oder jenem Land bald wieder ein Krieg ausbricht. Wenn in der Überschrift steht, dass ein neuer Krieg auf dem Balkan droht, dann werden die Beiträge stärker gelesen und geklickt. Diese Beiträge entsprechen aber oft nicht der Realität oder sind nur mäßig recherchiert. Da werden Bilder bestätigt, die Redakteure und Leser eh von der Region haben.
Danijel: Ärgerlicher noch ist ja das mangelnde Interesse. Die Region ist keine Flugstunde von Frankfurt entfernt, zwei Nachfolgestaaten Jugoslawiens sind EU-Mitglieder. Trotzdem wird gerne so getan, als hätte man es mit exotischen Regionen zu tun, deren Probleme mit denen Westeuropas nichts zu tun haben.
Woran liegt das?
Krsto: Es fehlt vielen Redaktionen an Personen, die die Region einordnen können. Die großen Agenturen haben nach den Präsidentschaftswahlen in Serbien gemeldet, der "proeuropäische Kandidat" habe gewonnen. Das wird dann kritiklos von vielen Medien übernommen. Dabei wird Aleksandar Vucic immer autoritärer und kontrolliert Medien, Justiz und installiert seine Parteianhänger an allen relevanten öffentlichen Stellen. Wenn man das als "proeuropäisch" bezeichnet, hat das Wort jede Bedeutung verloren. Dann kann man auch sagen, dass Erdogan und Putin große Europäer sind.
Danijel: Was ich bedauerlich finde, ist, dass der Rest Europas gerade jetzt etwas vom ehemaligen Jugoslawien lernen könnte. Ich meine, wir erleben gerade im großen Stil die Rückkehr des Nationalismus, falls er denn wirklich jemals weg war. Aber wenn jetzt viele deutsche Journalisten davon überrascht sind, mit welcher Gewalt sich allerlei Chauvinismen wieder Bahn brechen, dass man mit rassistischen Vorurteilen und Fake News Politik machen kann und viele, viele Menschen bereit sind, autoritär auftretenden Führern nachzulaufen, dann kann ich nur sagen: Ihr braucht nicht überrascht zu sein, das konntet ihr doch bald drei Jahrzehnte lang vor der eigenen Haustür beobachten. Aber ich vergaß, das ist ja der Balkan. Das ist ja ganz was anderes.
Danijel Majic arbeitet als Journalist unter anderem für die Frankfurter Rundschau. Seine Schwerpunkte sind Rechtsextremismus, Islamismus und Jüdisches Leben.
Krsto Lazarević lebt in Belgrad und arbeitet als für verschiedene deutschsprachige Medien. Zu seinen regelmäßigen Auftraggebern gehören "Die Welt", "TagesWoche" und das "Wirtschaftsblatt".
Das Interview führte Srecko Matic.