Polit-Veteranen als "letztes Aufgebot"
17. Mai 2014Es ist fast so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz: Wenn irgendwo in der Welt große Krisen verhandelt werden, sitzen Altpräsidenten oder ehemalige Führungsfiguren wichtiger Organisationen als Vermittler mit am Tisch.
In der aktuellen Ukraine-Krise ist das nicht anders: Bei Verhandlungen und "Runden Tischen" sind stets die Altpräsidenten Leonid Krawtschuk und Leonid Kutschma mit dabei, die beiden ersten Staatschefs seit der ukrainischen Unabhängigkeit. Schon als die ersten Maidan-Proteste begannen, waren sie an Gesprächen beteiligt. Das ist offenbar so selbstverständlich geworden, dass sich nun ein weiterer ehemaliger Präsident beklagt hat, dass er zu den neuerlichen Friedensverhandlungen nicht eingeladen worden ist: Viktor Juschtschenko, der die Ukraine nach der "Orangenen Revolution" ab 2005 regierte - und der mit der Annäherung an die Europäische Union selbst indirekt den Grundstein für den heutigen Konflikt in der Ukraine legte.
Für den ehemaligen Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew, Winfried Schneider-Deters, gibt es vor allem einen Grund dafür, dass der 80-jährige Krawtschuk und der 75-jährige Kutschma nun die Gespräche moderieren: der Mangel an Alternativen. "Es gibt dort einfach niemanden, der für die Mehrheit der Bevölkerung die nötige Reputation hätte", so der Ukraine-Experte im DW-Interview. "Man glaubt offenbar, dass die Autorität der beiden alten Herren einen mäßigenden Einfluss auf die Gespräche hat." Aus seiner Sicht geht es auch schlicht darum, den Gesprächen mehr Gewicht zu verleihen.
Weder "Elder Statesmen" noch moralische Instanzen
Doch genießen die beiden Altpräsidenten in der ukrainischen Bevölkerung tatsächlich den großen Respekt, der ehemaligen Staats- und Regierungschefs oft in anderen Ländern entgegengebracht wird? Immerhin war Leonid Krawtschuk der erste Präsident nach der Loslösung der Ukraine von der Sowjetunion 1991 - und damit das erste frei gewählte Staatsoberhaupt. Stefan Liebich, Obmann der Fraktion Die Linke im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, bezweifelt, dass die beiden ehemaligen Präsidenten den Gesprächen eine größere Legitimität verleihen: "Umstrittene Altpolitiker wie den Expräsidenten Leonid Kutschma und diverse Oligarchen an den Tisch zu laden, zeugt eher vom Gegenteil." Er glaubt, dass ihre Anwesenheit die Rolle der OSZE, die zu den Gesprächen eingeladen hat, eher schwächt, statt sie zu stärken.
Winfried Schneider-Deters beurteilt das nicht so kritisch: Aus seiner Sicht ist es völlig unerheblich, dass die beiden Politveteranen mit dabei sind. Zwar habe Krawtschuk sein Land seinerzeit in die Unabhängigkeit geführt - doch zu einem allseits geschätzten "Elder Statesman" habe ihn das nicht gemacht. Das gelte für seinen Amtsnachfolger noch mehr: "Kutschma ist ja damals völlig diskreditiert aus dem Amt geschieden", meint der Ukraine-Experte. Ihm wurde vorgeworfen, indirekt für den Tod eines regierungskritischen Journalisten im Jahr 2000 verantwortlich zu sein. Obwohl das Verfahren mittlerweile eingestellt wurde, ist der Verdacht bis heute nicht ausgeräumt. Als moralische Instanz taugt Kutschma schon von daher nicht.
Erfahrene Moskau-Verhandler
Leonid Krawtschuk machte Anfangs des Jahres durch eine emotionale Ansprache im ukrainischen Parlament von sich reden, in der er von einer "Revolution" sprach und ausführte, sein Land befinde sich "am Rande eines Bürgerkriegs". Er hat zudem in den vergangenen Jahren ein Gremium geleitet, das eine neue Verfassung ausarbeiten sollte. "Insofern hat er immerhin noch eine gewisse aktuelle Bedeutung", meint Schneider-Deters. "Aber ich glaube, für die Bevölkerung ist das nicht wirklich von Belang."
Krawtschuk hat in der Vergangenheit immer sehr selbstbewusst die Eigenständigkeit der Ukraine gegenüber Moskau betont. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion äußerte er sich auch immer wieder kritisch über den Staatenbund GUS. Wirklich russlandkritisch sei er aber nicht, sagt Schneider-Deters. Das wiederum ist wichtig, um in der angespannten Lage prorussische und westlich orientierte Bevölkerungsteile nicht noch mehr zu polarisieren.
Leonid Kutschma, der Krawtschuk 1994 als Staatspräsident ablöste, führte während seiner elfjährigen Regierungszeit ebenfalls einige Auseinandersetzungen mit Moskau: Schon damals ging es um den Status der Krim und den Grenzverlauf zwischen der Ukraine und Russland. 2004 wurden dann schließlich in Kiew und Moskau zwei Grenzabkommen ratifiziert. Doch Krawtschuk war es auch, der die Ukraine am Ende seiner Amtszeit in die "Eurasische Union" führen wollte, in einen einheitlichen Wirtschaftsraum ehemaliger GUS-Staaten - ein Lieblingsprojekt Putins. Enge Beziehungen zu Moskau auf der einen, aber auch die Annäherung an NATO und die Europäische Union auf der anderen Seite - dieser Spagat gelang Kutschma erstaunlich gut.
Nur: Die Vergangenheit - also die Zeit vor der "Orangenen Revolution" im Jahr 2004 - spielt in der aktuellen Situation ohnehin so gut wie keine Rolle mehr. Diesen Eindruck hat Ukraine-Experte Schneider-Deters bei seinen Aufenthalten im Land gewonnen. Dass die beiden Altpräsidenten dennoch in die Gespräche einbezogen werden, beweist für ihn vor allem eines: Wie überfordert die jüngeren Politiker in dieser Krise sind. "Zumal sie ja die bewaffneten Separatisten nicht zum "Runden Tisch" eingeladen haben: Das heißt, die müssen in der Öffentlichkeit einen Konsens präsentieren, der so breit ist wie nur irgendwie möglich."