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Politik

"Wir sind nicht antieuropäisch"

Bartosz Dudek | Harald Biskup
24. Juli 2018

Der Präsident der zweiten Kammer des polnischen Parlamentes, Stanislaw Karczewski, verteidigt im DW-Interview die umstrittene Justizreform. Er lobt die Europa-Freundlichkeit seiner Landsleute.

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Stanislaw Karczewski
Bild: picture-alliance/PAP

DW: Herr Präsident, die EU, vor allem die EU-Kommission, wirft Polen vor, die Dreiteilung der Gewalten zu untergraben. Kritisiert wird zuletzt die Reform des Obersten Gerichts. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?

Stanislaw Karczewski: Ich verstehe das Interesse an der Reform unseres Justizwesens. Ich versichere, dass wir in Polen die Dreiteilung der Gewalten respektieren. Wir meinen aber zugleich, dass genauso wie die Legislative und Exekutive auch die Judikative kontrolliert werden soll. Darüber hinaus möchte ich anmerken, dass es nicht die Europäische Union ist, sondern nur ein Teil der Politiker der EU, die solche Vorwürfe gegenüber Polen formulieren. Die Kritik von Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans an unserer Justizreform hängt sicher mit der für ihn schwierigen politischen Situation in den Niederlanden zusammen. Er verliert dort an Unterstützung und will offenbar durch seine Aktivitäten die politische Unterstützung vor der kommenden Europawahl zurückgewinnen.

Die jetzige Justizreform haben wir als PiS-Partei in unserem Wahlprogramm angekündigt. Wir realisieren sie jetzt Schritt für Schritt und haben dabei eine große Unterstützung in der Gesellschaft.

Die vorzeitige Pensionierung der Präsidentin des Obersten Gerichts ist allerdings in den westlichen Rechtssystemen etwas Ungewöhnliches. Frau Gersdof beruft sich direkt auf die Verfassung und will die Pensionierung nicht anerkennen.

Die Präsidentin des Obersten Gerichts hat ihr 65. Lebensjahr vollendet und wird laut Gesetz pensioniert. Das Gesetz sieht vor, dass jeder Richter am Obersten Gericht, der die Altersgrenze erreicht hat, sich an den Staatspräsidenten mit dem Antrag wenden kann, über die Altersgrenze hinaus weiter Recht sprechen zu dürfen. Frau Gersdorf hatte dafür einen Monat vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Zeit. Viele Richter haben nach dem Gesetz den entsprechenden Antrag beim Staatspräsidenten gestellt. Frau Gersdorf konnte das auch machen.

Aber wenn zum Beispiel in Frankreich die Amtszeit des Staatspräsidenten verkürzt wurde, galten die Regelungen erst für die Nachfolger des damaligen Präsidenten Jacques Chirac.

Das ist kein guter Vergleich. Bei uns geht es nicht um die Verkürzung der Amtszeit, sondern um das Auslaufen eines Richtermandats. Das ist etwas Anderes. Ein einfaches Gesetz kann die Amtszeit des Präsidenten des Obersten Gerichts nicht verkürzen.

Aber sollte das von Ihnen beschlossene Gesetz nicht erst für die neu berufenen Richter gelten?

Das gilt für alle Richter und wird auch für die neuen Richter gelten.

Kanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron befürworten einen gemeinsamen Haushalt für die Eurozone. Befürchten Sie nicht, dass Polen ins Hintertreffen gelangen könnte?

Polen ist eines der 28 Länder der EU. Die Reformen können nur in Abstimmung mit allen Mitgliedsländern durchgeführt werden. Jeder Bürger, der sich für die Belange der EU interessiert, sieht, dass sich die Union in einer Krise befindet. Einer der Gründe dafür ist die Krise des Euro, der in vielen Ländern unvernünftigerweise eingeführt wurde. Nach den Gesprächen, die ich hier in Deutschland geführt habe, bin ich mir sicher, dass es über den EU-Haushalt eine vertiefte Debatte geben wird. Ich glaube, dass darüber erst das neugewählte Europäische Parlament entscheiden wird.

Polen ist ein Land der Europa-Enthusiasten. 85 Prozent unserer Bürger unterstützen unsere Mitgliedschaft in der EU. Das ist eine große Zustimmung, ähnlich wie für die Justizreform.

Unserer Partei wird vorgeworfen, dass wir antieuropäisch sind. Das stimmt nicht. Es gab niemals eine Erklärung oder ein Statement der Politiker aus der engen Führung unserer Partei, die das bestätigen würde. Ich bin überzeugt, dass die Entscheidung über den zukünftigen EU-Haushalt, dieses für Polen und Europa wichtige Projekt, in Einverständnis aller Mitglieder der EU fallen wird.

Gehört aber nicht zum Bekenntnis zu Europa, dass alle Staaten sich im Rahmen Ihrer Möglichkeiten an der Aufnahme der Flüchtlinge beteiligen?

Wissen die, die uns kritisieren, dass in den letzten zwei Jahren mehr als zwei Millionen Ukrainer zu uns gekommen sind? Viele Politiker in der EU wissen das nicht. Es geht hier nicht um die Quoten und Aufteilung der Migranten, sondern es geht um die Wahl des Gesellschaftsmodells, in dem wir leben wollen. Wir sehen, was in der Welt vor sich geht - in Deutschland, Frankreich - wo parallele Gesellschaften existieren, die sich nicht integrieren wollen, weil sie sich zu anderen Werten bekennen. Polen nimmt Ukrainer auf, weil sie mit großer Wahrscheinlichkeit unsere Werte respektieren werden.

Das Interesse aller EU-Staaten muss doch sein, die Aussengrenzen besser zu schützen und die Menschen in ihren Herkunftsländern zu unterstützen. Die EU sollte eine Migrationspolitik betreiben wie zum Beispiel Australien. Und noch etwas: Polen war jahrzehntelang auf der anderen Seite des "Eisernen Vorhangs". Der Wille der Sowjetunion wurde uns aufgezwungen. Wir mussten tun, was sie wollte. Deshalb möchten wir nicht, dass uns nochmals irgendjemand etwas aufzwingt.

Się vergleichen jetzt Brüssel indirekt mit dem Kreml.

Das ist Ihr Vergleich. Ich spreche von den historischen Gegebenheiten. Wir Polen sind ein sehr freiheitsliebendes und respektierendes Volk.  

Stanislaw Karczewski  (Jahrgang 1955) ist ein nationalkonservativer Politiker der polnischen Regierungspartei PiS ("Recht und Gerechtigkeit"). Seit 2015 ist der ausgebildete Arzt Präsident des Senats, der zweiten Kammer des polnischen Parlamentes und hat damit protokollarisch die dritthöchste Position in Polen inne.

Das Interview führten Bartosz Dudek und Harald Biskup.

Porträt eines Mannes, der eine Brille trägt
Bartosz Dudek Redakteur und Autor der DW Programs for Europe