Polens Angst vor dem "russischen Bären"
3. März 2014
Es waren dramatische Worte, die der polnische Ministerpräsident Donald Tusk zur Beschreibung der Lage in der Ukraine wählte: "Dieser Konflikt hat alle Anzeichen eines Konflikts, der einen Krieg auslösen könnte, welcher alle Staaten der Welt betreffen würde", warnte der Ministerpräsident. Die Folgen wären schwerwiegend, für Polen gehe es um eine "Frage des Seins oder Nichtseins", sagte er am Sonntag (02.03.2014) in Warschau.
Kaum ein anderes Mitgliedsland der Europäischen Union ist näher am Konflikt zwischen Russland und der Ukraine als Polen. Diese Nähe liegt unter anderem in der geografischen Lage begründet: Polen teilt mit beiden Ländern eine Staatsgrenze: im Norden die zur russischen Exklave Kaliningrad, im Südosten die mehr als 500 Kilometer lange Grenze zur Ukraine.
Gleichzeitig gibt es Ähnlichkeiten zwischen der polnischen und der ukrainischen Geschichte: Beide Länder waren einst Spielbälle der internationalen Politik und standen stets zwischen Russland und dem Westen. Die Grenzen beider Staaten wurden wiederholt neu gezogen, ganze Bevölkerungsgruppen mussten zwangsweise das Staatsgebiet wechseln.
Polnische Vermittlung
Bereits während der "Orangenen Revolution" vor etwa zehn Jahren nahm Polen in der Ukraine eine Vermittlerrolle zwischen Viktor Juschtschenko und Viktor Janukowitsch ein, um eine Wiederholung der manipulierten Präsidentschaftswahlen von 2004 zu ermöglichen. Der damalige polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski führte gemeinsam mit dem litauischen Präsidenten Valdas Adamkus viele Gespräche in Kiew und konnte so zu einer Deeskalation der angespannten Situation beitragen.
Auch bei den letzten Vermittlungsversuchen nach den Schüssen auf dem Maidan und vor Janukowitschs Sturz war Polen gemeinsam mit Deutschland und Frankreich wieder mit im Boot. Der von Frank-Walter Steinmeier, dem französischen Außenminister Laurent Fabius und seinem polnischen Amtskollegen Radoslaw Sikorski vermittelte Plan war jedoch nur von kurzer Dauer, da nur wenige Stunden nach der scheinbaren Kompromissfindung Janukowitsch gestürzt wurde und sich nach Russland absetzte.
Innenpolitischer Druck
Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit, sieht Polen nur als begrenzt geeignet, zwischen der Ukraine und Russland eine Vermittlerrolle einzunehmen. "Polen kann eine produktive Rolle spielen, wenn es im Verein mit Frankreich und Deutschland die Positionsvielfalt in der EU repräsentiert, aber die Freiheit zu einer ausschließlich rationalen politischen Vermittlung ist in Polen innenpolitisch begrenzt", so Nassauer im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die polnische Regierung müsse immer auch anti-russische Positionen im eigenen Land mit vertreten, um nicht innenpolitisch unter Druck zu geraten.
"Im sicherheitspolitischen Bereich ist Polen traditionell ganz stark an den USA orientiert", so Nassauer. "Polen versucht ständig, seine besonderen Beziehungen zu Washington zu betonen." Innenpolitisch gehe damit auch eine abwehrende Haltung gegenüber Russland einher. Innerhalb des Landes gebe es die latente Befürchtung, "der russische Bär könnte nochmal stark werden".
Schwieriges Verhältnis
Marcin Zaborowski, Direktor des Polnischen Instituts für Internationale Angelegenheiten, PISM, betont jedoch im DW-Gespräch, dass Polen sich innerhalb der EU oft für russische Interessen eingesetzt habe. "Polen hat sich bisher zum Beispiel immer für die Liberalisierung der Visa-Bestimmungen für russische Staatsangehörige eingesetzt, die in die EU reisen möchten", so Zaborowski.
Aber mit dieser Unterstützung könnte es bald schon vorbei sein: Beim Treffen der EU-Außenminister am Montag (03.03.2014) sagte auch Polens Minister Radoslaw Sikorski, die Europäische Union erwäge Sanktionen gegen Russland, wenn das Land nicht zur Deeskalation beitrage.
Auch Zaborowski macht deutlich, dass die polnische Regierung auf Russlands "grundlosen Akt der Aggression gegen unseren direkten Nachbarn, die Ukraine" reagieren müsse. "Wir betrachten das als einen Bruch des Völkerrechts."
Daher ruft der polnische Politikwissenschaftler die Weltgemeinschaft auf, nicht tatenlos zuzusehen: "Putin wird so weit gehen, wie man ihn lässt. Wenn es keine klare Antwort auf wirtschaftlichem, politischem und diplomatischem Gebiet gibt, vermute ich, dass die Übernahme der Krim nicht der letzte Schritt sein wird."