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Politik

Polens AKW-Pläne machen Deutschland Sorgen

18. Februar 2021

Warschau will 2033 den ersten Atomreaktor starten. Um den milliardenschweren Auftrag kämpfen die USA und Frankreich. Die Bundesregierung sieht Sicherheitsrisiken und will mit in die Planung einbezogen werden.

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Betonmauern, aus denen Stahlhalterungen ragen, stehen vor einem wolkigen Himmel auf einer grünen Wiese
Der Einstieg in die Atomkraft war schon in den 1970ern geplant: Bauruine des nie fertig gestellten AKW ŻarnowiecBild: Michal Fludra/NurPhoto/picture alliance

Polen will in die Atomkraft einsteigen. Die Energiestrategie ("Polityka Energetyczna Polski", PEP) der polnischen Regierung sieht bis 2040 den Bau von sechs Reaktoren an zwei Standorten vor. Die Arbeiten sollen 2026 beginnen, der erste Reaktor 2033 in Betrieb gehen, der letzte zehn Jahre später.

Das EU-Mitglied Polen muss neue Energiequellen erschließen, um die Klimaziele der Europäischen Union zu erreichen. Derzeit kommen 70 Prozent der Energie des Landes aus Kohlekraftwerken, was Polen zu einem der größten Klimasünder Europas macht.

Doch die polnische Energiewende ist nicht nur Druck von außen geschuldet, sondern eine innere dringende Notwendigkeit. Die Braunkohlereserven in Zentralpolen, die derzeit noch 20 Prozent der Energie liefern, werden bis 2035 abgebaut sein.

Ein riesiger Bagger steht inmitten eine Mondlandschaft aus Sand und Abraum, dahinter ist ein bewaldeter Berg zu sehen, davor wachsen niedrige Pflangen
Polens Braunkohlereserven werden bis 2035 abgebaut sein: Blick auf den Tagebau TurówBild: Eventpress Hoensch/picture alliance

Auch Erdgas wird bald knapper, weil Ende 2022 das entsprechende Abkommen mit Russland ausläuft. Derzeit deckt russisches Gas fünf Prozent des polnischen Energieverbrauchs ab. Wegen hoher Preise und aufgrund politischer Spannungen mit Moskau will Warschau den Vertrag nicht verlängern.

Scheinbar perfekte Lösung

Atomkraftwerke (AKW) erscheinen für Polen die perfekte Lösung, um beide Lücken gleichzeitig zu füllen. Der Einstieg in die Atomkraft war schon in den 1970ern geplant. Nach der Katastrophe von Tschernobyl (1986) wurde der Bau von zwei Reaktoren sowjetischen Typs in Żarnowiec 80 Kilometer nordwestlich von Danzig gestoppt. Danach gab es immer wieder Versuche für einen Neustart. Die jetzt geplanten AKW werden vermutlich in Żarnowiec und im nahe gelegenen Lubiatowo-Kopalino stehen.

Rechts vorne sieht man einen Mann mit Schutzhelm in einem weißen Schutzanzug, dahinter eine zerstörte Halle und diverse Messinstrumente
13.Oktober 1986: Ein Ingenieur im Maschinenraum des Tschernobyl-Reaktors, der am 26. April explodiert warBild: AP

Doch alleine kann Polen das Projekt nicht finanzieren. Die geplanten Reaktoren mit der Gesamtleistung von sechs bis neun Gigawatt (GW) würden nach Schätzungen bis zu 30 Milliarden Euro kosten. Beim Geld- und Technologietransfer kämen laut Premierminister Mateusz Morawiecki nur "geprüfte Partner aus der NATO und der westlichen Welt" infrage.

Geld und Geopolitik

Am liebsten würde Warschau mit den USA zusammenarbeiten. Große Hoffnungen weckte Ex-Präsident Donald Trump, als er beim Besuch des polnischen Präsidenten Andrzej Duda in Washington im Juni 2020 die Unterstützung von US-Firmen versprach. Das habe "Polen in die richtige Richtung" gebracht, so Premier Morawiecki. Weniger als einen Monat vor Trumps Wahlniederlage unterzeichneten die USA und Polen ein vorläufiges Abkommen über den Bau von sechs Reaktoren.

Links im Bild lächelt ein braunhaariger Mann im Anzug hinter einer Rednertribüne und einem Mikrofon, rechts spricht ein blonder, älterer Mann im Anzug in eine Mikrofon, vor ihm steht ebenfalls eine Rednertribüne
Polens Präsident Andrzej Duda (l.) und der damalige US-Präsident Donald Trump im Juni 2020 in WashingtonBild: picture-alliance/dpa/AP/E. Vucci

Als Polen mit Präsident Donald Trump seinen größten Verbündeten verlor, brachte sich Frankreich ins Spiel. Am 2. Februar 2021, als die PiS-Regierung ihre Energiestrategie beschloss, reiste der französische Handelsminister Franck Riester nach Warschau, um Polen die nukleare Zusammenarbeit anzubieten.

Große oder kleine Reaktoren?

Ein Vertreter des staatlichen Konzerns Électricité de France sprach in polnischen Medien von einer günstigen Finanzierung von zwei Dritteln der Projektkosten und warb für den französischen "European Pressurized Reactor" (EPR), die auch schon im chinesischen Taishan in Betrieb ist. Die gigantischen Reaktoren mit der Leistung von über 1000 Megawatt (ein GW) sind genau das, was den polnischen Energiestrategen vorschwebt.

Infografik - Atomkraft weltweit Überblick - DE

Doch Marcin Roszkowski vom Warschauer Think Tank "Klub Jagielloński" hält diese Idee für nicht zeitgemäß. "Reaktoren gibt es inzwischen auch in viel kleinerem Format, von 50 und 100 Megawatt (MW) Leistung. Das sind sogenannte modulare Reaktoren. Man kann sie miteinander verkoppeln, sie könnten über eine größere Fläche verstreut liegen und einzelne Städte und Fabriken mit Energie beliefern", sagte der Energieexperte der DW.

Gegen den Trend

"In diesem Fall wäre auch ein Super-Gau ausgeschlossen", so Roszkowski weiter. Die kleineren Reaktoren, die derzeit in Eisbrechern verwendet würden, könnten in einigen Jahren auch kommerziell zugelassen werden. 2019 hat der polnische Milliardär Michał Sołowow angeboten, solche Reaktoren zu bauen und dazu eine Zusammenarbeit mit dem japanisch-amerikanischen Giganten GE Hitachi gestartet.

Ein relativ junger Mann mit Brille blickt vor einem blauen Hintergrund in die Kamera
Der Wirtschaftswissenschaftler Marcin Roszkowski ist Europa-Experte beim Warschauer Think Tank "Klub Jagielloński"Bild: Instytut Jagielloński, 2018/Foto: Dariusz Iwanski

Die polnischen Pläne richten sich auch gegen den europäischen Trend, auf Gas und erneuerbare Energiequellen umzusteigen, meinen Experten. "Bei derzeitigen Technologien ist es kein Problem, den Anteil der Erneuerbaren auf 80 Prozent des Energiemix zu erheben. Die fehlenden 20 Prozent würden auf die Winterzeit in Polen fallen, wenn es wenig Wind und wenig Sonne gibt", sagt Marcin Popkiewicz von der Universität Warschau der DW. Zudem sei der Bau von AKW sehr teuer. "Die Kosten der Atomenergie könnten für die Kunden die Kosten der erneuerbaren Energie um das Fünffache übersteigen", so der Atomphysiker.

Zwischen Kohle und Atom

Die Entwicklung erneuerbarer Energien steht ebenfalls in der polnischen Regierungsstrategie - geht aber schleppend voran. Seit Jahren stagniert ihr Anteil am polnischen Energiemix bei knapp 14 Prozent, was unter dem europäischen Durchschnitt von 20 Prozent (2020) liegt. Der Durchbruch soll 2025 kommen, wenn Polens erste Windparks in der Ostsee ans Netz gehen. Bis 2040 sollen sie eine Kapazität von acht GW erreichen.

Vier riesige Windräder sind zu sehen, davor stehen Häuser und Bäume, dahinter sind Berge zu sehen
Erneuerbare Energien in Polen: Windräder in der Nähe der Autobahn A4 bei Legnica in NiederschlesienBild: Klatka Grzegorz/dpa/picture alliance

Doch das größte Problem bei der Energiewende ist der Ausstieg aus der Steinkohle, die bisher 50 Prozent der Stromversorgung ausmacht. Im Gegensatz zur Braunkohle wird Steinkohle noch mindestens bis 2050 abgebaut. Von der Branche sind mehr als 100.000 Arbeitsplätze abhängig, deshalb zögert die Regierung mit der Schließung der Kohlegruben.

Sorgen in Deutschland

Paradoxerweise könnte die - bezüglich der Klimagases CO2 - "saubere" Atomenergie eben diesen Prozess verlangsamen. Wenn nämlich die polnischen CO2-Emissionen dank der neuen Atomkraftwerke sinken, wird auch der Druck seitens der EU, die Kohleförderung zu reduzieren, nachlassen.

Rauch steigt aus großen Schornsteinen im Hintergrund, vorne sind Häuser. Bäume und Stromleitungen zu sehen, alles ist mit Schnee bedeckt
Könnte dank AKW länger laufen: Das Kohlekraftwerk im oberschlesischen Łaziska GórneBild: Klatka Grzegorz/dpa/picture alliance

Nicht nur deshalb sorgen Polens Atompläne im benachbarten Deutschland bereits jetzt für Unmut. Laut einem Experten-Gutachten im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen vom Januar 2021 würden die nur ein paar Hundert Kilometer von der deutschen Grenze entfernt liegenden AKW ein hohes Sicherheitsrisiko für die deutsche Bevölkerung darstellen.

Unfall würde Deutschland betreffen

"Dieses Gutachten hat anhand der Wetterdaten der letzten drei Jahre alles ausgewertet. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent wäre bei einem Unfall in diesem geplanten Atomkraftwerk auch Deutschland betroffen", erklärt Sylvia Kotting-Uhl, die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, der DW. "Im schlimmsten Fall wären 1,8 Millionen Deutsche einer Strahlung von über 20 Millisievert ausgesetzt. Ab diesem Wert wird evakuiert. Betroffen wäre etwa Berlin und Hamburg, also sehr dicht besiedelte Regionen", so die Grünen-Politikerin.

Das polnische Klimaministerium betont, eine strategische Umweltverträglichkeitsprüfung des Kernenergieprogramms sei durchgeführt worden. Auch Deutschland habe sich an den Konsultationen beteiligt und 30.000 Kommentare eingereicht, von denen die "berechtigten" berücksichtigt worden seien. 

Deutschland will erreichen, dass es weiter in die polnischen AKW-Pläne einbezogen wird. "Für die Bundesregierung ist entscheidend, dass bei einem Atomkrafteinstieg Polens ein höchstmögliches Niveau von nuklearer Sicherheit, Strahlenschutz und Sicherung auch für angrenzende, potenziell unmittelbar betroffene Staaten sichergestellt wird", heißt es in einer Stellungnahme des Bundesumweltministeriums (BMU) für die DW. Es sei international verbrieftes Recht bei potenziell erheblichen negativen Auswirkungen, dass betroffene Staaten beteiligt und gehört würden.

Auf Intervention des für die Umweltprüfung zuständigen "Espoo Implementation Committee" der UN hat sich Polen im Oktober 2020 bereit erklärt, Deutschland auch förmlich an der Umweltprüfung der Energiestrategie (PEP 2040) zu beteiligen. Die Beteiligung könnte laut BMU auch den Austausch mit polnischen Behörden sowie zwischen Organisationen beider Ländern umfassen. Dazu soll den polnischen Behörden "in den nächsten Tagen" eine Stellungnahme der Bundesregierung gesandt werden.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau