Polen zwischen Bauernprotesten und Ukraine-Solidarität
23. Februar 2024Der polnische Premier Donald Tusk verbarg seine Verärgerung nicht, als er am Donnerstag (22.02.2024) vor die Presse trat. Seine Mitte-Links-Regierung unternimmt derzeit große Anstrengungen, um die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen, die die nationalkonservative Vorgängerregierung der PiS in den vergangenen acht Jahren ausgehöhlt hat. Deshalb braucht er Ruhe an anderen innenpolitischen Fronten. Doch die polnischen Bauern haben ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Nach einer längeren Unterbrechung blockieren die Landwirte seit diesem Dienstag (20.02.2024) erneut landesweit die Straßen und Zufahrtswege zu Grenzübergängen in die Ukraine. Dabei kam es vereinzelt zu Ausschreitungen.
Am Grenzübergang Medyka wurde aus einem ukrainischen Güterwaggon Getreide verschüttet. In Schlesien wiederum fiel ein Traktor mit sowjetischer Fahne und einem prorussischen Transparent auf. Darauf stand: "Putin, mach Ordnung in der Ukraine, in Brüssel und bei unserer Regierung". Das Außenministerium in Warschau verurteilte den Zwischenfall scharf, die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen totalitärer Propaganda und Aufruf zum Hass auf.
Tusk will entschärfen
Um eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden, versucht Tusk, die Interessen beider Seiten nun in Einklang zu bringen. Er bekannte sich zur Unterstützung für die Ukraine, zeigte aber auch Verständnis für die Landwirte. "Wir sollten in den innenpolitischen und internationalen Debatten zwei Fragen voneinander trennen. Die Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen Russland steht außer Frage. Das steht nicht zur Disposition. Wir sollten aber auch polnische Landwirte und den polnischen Markt vor negativen Folgen der Grenzöffnung für Agrarprodukte schützen", sagte der liberale Regierungschef.
Gleichzeitig verurteilte er prorussische Provokationen entschlossen: "Eines werde ich niemals akzeptieren. Wir können nicht zulassen, dass in der Nähe der ukrainischen Grenze Menschen aktiv sind, die die Proteste der Landwirte missbrauchen und offen und schamlos Putin unterstützen", sagte Tusk. Das sei Landesverrat.
Damit die Transporte mit Militärgütern und humanitärer Hilfe die ukrainische Grenze problemlos passieren können, will Tusk die polnisch-ukrainischen Grenzübergänge in die Liste der "kritischen Infrastruktur" aufnehmen, was ihnen einen besseren Schutz im Falle der Blockaden garantiert.
Technische Gespräche statt Symbolik
Ein vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj angeregtes Treffen an der Grenze wird dagegen nicht zustande kommen. "Wir brauchen in unseren Beziehungen keine Symbolik, keine bombastischen Gesten der Solidarität", sagte Tusk. Stattdessen sollen sich beide Regierungen am 28. März in Warschau treffen, und zwar nach dem vorherigen Abschluss technischer Gespräche. Selenskyj hatte zuvor ein baldiges Treffen beider Präsidenten und Regierungschefs unter Teilnahme eines EU-Vertreters vorgeschlagen.
Bei einem für diesen Freitag angekündigten Besuch der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will Tusk die "Notwendigkeit der Korrektur der EU-Politik gegenüber der Ukraine" ansprechen.
Lange Vorgeschichte des Konflikts
Der Konflikt um die Lebensmittelimporte aus der Ukraine dauert seit einem Jahr an. Die polnischen Landwirte behaupten, ein Großteil des für Länder in Asien und Afrika bestimmten ukrainischen Getreides sei auf dem Transitweg in Polen geblieben - mit verheerenden Folgen für polnische Landwirte. Die Preise fielen, die polnischen Erzeuger blieben wegen höherer Produktionskosten auf ihrer eigenen Ware sitzen. Zudem wurde die "Green-Deal"-Politik der EU als zusätzliche Belastung empfunden.
Nach einer ersten Protestwelle im vergangenen Jahr hatte die polnische Regierung im April 2023 erstmals ein Importverbot für ukrainisches Getreide verhängt. Unter dem Druck mittelosteuropäischer Länder, darunter vor allem Polens, führte Brüssel befristete Restriktionen für Agrarimporte aus der Ukraine ein. Als das Embargo Mitte September 2023 nicht verlängert wurde, behielten Polen, Ungarn und die Slowakei die Restriktionen in Eigenregie bei. Sie gelten bis heute.
Die Opposition im polnischen Parlament plädiert nun für eine Erweiterung des Importverbots. Krzysztof Bosak von der nationalistischen und antiukrainischen Partei Konfederacja verlangte ein Embargo gegen alle Agrarprodukte aus der Ukraine.
Wem würde ein erweitertes Embargo mehr schaden?
Experten warnen aber, dass ein erweitertes Embargo wegen zu erwartender ukrainischer Vergeltungsmaßnahmen Polen weitaus mehr schaden als nutzen würde. Der polnische Landwirtschaftsminister Czeslaw Siekierski wies im Parlament darauf hin, dass der polnische Überschuss im Handel mit der Ukraine im vergangenen Jahr 6,9 Milliarden Euro betragen habe. Dagegen sei bei Agrarprodukten auf polnischer Seite ein Defizit von 650 Millionen Euro entstanden. Polen exportiert in die Ukraine Fahrzeuge, Maschinen, Kraftstoffe, Waffen und pharmazeutische Produkte, aber auch Milchprodukte, Gemüse und Getränke.
Die polnischen Regierungsvertreter haben für die kommende Woche Gespräche mit den protestierenden Landwirten angekündigt. Die wiederum haben am kommenden Dienstag (27.02.2024) eine Sternfahrt nach Warschau geplant. "Vorerst kommen wir nicht mit Traktoren, sondern mit Bussen", sagte der Chef der Gewerkschaft der Landwirte Slawomir Izdebski. Er rechnet mit bis zu 20.000 Teilnehmern, auch aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden.
Verhältnis zwischen Polen und Ukrainern verschlechtert sich
Die Landwirte zeigen sich entschlossen, von ihrem Protest nicht abzurücken. "Der Kampfgeist wächst mit jedem Tag. Es kommen immer neue Teilnehmer", sagte Andrzej Sobocinski, Sprecher einer Blockade an der Schnellstraße S7 zwischen Danzig und Warschau dem Sender TVN24. "Wir bekommen unglaublichen Zuspruch. Wir haben Tränen in den Augen, wenn uns Menschen Lebensmittel bringen und uns Erfolg wünschen". Die Landwirte aus dieser Region wollen noch bis zum 10. März die Straße blockieren. "Wir fahren erst dann nach Hause, wenn wir konkrete Ergebnisse sehen", sagte Sobocinski.
Der andauernde Konflikt beeinflusst auch das gegenseitige Verhältnis zwischen Polen und der Ukraine. Die polnischen Medien berichteten unlängst über die Umfrage der Gruppe "Rating" aus Kiew, die ein deutliches Schwinden der Sympathiewerte für Polen zeigt. Derzeit betrachten 79 Prozent der Ukrainer Polen als "freundliches Land". Vor einem Jahr vertraten diese Meinung noch 94 Prozent der Befragten. "Eindeutig freundlich" ist Polen nur noch für 33 Prozent der Ukrainer. Vor einem Jahr waren es noch 79 Prozent.
In Polen sieht es ähnlich aus: Eine Umfrage für die Arbeitsagentur Personnel Service vom letzten Sommer zeigte wiederum, dass sich bei 26 Prozent der Polen die Einstellung gegenüber Ukrainern innerhalb eines Jahres verschlechtert hat.