Polen zeigt sich bei EU-Anhörung uneinsichtig
27. Juni 2018Es war eine Premiere. Als erstes Land in der Geschichte der Europäischen Union musste sich mit Polen ein EU-Land einer offiziellen Anhörung im Kreis von Ministern der Mitgliedsstaaten stellen. Die Befragung in Luxemburg war Teil des von der EU-Kommission eingeleiteten Strafverfahrens gegen die Regierung in Warschau im Streit um die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte. Brüssel sieht einen möglichen Verstoß gegen die Grundwerte der EU und hat Zweifel daran, dass die Rechtsstaatlichkeit in Polen gesichert ist.
Das Verfahren soll die Regierung in Warschau dazu bewegen, Änderungen an den seit dem Jahr 2015 eingeleiteten Reformen des Justizwesens vorzunehmen, und könnte - wenn Polen nicht einlenkt - theoretisch sogar mit einem Entzug der Stimmrechte bei EU-Entscheidungen enden.
Mit der Anhörung wurde Polen formell die Gelegenheit gegeben, offene Fragen der EU-Partner zu dem Thema zu beantworten. Das Prozedere ist Voraussetzung dafür, dass innerhalb der EU per Abstimmung offiziell festgestellt werden kann, dass in Polen die "eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung" von EU-Werten besteht. Dafür müssten 22 EU-Staaten zustimmen.
Ernüchterung bei den Beteiligten
EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans sagte nach dem Ende der Anhörung, der Austausch habe keine neuen Ergebnisse geliefert. Die polnische Regierung habe keine weiteren Schritte vorgeschlagen, die über die bereits beschlossenen Nachbesserungen hinausgingen. Die reichen aus Sicht der Kommission jedoch nicht aus, um die bestehenden Sorgen um Polens Rechtsstaat auszuräumen.
Deutschland und Frankreich zeigten sich enttäuscht vom bisherigen Dialog mit der polnischen Regierung. Er habe nicht zu "substanziellen Verbesserungen" der Justizreformen geführt, erklärten sie in einer gemeinsamen Stellungnahme. Die EU beruhe auf den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, sagte der deutsche Europastaatsminister Michael Roth: "Wir alle, im Übrigen auch Deutschland, sind verpflichtet, diesen Prinzipien uneingeschränkt Rechnung zu tragen."
Auch der niederländische Außenminister Stef Blok betonte, die Rechtsstaatlichkeit gehöre zum Rückgrat der europäischen Zusammenarbeit. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte, man sei nicht zusammengekommen, um über Polen zu urteilen oder es zu kritisieren. Man wolle aber klar machen, dass "die Unabhängigkeit der Justiz in Europa heilig ist".
Nach Einschätzung von Rechtsexperten des Europarats führten die Reformen in der Summe zu direkter Abhängigkeit der Justiz von der parlamentarischen Mehrheit und dem Präsidenten der Republik Polen.
Polens Regierung rechtfertigt sich
Der polnische Europaminister Konrad Szymanski warf Kritikern hingegen vor, die intensiven Bemühungen zum Ausräumen der Streitpunkte zu ignorieren. In Warschau sagte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, "unsere Partner aus Westeuropa wissen nicht, wie die postkommunistische Wirklichkeit aussieht, mit der wir ringen." Morawiecki machte damit erneut den Standpunkt der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) deutlich. Sie rechtfertigt die Reformen unter anderem damit, dass das Justizsystem seit Zeiten des Kommunismus nicht reformiert worden sei und viele Richter korrupt seien. Kritiker werfen der PiS dagegen vor, ihr vorrangiges Ziel sei, Richterposten mit eigenen Kandidaten zu besetzen.
Proteste gegen Justizreform
Zeitgleich zu der Anhörung in Luxemburg haben in Polen Tausende Menschen gegen die Justizreformen der Regierung protestiert. Allein in der Hauptstadt Warschau versammelten sich mehr als tausend Menschen. Sie schwenkten Europa-Fahnen und hielten Plakate mit Aufschriften wie "Nein zur Politisierung der Gerichte" und "Verteidigt unsere Richter" hoch. Die Demonstranten forderten die EU auf, im Streit mit Warschau nicht aufzugeben.
qu/kle (dpa, rtre, afp)