"Neue Generation von Rechtskonservativen"
26. Oktober 2015DW: Herr Feicht, die Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) hat die Wahlen in Polen ganz klar gewonnen. Wendet sich Polen nun von Europa ab?
Roland Feicht: Nein, das glaube ich nicht. Sicher ist, dass es mit der neuen Regierung keine Vertiefung der EU-Integration geben wird. Auch ein Beitritt zur Euro-Zone rückt meines Erachtens für Polen in weite Ferne. Man sollte jedoch nicht den Fehler begehen, die heutige PiS mit der von vor zehn Jahren zu vergleichen.
Was hat sich verändert? Parteichef ist seit 2003 Jarosław Kaczyński.
Ich warne vor Analysen, die Kaczyński nunmehr als denjenigen bezeichnen, der in Zukunft alle Strippen im Hintergrund ziehen wird. Man sollte das Veränderungspotential der PiS nicht unterschätzen. Zumindest hat die PiS plakativ eine personelle Änderung vollzogen. Wir haben es im Wahlkampf fast gar nicht mit anti-europäischen und schon gar nicht mit anti-deutschen Stimmen zu tun gehabt.
Im Wahlkampf hat die PiS zumindest Stimmung gemacht gegen Flüchtlinge, die "Parasiten und Bakterien" einschleppten. Wird Polen unter den Nationalkonservativen zu einem zweiten Ungarn?
Das kann ich nicht prognostizieren. Auch die gegenwärtige Regierung war in dieser Frage nicht sehr beweglich. Es gibt eine ganz klare Ablehnung der Flüchtlinge, besonders der muslimischen Flüchtlinge. Ich glaube nicht, dass Polen in dieser Frage hilfreicher sein wird, als es das bisher war.
Damit steht Warschau in einer wichtigen Frage sehr weit weg von der Berliner Position. Zudem gilt die PiS nicht gerade als Deutschland-freundlich. Rücken die Nachbarn jetzt weiter auseinander?
Die Ukraine-Krise - verbunden mit der russischen Aggression - hat ja die Sicherheitslage im Osten Europas dramatisch verändert. Deshalb ist allen politischen Kräften in Polen, einschließlich der PiS, ganz klar, dass man die NATO-Partner und damit auch die Bundesrepublik Deutschland braucht.
Das Verhältnis Polens zu Russland dürfte sich demnach nicht verbessern. Können die Beziehungen zum Kreml überhaupt noch weiter abkühlen, oder haben sie bereits den Nullpunkt erreicht?
Da gibt es in der Tat nicht viel, was noch abkühlen könnte. Alle müssen sich anstrengen, um die Beziehungen aufzuwärmen. Aber auch da muss man abwarten, wie die neue Regierung sich aufstellt. Ganz klar ist, dass in Polen über alle Parteien hinweg eine sehr starke Skepsis herrscht, was die Politik Putins angeht.
Sie haben gesagt, die PiS von heute müsse nicht die von gestern sein. Parteichef Jaroslaw Kaczyński wird wohl keinen Regierungsposten übernehmen. Was ist von der designierten Ministerpräsidentin Beata Szydło zu erwarten?
Sie ist eine erfolgreiche Kommunalpolitikerin. Sie hat sich besonders hervor getan als Wahlkämpferin der PiS für den Präsidentschaftskandidaten Andrezj Duda im Frühjahr. Auch hier fiel schon auf, dass der Parteivorsitzende Kaczyński sich aus der ersten Reihe herausgehalten hat und stattdessen Herrn Duda sehr erfolgreich aufs Schild gehoben hat. Ich denke, dass sowohl der Präsident als auch der Ministerpräsidentin mit eigener Dynamik handeln werden. Hier tritt eine neue Generation der Rechtskonservativen hervor, die einen moderateren Eindruck macht als ihre Vorgänger.
Warum haben die Polen überhaupt ihre liberale Regierung abgewählt - die Wirtschaftsdaten sehen doch hervorragend aus?
In der Tat geht es den Polen makro-ökonomisch gut. Das Wachstum liegt bei drei Prozent, die Arbeitslosenquote bei unter zehn Prozent. Das Problem ist, dass viele Polen das Gefühl haben, nicht an diesem Erfolg teilzuhaben. Die Jugendarbeitslosigkeit ist mit zwanzig Prozent sehr hoch. Und es gibt viele prekäre Arbeitsverhältnisse ohne soziale Absicherung. Da ist spürbar, dass viele junge Menschen keine Perspektive sehen. Die Liberalen wurden am Ende nur noch als wirtschaftsliberal und sozial unsensibel wahrgenommen. Deshalb herrschte schließlich Wechselstimmung nach acht Jahren Regierungszeit.
Wie weit wird der innenpolitische Wechsel gehen? Wird Polen konservativer, katholischer, kommt die "Vierte Republik"?
Polen ist kein monolithisches Land. Es gibt hier Menschen, die sehr liberal oder sozialdemokratisch eingestellt sind, auch wenn sich das nicht immer in Wählerstimmen niederschlägt. Und auch auf diese Teile der Gesellschaft muss eine nationalkonservative Regierung Rücksicht nehmen. Ich hoffe jedenfalls, dass sie das tut.
Roland Feicht leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Warschau.
Das Gespräch führte Peter Hille