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Politik

Polen: Droht dem Auschwitz-Museum die Politisierung?

20. April 2021

Mit der Berufung der Ex-Regierungschefin Beata Szydło in den Beirat der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau hat Polens Kulturminister Piotr Gliński einen Eklat ausgelöst.

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Polen Gedenken l Das Konzentrationslager Auschwitz, 75. Jahrestag der Befreiung
Stacheldrahtzäune trennen die Häftlingsbaracken in der Gedenkstätte Auschwitz-BirkenauBild: DW/N. Batalov

Eigentlich gilt der Beirat der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau als Experten-Gremium, das die Leitung des Museums im ehemaligen deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager nahe der polnischen Stadt Oświęcim in finanziellen Fragen beraten und beaufsichtigen soll.

Für diese Aufgaben wurden bisher Wissenschaftler aus verschiedenen Fachgebieten in den Beirat berufen, vor allem Historiker, Konservatoren, Philosophen und Kunsthistoriker. Auch ein ehemaliger Häftling und ein Priester waren dabei.

Polen Kulturminister Piotr Glinski
Piotr Gliński (PiS) nach seiner Ernennung zum Kulturminister Polens im November 2018Bild: picture-alliance/PAP/L. Szymanski

Anfang April hat der polnische Kulturminister Piotr Gliński nun ein neues Team benannt. Dabei sorgte eine Personalie für große Aufregung: Auf der Vorschlagsliste stand überraschend Beata Szydło, aktive Politikerin der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS).

Szydło bekleidete in den Jahren 2015-2017 den Posten der Regierungschefin, später war sie Nummer Zwei im Kabinett von Premier Mateusz Morawiecki. Seit fast zwei Jahren sitzt die 58-Jährige für PiS im Europa-Parlament.

Protest und Rücktritte

Die Nominierung von Szydło löste in liberalen Kreisen in Polen Empörung und Proteste aus. Parlamentarier der oppositionellen Partei "Bürgerplattform" (PO) forderten Polens Regierung auf, die Entscheidung zurückzunehmen.

Mehrere Mitglieder des Beirates traten aus dem Gremium aus. "Ich verstehe das (die Ernennung von Szydło, Anm. d. Red.) als Politisieren des Rates. In einer solchen Situation sehe ich nicht mehr die Möglichkeit, darin zu funktionieren. Deshalb trete ich aus diesem Rat zurück", so der polnisch-jüdische Philosoph und Publizist Stanisław Krajewski, seit 2008 Mitglied im Beirat, auf Facebook.

Verzicht aus Anstand

"Der Beirat hat sich immer mit historischen und konservatorischen Fragen beschäftigt, nicht mit Politik", erklärte der Krakauer Historiker Marek Lasota und kündigte ebenfalls seinen Rücktritt aus dem Gremium an.

Polen Krystyna Oleksy Vizedirektorin des Museums Auschwitz
Krystyna Oleksy (l.) zeigt dem damaligen NRW-Ministerpräsidenten Rüttgers (M.) im Juli 2007 die GedenkstätteBild: Ralph Sondermann/dpa/picture alliance

Auch Krystyna Oleksy, ehemalige Vize-Direktorin der Gedenkstätte, nahm nach 37 Jahren ihren Hut. "Ich dachte, wenn ich verzichte, dann ist das anständig", so Oleksy gegenüber der DW. Den Streit um die Szydło-Berufung selbst wollte sie nicht weiter kommentieren.

"Attentat auf eine Institution"

"Das ist ein klassisches Attentat auf eine Institution", kommentierte der Soziologe Paweł Śpiewak im Fernsehsender TVN24. Der ehemalige Direktor des Instituts der Jüdischen Geschichte (ŻIH) sprach Szydło jede Kompetenz für die neue Aufgabe ab.

Wien | Diskussion „Pressefreiheit unter Druck – Zur Lage der unabhängigen Medien in Polen und Ungarn“
Bartosz Wieliński von der polnische Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" bei einer Veranstaltung in Wien im September 2019Bild: DW/A. M. Pędziwol

"Szydło soll sich von Auschwitz fernhalten", schrieb Bartosz Wieliński im Leitkommentar der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza". Der Journalist erinnerte an eine Rede, die die Ex-Premierministerin im Juni 2017 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers gehalten hatte. "Auschwitz ist eine großartige Lehre dafür, dass man alles tun soll, um die Sicherheit und Leben seiner Bürger zu schützen", sagte sie damals laut Gazeta Wyborcza - für Wieliński ein "Missbrauch der Opfer des Völkermordes, um die unnachgiebige, gegen Flüchtlinge gerichtete Politik der PiS zu begründen".

Ziel: Polonisierung?

Bisher zumindest zeigte Kulturminister Gliński kein Verständnis für die Protestwelle. Beata Szydłos Teilnahme sei eine "Ehre" für den Beirat. Gliński bezeichnete die Ex-Regierungschefin als eine Person von "großem politischen Format", mit großer gesellschaftlicher Sensibilität und großem Vertrauen. Darüber hinaus stamme die Politikerin aus der Gegend um Oświęcim und habe früher in einem Museum gearbeitet, so Gliński.

Beata Szydlo
Beata Szydło, Polens Ex-Ministerpräsidentin und heutige Europa-Parlamentarierin, in Straßburg im Juli 2019Bild: picture-alliance/AP Photo/J. F. Badias

Die Publizistin und Diplomatin Agnieszka Magdziak-Miszewska dagegen meint, dass Szydło den amtierenden Direktor der Gedenkstätte Auschwitz, Piotr Cywinski, schon lange von seinem Posten vertreiben wolle. "Ihr Ziel im Beirat wird es sein, Auschwitz zu polonisieren", warnte die ehemalige polnische Botschafterin in Israel. Bis zur demokratischen Wende von 1989 waren im Museum polnische Opfer in den Vordergrund gestellt worden.

Warum die Eile?

Die Eile bei der Nominierung für den Beirat verwundert umso mehr, als ein anderes, noch wichtigeres Gremium der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau bis heute nicht neu besetzt wurde: der Internationale Auschwitz-Rat, dessen Amtszeit 2018 ausgelaufen ist.

Władysław Bartoszewski
Władysław Bartoszewski, ehemaliger Auschwitz-Häftling und Ex-Außenminister PolensBild: Marcin Barcz

Das internationale Gremium, in dem auch Ex-Häftlinge und Experten aus den USA, Israel und Deutschland vertreten waren, beriet seit 2000 die jeweiligen polnischen Regierungschefs, vermittelte bei Streitthemen und warb im Ausland für das Museum. Leiter war lange Władysław Bartoszewski, ehemaliger Auschwitz-Häftling und Ex-Außenminister Polens, zuletzt führte das Gremium die bekannte Holocaust-Forscherin Beata Engelking, eine Kritikerin der nationalistischen Geschichtspolitik in Polen.

Der "polnische Gesichtspunkt"

Der Streit um Szydło ist ein weiteres Ereignis in der Auseinandersetzung zwischen der national-konservativen Regierung und der liberalen Opposition. Die seit 2015 regierende PiS versucht, sich nicht nur alle politischen Institutionen unterzuordnen, sondern auch die Kontrolle über bisher unabhängige wissenschaftliche und kulturelle Einrichtungen zu gewinnen.

Polen Pawel Machcewicz bei Grundsteinlegung Weltkriegsmuseum in Danzig
Paweł Machcewicz bei der Grundsteinlegung für das Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig im September 2012Bild: picture alliance/dpa/A. Warzawa

Ein Paradebeispiel für diese Politik war die Übernahme der Kontrolle über das Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig, eines Projektes, das auf Anregung des früheren polnischen Regierungschefs Donald Tusk entstanden war. 2017 wurden der Museums-Gründer Paweł Machcewicz und seine Leute entlassen und das Ausstellungskonzept geändert. Der PiS-Chef Jarosław Kaczyński habe den Verantwortlichen des Museums vorgeworfen, dass die Ausstellung "den polnischen Gesichtspunkt nicht vertritt", so Machcewicz gegenüber der DW.

Die Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen deutschen NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau ist ein weltbekanntes Symbol des Holocaust. Zwischen 1940 und 1945 hatten die deutschen Nationalsozialisten dort mehr als eine Million Menschen ermordet. Die meisten Opfer waren Juden aus dem deutsch besetzten Europa. Auch Polen, sowjetische Kriegsgefangene sowie Sinti und Roma wurden umgebracht.

Mehr als zwei Millionen Menschen aus aller Welt besuchen jährlich den Museumskomplex, der aus dem Stammlager Auschwitz und dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau besteht.

Porträt eines Mannes mit grauem Haar vor einem Regal mit Büchern
Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.