Plenum statt Playa
18. Juli 2012"Schwimmen Sie nicht zu weit raus“, hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert den Abgeordneten noch geraten, bevor er spät abends am 29. Juni die letzte Parlamentssitzung vor der Sommerpause schloss. Es brauchte keine prophetischen Gaben, um zu ahnen, dass es keine zehn sitzungsfreien Wochen werden. Die spanische Regierung verhandelte mit den europäischen Partnern über Hilfskapital für ihre angeschlagenen Banken, zudem saß die Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank auf gepackten Koffern, um in Griechenland die Voraussetzungen für die nächste Tranche der Staatsschuldenhilfe zu erkunden.
Der Griechenland-Bericht der Troika wird bis Ende nächster Woche erwartet. Auf dessen Grundlage werden dann die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone zügig über die Auszahlung entscheiden. Die Abgeordneten, die dann in Urlaub sind, müssen sich auf einen sehr viel kurzfristigeren Rückruf nach Berlin einstellen. Diesmal, zur Beratung der spanischen Bankenhilfe, hatten sie über eine Woche Zeit, um den Kurztrip vom Feriendomizil nach Berlin zu organisieren. Benachrichtigt wurden sie mit E-Mails von der Bundestagsverwaltung und per SMS von ihrer Fraktion.
Konsens im Parlament wackelt
Dass ein Konkurs wichtiger spanischer Banken mit europäischer Hilfe verhindert werden soll, ist weitgehend Konsens im Bundestag. Nur die Linksfraktion und einige wenige Abgeordnete aus den anderen Parteien sind dagegen. Dennoch hat die Opposition Bundeskanzlerin Merkel klar gemacht, dass sie sich ihrer Zustimmung nicht zu sicher sein sollte. Grund dafür ist das, was später, nach den jetzt aktuell anstehenden Hilfsaktionen, folgen soll.
Bisher, seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008, haben jeweils die Nationalstaaten ihre in Schieflage geratenen Banken gestützt. Einige Staaten haben in der Folge selbst das Vertrauen der Finanzmärkte verloren und konnten sich nur noch zu horrenden Zinsen oder gar nicht mehr refinanzieren. Für diese Staaten wurden die europäischen Rettungsschirme geschaffen.
Die kriselnden spanischen Banken sollen jetzt erstmals direkt, ohne den Umweg über die Madrider Staatskasse, Geld aus einem der Hilfstöpfe bekommen. Es wird der vorläufige Rettungsschirm EFSF sein, da der eigentlich dafür vorgesehene permanente Rettungsschirm ESM wegen des deutschen Verfassungsstreits seine Arbeit nicht rechtzeitig aufnehmen kann. Trotz der Direktzahlung wird aber in dem Fall, dass eine der Banken dennoch pleite geht, der spanische Staat haften. So sehen es die geltenden Regeln vor.
Opposition will Klarheit über künftige Regeln
Die Opposition ist aber misstrauisch geworden, ob diese Regeln auch in Zukunft noch gelten sollen. Denn egal ob sich der Staat direkt verschuldet, um Banken zu stützen, oder für Bankschulden haftet, in beiden Fällen treibt das Risiko die Zinsen für Staatsanleihen nach oben. Diesen Mechanismus wollten die Staats- und Regierungschefs auf dem letzten EU-Gipfel Ende Juni durchbrechen. Sie beschlossen, dass der Europäische Stabilitäts-Mechanismus ESM künftig direkt Banken stützen kann, allerdings erst, nachdem eine europäische Bankenaufsicht unter Führung der Europäischen Zentralbank ihre Arbeit aufgenommen hat.
Es scheint in der Logik dieses Beschlusses zu liegen, dass dann auch der ESM haftet und damit letztlich die Staaten, die in den ESM eingezahlt haben und für ihn bürgen. Entsprechend haben sich auch Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker, EU-Währungskommissar Olli Rehn und zuletzt der designierte ESM-Chef Klaus Regling geäußert.
Damit hat Regling nun die Opposition auf den Plan gerufen. "Wenn Angela Merkel die Staatenrettung in eine Spekulantenrettung der Banker verwandeln will, dann muss sie das mit ihrer eigenen Mehrheit und gegen den Widerstand der SPD durchsetzen", polterte SPD-Chef Sigmar Gabriel Anfang der Woche. Mehrere Oppositionspolitiker forderten Bundeskanzlerin Merkel auf, noch vor der Abstimmung am Donnerstag klarzustellen, ob in Zukunft deutsche Steuerzahler für ausländische Banken geradestehen sollen. CSU-Chef Horst Seehofer, immerhin Vorsitzender einer Regierungspartei, stieß ins gleiche Horn.
Kanzlerin versucht zu beruhigen
Angela Merkel trat in einem Fernsehinterview dem Drängen mit dem Hinweis entgegen, dass noch gar nicht entschieden sei, wer bei einer künftigen Direkthilfe für Banken hafte. Zunächst müsse die EU-Kommission einen Vorschlag für eine europäische Bankenaufsicht erarbeiten, sagte die Bundeskanzlerin. Dann erst könne über die weiteren Schritte gesprochen werden. Und am Ende werde ohnehin alles dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt.
Das ist richtig, aber dennoch bietet diese Unklarheit der Opposition eine Gelegenheit, die Regierung unter Druck zu setzen. Diese konnte sich wegen Abweichlern in den Koalitionsfraktionen schon bei den letzten Abstimmungen zur Euro-Rettung nicht sicher sein, ohne Stimmen aus der Opposition eine Mehrheit zu bekommen.
Jetzt, bei der Sondersitzung zur Ferienzeit, kommt noch die Unsicherheit hinzu, wie vollzählig die jeweiligen Truppen antreten. Zwar muss jeder Abgeordnete, der nicht erscheint, hundert Euro Bußgeld zahlen. Aber sich dafür eine langwierige An- und Abreise zu sparen und stattdessen am Strandpavillon mit den Kindern ein Eis zu schlecken, das ist doch sehr verlockend.