"Desert Dash": Plackerei & Freundschaft
7. Dezember 2019Samstagvormittag um 9:36 Uhr hat Samuel Alfons sein großes Ziel erreicht. Der 17-Jährige aus Namibia rollt mit seinem Mountainbike über die Ziellinie des "Desert Dash" in Swakopmund. 373 Kilometer - gemeinsam mit drei Teamkollegen in der Staffel - sind geschafft. Nur zwölf Monate zuvor hatte sich Samuel erstmals überhaupt auf ein Mountainbike gesetzt. Nun, ein Jahr und unzählige Trainingsstunden später, hat er die Strapazen eines der schwierigsten MTB-Rennen dieser Welt bewältigt.
Verständlich, dass der Schüler der Omomas Primary School an diesem Samstagmittag dann auch die Tränen nicht mehr zurückhalten kann, als er im Ziel von einem knappen Dutzend seiner Mitschüler empfangen wird. "Unglaublich", sagt Samuel. "Für mich geht hier ein Traum in Erfüllung. Ich habe nicht immer wirklich daran geglaubt, dieses Ziel hier zu erreichen."
Desert Dash - ein episches Rennen
Der "Desert Dash" ist ein Mountainbike-Rennen von Namibias Hauptstadt Windhoek bis nach Swakopmund an der Atlantikküste, das man wohl als episch bezeichnen kann. Neben der ungeheuren Länge der Strecke sind es für gewöhnlich die schwierigen äußeren Bedingungen, die dieses Event bei Kennern der Szene legendär gemacht haben: Gestartet wird freitags um 15 Uhr - im Normalfall unter sengender Hitze. Auf wellblechartig geriffelten Schotterwegen führt der Kurs zunächst hoch ins Komas-Gebirge, ehe sich die rund 1.000 Starter nachts durch die Namib-Wüste und teils tiefe Sandpassagen bis zum Ziel in Swakopmund arbeiten.
Die nächtliche Finsternis sowie ein für gewöhnlich aus Richtung des Meeres kommender, harter Gegenwind machen den "Dash" zuweilen selbst für Ausdauer-Spezialisten wie den Schweizer Konny Looser, der die letzten vier Auflagen des Rennens allesamt für sich entscheiden konnte und das Ziel in Swakopmund auch diesmal schon früh im Morgengrauen erreicht, zur Tortur.
Von namibischer Sommer-Hitze verschont
Dass er es dieses Mal in einer Topzeit von 14 Stunden und 20 Minuten schafft liegt vor allem daran, dass wettertechnisch alles anders ist als sonst. Einer der in Namibias Sommern seltenen Tiefausläufern hat für Regen und Temperaturen von nur etwas 20 Grad am Start gesorgt. Außerdem kommt der Wind dieses Mal aus Richtung Osten, schiebt die Fahrer also in Richtung Ziel. Davon profitierten natürlich auch die Hobbyfahrer wie die deutsch-namibische Schülerstaffel, für die ein Zeitfenster von 24 Stunden geöffnet ist- um 15 Uhr schließen die Veranstalter am Folgetag das Ziel.
Als Samuel und seine Kollegen das dann auch sonnige Swakopmund erreichen ist Konny Looser längst geduscht und liegt im Hotelzimmer. Die Schüler haben rund zwei Stunden mehr für den Kurs benötigt. Zwischen gemeinsamem Start und gemeinsam zurückgelegter Schlussetappe fuhr jeder der Vier einen mittleren Teilabschnitt von jeweils rund 75 Kilometern solo während die anderen drei derweil im Auto weiterfuhren.
Mutmacher von der Schule der Waisenkinder
Für Samuel war die Distanz als blutiger Anfänger eine enorme Herausforderung. Weil er als starker Leichtathlet auf seiner Schule bekannt war, fiel die Wahl zwölf Monate zuvor auf ihn, als ein Teilnehmer für das Radrennen gesucht wurde. Initiiert hatte dies der Verein Pro Namibian Children, der im Süden Namibias die Omomas Primary School für namibische Waisenkinder finanziert.
Um zu dokumentieren, dass ein Event wie der "Desert Dash" auch benachteiligten Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen nicht verschlossen bleiben muss, hatte der Verein die Idee, eine deutsch-namibische Schülerstaffel ins Rennen zu schicken. Samuel stieg also aufs Rad und begann zu trainieren. Ein Jahr lang, Tag für Tag. Immer wieder hin und her auf der schnurgeraden 50-Kilometer-Strecke zwischen seinem Dorf und dem nächsten Ort Schlip. Monatelang sahen ihn seine Mitschüler jeden Nachmittag nach dem Unterricht auf seinem Trainingsrad das Internatsgelände verlassen und ein paar Stunden später erschöpft zurückkehren.
Schwierigkeiten in der nächtlichen Finsternis
"Diese ganzen Trainingsstunden", stöhnt Samuel nun im Ziel in Swakopmund, "sie haben sich also gelohnt!" Schon auf dem ersten der sechs Teilabschnitte, der rund 600 Höhenmeter hinauf auf den Kupferberg und dann durch das wellige Gelände des Khomas-Gebirges führt, spürt er den Lohn seiner unzähligen Trainingsstunden. "Wir sind gut weggekommen, konnten uns gleichmäßig in der Führungsarbeit abwechseln und waren beim ersten Checkpoint super platziert", erzählt Samuel.
Auf den nächsten beiden Abschnitten sind seine beiden deutschen Teamkollegen Diego und Jaques mit ihren Solofahrten an der Reihe, ehe es für Samuel auf Etappe vier weitergeht - einem langen, hauptsächlich flachen Teil, der allerdings phasenweise durch den tiefen Sand der Namibwüste führt. "Vor allem die Dunkelheit war schwierig", berichtet Samuel. "Man sieht die Hindernisse unheimlich spät und muss sich enorm konzentrieren."
Triumphfahrt in Swakopmund
Aber er bewältigt seinen Solopart über 75 Kilometer unfallfrei und in einer guten Zeit von rund vier Stunden, bevor er an seinen Kollegen Chris weitergibt, der den vorletzten Teil allein fährt. Samuel lässt sich derweil ins Begleitfahrzeug fallen und zum letzten Checkpoint transportieren, ab dem er gemeinsam mit seinen drei Kollegen nochmal als Team die letzten 50 Kilometer zurücklegen wird.
Als die vier zur finalen Etappe auf die Räder steigen ist es sieben Uhr morgens. In Swakopmund ist es sonnig. 22 Grad und Hunderte Zuschauer lassen die erschöpften Radler die Plackerei der letzten Stunden schon beinahe vergessen. "Wir sind ein Team", jubeln die vier, bevor ihnen die begehrten Finisher-Medaillen um den Hals gehängt werden.
"Freunde geworden"
Das gemeinsame Erlebnis hat die vier zusammengeschweißt. "Wir sind Freunde geworden und werden in Kontakt bleiben", sagt Samuel. "Das haben wir uns schon versprochen." Während die beiden deutschen Jugendlichen die Heimreise antreten steht für Chris und Samuel nach dem "Dash" wieder der Alltag in Namibia an. Samuel wird nach absolvierter Primary School zunächst eine weiterführende Schule besuchen, um anschließend zu versuchen, einen Job zu finden. Gut möglich, dass dieser mit Radsport zu tun haben wird. Kontakte zu einem Radgeschäft in Namibias Hauptstadt Windhoek hat er bereits geknüpft, vielleicht winkt ihm dort eine Ausbildungsstelle. Es wäre eine tolle Perspektive für den 17-Jährigen aus der Schule für Waisenkinder. Zunächst hat er aber ein anderes Ziel: "Nächstes Jahr möchte ich wieder am Start des Desert Dash stehen."