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Mangelnde Sorgfalt in Fukushima

Gero Rueter16. September 2013

Japan hat die Folgen der Atomkatastrophe nicht im Griff, Grundwasser und Meer drohen über Jahre radioaktiv verseucht zu werden. Atomexperte Christoph Pistner rät im DW-Interview, internationale Hilfe anzunehmen.

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Nuklearexperte Dr. Christoph Pistner
Nuklearexperte Pistner zeigt sich besorgt über den Umgang mit der Atomkatastrophe in FukushimaBild: imago

Deutsche Welle: Herr Pistner, die Meldungen aus Fukushima sind alarmierend: Hohe Radioaktivität wird gemessen, wie sieht die Situation genau aus?

Auch zweieinhalb Jahre nach dem Unfall ist die Situation problematisch. Vier Reaktorblöcke sind zerstört, seitdem dringen große Mengen Grund- und Regenwasser in die Gebäude ein, die im Inneren hochradioaktiv kontaminiert werden. Diese Wassermengen werden dann partiell gereinigt und auch weiterhin zur Kühlung der Reaktoren verwendet. Aber weitere große Mengen radioaktiver Flüssigkeit müssen kontinuierlich in Tanks auf dem Anlagengelände gelagert werden.

300 Tonnen kontaminiertes Kühlwasser sind aus den Tanks ausgelaufen, Grundwasser dringt in die zerstörten Reaktoren, hochradioaktive Flüssigkeit gelangt ins Meer und der Leiter der japanischen Atomaufsichtbehörde schließt nicht aus, dass auch riesige Mengen verstrahltes Kühlwasser zukünftig kontrolliert ins Meer geleitet werden müssen. Bekommt Japan die Situation nicht in den Griff?

Die Situation ist extrem schwierig. Momentan müssen die Reaktoren noch mit ungefähr 300 Tonnen Kühlwasser pro Tag gekühlt werden. Gleichzeitig dringen aber von außen zusätzlich etwa 300 bis 400 Tonnen Wasser kontinuierlich durch Regen und Grundwasser in die Gebäude ein, die als zusätzliche kontaminierte Menge anfallen. Die gesamte Wassermenge aus den Reaktoren wird dann zunächst gereinigt. Es wird im Wesentlichen das Cäsium entzogen. Viele andere radioaktive Spaltprodukte bleiben aber eben in diesem Wasser. Die eine Hälfte wird wieder zur Kühlung in die Reaktoren gepumpt, die andere Hälfte wird auf dem Gelände in den Tanks gelagert.

Japan: Millionen für Fukushima-Lecks

Mittelfristig plant der Betreiber jetzt, die anfallenden und gelagerten Mengen in einem zweiten Schritt weiter zu reinigen, sodass dann im Wesentlichen noch radioaktive Stoffe wie Tritium in den Wässern enthalten bleiben. Auch dann wird es noch um sehr, sehr große Wassermengen gehen, und deren Lagerung wird auf Dauer ein extremes Problem. Daher stammen jetzt die Überlegungen der Aufsichtsbehörden, ob man dann die noch mal gereinigten Wässer kontrolliert wieder ins Meer abgibt.

Was würde diese kontrollierte Einleitung ins Meer bedeuten?

Das ist schwer einzuschätzen. Momentan gibt es 300 Tonnen kontaminiertes Wasser pro Tag. Wenn es tatsächlich gelingen würde, diesen Mengen praktisch alle radioaktiven Spaltprodukte bis auf Tritium zu entziehen, wären die radiologischen Konsequenzen für die Umgebung und die Bevölkerung voraussichtlich gering. Aber es ist natürlich kein akzeptabler oder glücklicher Zustand, wenn über einen sehr langen Zeitraum Radioaktivität in den Pazifik gelangt.

Jetzt wurden hohe Strahlenwerte bei den Tanks gefunden. Wie bewerten Sie dies?

Seit dem Unfall gibt es Stellen mit einer hohen Radioaktivität. Das hat zu hohen Strahlenbelastungen für die Arbeiter geführt. Bei den jetzt hinzugekommenen Lecks handelt es sich um Betastrahlung. Diese hat eine kurze Reichweite und kann gut abgeschirmt werden.

Hier zeigt sich aber ein Problem in der Qualitätskontrolle und in der Überprüfung der Situation vor Ort durch den Anlagenbetreiber. Wenn er diese hochradioaktive Flüssigkeit in sehr provisorischen Behältern über lange Zeiträume stehen lässt und offensichtlich keine ordentliche Kontrollen durchführt, muss man natürlich annehmen, dass dies auch an anderen Stellen der Fall sein kann.

Ist das Missmanagement von Tepco?

Das ist von hier schwer einzuschätzen. Es ist völlig klar, dass es keinen Staat auf der Welt gäbe, der mit so einer Situation problemlos, ohne schwierige Zwischenfälle umgehen könnte. Wenn große Mengen Radioaktivität einmal in die Umwelt freigesetzt worden sind und wenn sie einen unkontrollierten Zustand in ihren Reaktoren haben, dann stehen sie vor massiven Problemen, und dann müssen sie massiv improvisieren.

Dennoch gewinnt man immer mehr den Eindruck, dass Tepco diese Aufgabe und die damit verbundene Verantwortung nicht so ernst nimmt, wie man es von einem Betreiber in einer solchen Situation erwarten und verlangen muss. Hier müsste deutlich mehr für die Sicherheit getan werden.

Jetzt plant die Regierung eine 1,4 Kilometer lange Sperrwand aus gefrorenem Erdreich um die Kraftwerke. Damit soll das Eindringen des Grundwassers verhindert werden. Eine sinnvolle Idee?

Derzeit fließt kontinuierlich Grundwasser aus dem Landesinneren durch das Anlagengelände zum Meer. Die Kontaminationen auf dem Gelände dringen im Laufe der Zeit durch Regen in den Boden und drohen ins Grundwasser und dann ins Meer zu kommen. Mit dieser Sperrwand soll das Eindringen von Grundwasser in die vier Atomruinen verhindert oder zumindest reduziert werden.

Ob ein solcher Versuch erfolgreich ist, wird man erst im späteren Verlauf feststellen können. Wasser findet seine Wege und kann auch die Eismauer unterspülen oder durchdringen. Dieser Versuch zeigt aber, dass wir es hier mit Problemen zu tun haben, die wir üblicherweise nicht kennen, und dass man hier auf ausgefallene Maßnahmen zurückgreifen muss.

Es gibt den Vorschlag, internationale Experten nach Fukushima zu schicken. Wäre das hilfreich?

Fukushima: Strahlenbelastung steigt

Es kann nicht schaden, sich Unterstützung zu holen. Der Betreiber kommt mit der Situation offensichtlich kaum zurecht. Eine Öffnung für externe Experten kann auf jeden Fall sinnvoll sein.

Was sind die weiteren Herausforderungen?

Große Mengen an abgebrannten Brennelementen müssen innerhalb der nächsten Jahre geborgen werden, um sie sicher zu verwahren. Dann müssen die Reaktorgebäude stabilisiert werden und die geschmolzenen, zerstörten Kerne geborgen und irgendwie sicher verwahrt werden. In den nächsten 30 bis 40 Jahren wird uns dieses Problem noch beschäftigen.

Die japanische Regierung will abgeschaltete Atomkraftwerke wieder ans Netz bringen. Halten Sie dies für realistisch?

Die Regierung fährt einen Pro-Nuklear-Kurs, aber die japanische Bevölkerung lehnt eine Wiedereinschaltung der Reaktoren mehrheitlich ab. Da in Japan die lokalen Regierungen ein Mitspracherecht beim Wiederanschalten der Reaktoren haben, wird die Rückkehr zum alten Pro-Nuklear-Kurs schwierig.

Dr. Christoph Pistner ist Physiker, Experte für Nukleartechnik und Anlagensicherheit am Öko-Institut in Darmstadt und Mitglied im Ausschuss Anlagen und Systemtechnik der Reaktor-Sicherheitskommission in Deutschland.

Das Gespräch führte Gero Rueter.