Piräus: Hafen der letzten Hoffnung
14. März 2016Am Wochenende fanden in ganz Griechenland Karnevalsveranstaltungen statt. Daran erinnern am Montag in Athen noch einige wenige verkleidete Jugendliche, die kurz nach fünf Uhr mit der ersten Metro nach Hause fahren. Der Montag nach Karneval ist ein Feiertag - Beginn der Fastenzeit. Die passt eher zu dem Bild, das sich einem derzeit im Hafen von Piräus bietet.
Sie mache nun jahrzehntelang Flüchtlingsarbeit, sagt die Frau vom UN-Flüchtlingshilfswerk, aber solche Verhältnisse habe sie noch nicht gesehen. Auf dem Boden des rund 2000 Quadratmeter großen Passagierterminal E2 liegen eng nebeneinander Hunderte von Frauen, Kinder, Männer. In anderen Passagierterminals und Lagern des Hafengeländes von Piräus sieht es ähnlich aus. Weil der Platz in den Hallen nicht für alle reicht, übernachten viele Flüchtlinge in durchnässten Zelten.
Ohne die Freiwillige ginge nichts
Seit Tagen regnet es unaufhörlich. Und der Strom der Flüchtlinge hört nicht auf. Obwohl rund 500 Menschen in neuerrichteten Flüchtlingscamps gebracht worden waren, zählten am Sonntagabend die Hafenbehörden 2780 Menschen. Am Montagmorgen brachte die Fähre "Ariadne" 221 Flüchtlinge aus Lesbos und 380 aus Chios. Am Montagabend werden zwei weitere Passagierschiffe von den Inseln in der Ostägäis erwartet. Wie viele Flüchtlinge dann an Bord sein werden, wissen die Hafenbehörden nicht.
"Es ist zum verrückt werden", sagt Andy, "man erfährt nie im voraus, wie viele Menschen kommen werden, damit wir uns darauf einstellen können". Andy und seine Frau sind Israelis, die auf Kreta leben. Seit zehn Tagen betreuen sie Flüchtlinge in Piräus. Das heißt, sie organisieren mit anderen Freiwilligen das Überleben der hier Gestrandeten. Bislang war es so, dass die Flüchtlinge, die von den Inseln auf das Festland kamen, ihrem Schicksal überlassen wurden. Angesichts der Untätigkeit des Staates haben im vergangenen Oktober Nichtregierungsorganisationen von Piräus eine Initiative gestartet, um den Flüchtlingen Unterkunft und Verpflegung zu bieten. Die Hafenbehörde stellte leer stehende Gebäude zur Verfügung, alles Weitere wird durch Spenden finanziert: Zelte, Decken, Anziehsachen, Windeln, Seifen, Shampoos und auch das Essen.
Tagtäglich werden auf diese Weise rund 3000 Menschen versorgt. Dutzende von griechischen Freiwilligen lösen sich rund um die Uhr ab. Zu ihnen gehört auch der Kältetechniker Giorgos Markakis. Er hat sich von seiner Arbeit frei genommen. Bis zu 12 Stunden fährt er mit seinem Privatauto Essen aus, stellt Zelte auf und macht alles, was sonst noch anfällt. Warum vernachlässigt er Arbeit und Familie? "Hier muss man doch helfen, sehen sie das nicht?"
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Grob geschätzt sind 40 Prozent der Flüchtlinge im Hafen von Piräus Syrer, genau so viele sind Afghanen und rund 20 Prozent kommen aus dem Irak. Etwa 130 Jesiden leben als eigene Gruppe in Zelten. Sie alle kamen aus der Türkei - meist in der Nacht setzten sie mit Schlauchboten auf die griechischen Inseln Lesbos, Chios, Samos über. Die Tarife für die Schleuser sind unterschiedlich: Afghanen sollen 1300 Dollar zahlen, Syrer 700.
Nachdem sie auf den Inseln registriert wurden, kamen sie auf das Festland, um weiter nach Westeuropa zu reisen. "Lassen sie mich ehrlich sein", sagt der 28jährige Syrer Mahmoud, "Griechenland befindet sich in einer schlechten wirtschaftlichen Lage. Wir wollen in ein Land, wo wir willkommener sind." Obwohl - als studierter Hotelmanager könnte er im griechischen Tourismus schnell unterkommen. Aber Mahmud ist nicht alleine. Seine Mutter und zwei Geschwister sind bei ihm und auch Freunde. Die Gruppe besteht aus rund 25 Personen. Sie entscheiden gemeinsam, wohin die Reise geht.
Warten auf das Signal aus Brüssel
Bislang ging sie zum griechischen Grenzort Idomeni. Jetzt aber ist die Grenze nach Mazedonien für alle Flüchtlinge geschlossen. Die Flüchtlinge dort suchen derzeit nach Alternativrouten an den Grenzposten vorbei. Die allermeisten in Piräus hoffen allerdings, dass die Grenze bald wieder öffnet. Einige, die mit der Fähre am Montagmorgen gekommen sind, gingen nicht zu den Unterkünften auf dem Hafengelände. "Wir wollen nach Mazedonien", erklärte eine etwa 30jährige Frau aus Damaskus. Sie und ihr Mann werden mit dem Bus dorthin fahren. Den Einwand, dass die Grenze geschlossen ist, vermag sie nicht zu beirren.
Nicht nur Mahmoud, sondern auch viele andere wollen den EU-Gipfel abwarten, um dann zu entscheiden, was sie machen werden. Die griechische Regierung jedenfalls hat die Hoffnung auf eine Grenzöffnung aufgegeben. Nach Aussage des verantwortlichen Koordinators für Flüchtlingsfragen der Regierung, Dimitris Vitsas, werden die allermeisten Flüchtlinge bis zu zwei Jahre in Griechenland bleiben, einige aber für immer. Die einzige legale Möglichkeit, um nach Westeuropa und Deutschland zu gelangen, wird das Relocation-Programm der EU sein. Demnach sollen 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien auf die anderen 26 EU-Mitgliedsländer verteilt werden. Ob das aber jemals umgesetzt wird? Von den vorgesehenen 66.400 Umsiedlungen aus Griechenland sind bislang nur 536 durchgeführt worden.