Pirelli-Kalender 2023 feiert Diversity
16. November 2022Der Pirelli-Kalender - genannt "The Cal" - ist nicht irgendein Kalender mit Pin-Up-Girls, der an Spindtüren oder den Wänden verqualmter Werkstattbüros hängt. Er erregt jedes Jahr Aufsehen mit seinen Motiven. Dafür verpflichtet der italienische Konzern immer wieder weltberühmte Fotografinnen und Fotografen wie Helmut Newton, Peter Lindbergh, Annie Leibovitz oder Karl Lagerfeld. Bekannteste Models und Superstars aus Sport, Film und Musik standen für den Kalender schon vor der Kamera - wie etwa Cindy Crawford, Naomi Campbell, Kate Moss, Patti Smith, Milla Jovovich, Jennifer Lopez, Penelope Cruz, Sophia Loren und viele andere. Im vergangenen Jahr setzte der Musiker und Fotograf Bryan Adams Stars wie Cher oder Iggy Pop in Szene.
Pirelli ist ein Reifenhersteller, dem man durchaus zutraut, einen Kalender zu veröffentlichen, in dem sich barbusige Schönheiten lasziv auf Motorhauben wälzen. Und tatsächlich ging es auch lange Zeit um Hochglanz-Erotik. Doch nach lauter werdender Kritik tut Pirelli seit einigen Jahren viel dafür, das Image des Kalenders zu verbessern - mit mehr Kunst und Diversität. 2017 etwa zeigte Peter Lindbergh (fast) ungeschminkte Oscar-Preisträgerinnen, für die Ausgabe 2018 standen ausschließlich schwarze Models vor der Kamera von Modefotograf Tim Walker.
Liebesbriefe an die Muse
Der erste Kalender erschien 1964. Für den 49. Kalender - in einigen Jahren wurden keine Exemplare gedruckt - wurde mit Emma Summerton die erst fünfte Frau in der Reihe der überwiegend männlichen Pirelli-Fotografen engagiert. Die in London und New York lebende australische Fotografin hat sich vor allem mit dramatisch inszenierten Vogue-Covern einen Namen gemacht. Für Summerton ging mit dem Pirelli-Engagement nach eigenen Angaben ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung, schließlich ist es auch einer der prestigeträchtigsten Aufträge in der Modebranche.
Ihr Motto für den Kalender 2023: "Love Letters to the Muse" (Liebesbriefe an die Muse). Für das Konzept habe sie darüber nachgedacht, was sie in ihrem Leben am meisten inspiriert habe, verriet sie dem Magazin "Focus". "Und tatsächlich sind es Frauen, die meine Arbeit und meine Bilder inspiriert haben, die beeinflussen, wie ich mein Leben lebe, von meiner Mutter bis hin zu Freundinnen oder Künstlerinnen, denen ich im Laufe meiner Karriere begegnet bin." Das Wort "Muse" stehe für etwas Wunderschönes: für die kreativen Künste.
Vielfältige Schönheit
Summerton setzt ihre Models auf eigenwillige, fast mystisch anmutende Art in Szene. "Ich liebe es, Frauen zu fotografieren und sie stark, aber auch sexy, mächtig und bisweilen ein wenig seltsam zu zeigen", wird Summerton auf der Pirelli-Homepage zitiert. Mit dem Kalender wolle sie die Betrachtenden dazu anregen, ihren Geist zu öffnen und mit ihr zu träumen. So gibt sie jedem ihrer Models die Funktion einer Muse und zelebriert mit ihnen diverse Schönheit.
Am Start sind die angesagtesten Supermodels. Bella Hadid stellt eine Koboldin dar und kommt wie ein fantasievoller Faun aus einem verwunschenen Zauberland daher. Lauren Wasser ist "das Mädchen mit den goldenen Beinen". Sie hat durch eine Krankheit beide Beine verloren und läuft auf goldenen Prothesen über Laufstege in Paris, Mailand und New York. Summerton nennt sie die "Athletin".
Das schwarze Plus-Size-Model Precious Lee hockt mit blauen Haaren in ebenso blauem engem Kleid als Geschichtenerzählerin auf einer Matte. Ihre Kollegin Ashley Graham ist die "Aktivistin" - mit Recht, denn Graham setzt sich vehement für "Body Positivity" ein.
Das schwarze Model Adut Akech ist als Traumfängerin umhüllt von weißem Seidenpapier. Adwoa Aboah stellt eine Königin dar - wie Nofretete wurde sie für das Foto in goldbraunen Sand gebettet. Die Chinesin He Cong ist "die Weise" und die pansexuelle Cara Delevingne steht als "Performerin" in einem Gewand aus schwarzen Schnüren und Knoten in einem Wald aus riesigen Pusteblumen.
Begehrte Sammlerstücke
Alle Fotos sind opulent inszeniert, Emma Summerton schafft mit jedem der Bilder eine eigene Traumwelt. Nicht umsonst werden ihre Fotografien als skurril und erfinderisch beschrieben. Ein ganz neuer Stil in der Reihe der Pirelli-Kalender, die von Anfang an begehrte Sammlerstücke waren.
"The Cal" gibt es nicht im Handel - die exquisiten Kalender werden nur an einen erlesenen Personenkreis verteilt: an Pirelli-Kunden und sogenannte Freunde des Hauses. Immer wieder gibt es bei Auktionen oder im Netz Angebote für Sammler. Für ein Exemplar von 1966 muss man mit bis zu 1500 Euro rechnen, die Lagerfeld-Edition von 2001 wird mit etwa 600 Euro gehandelt. Manche Ausgaben gibt es aber auch schon für 20 für 30 Euro.