Picasso im Vorstandsbüro
2. April 2013Rund 56.000 Kunstwerke besitzt die Deutsche Bank – die bedeutendste Sammlung der Welt von Zeichnungen und Fotografien nach 1945. Die HypoVereinsbank kann 20.000 Werke mit dem Schwerpunkt internationale Gegenwartskunst ihr Eigen nennen. Und dem Chemie- und Pharmakonzern Bayer gehören rund 5.500 Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken und Skulpturen des 20. Jahrhunderts.
Rund 240 Werke davon, teils bislang nie öffentlich gezeigt, präsentiert Bayer derzeit in Berlin anlässlich des 150. Firmenjubiläums. Darunter prominente Werke wie die erotische Picasso-Lithografie "Figure 21.11.1948", Max Beckmanns "Orchideenstilleben mit grüner Schale" und "Abstraktes Bild (555)" von Gerhard Richter. Seit 1912 sammelt der Konzern Kunst und besitzt damit die älteste Firmensammlung Deutschlands. Aber warum sammeln gerade Unternehmen Kunst, die doch eigentlich gewinnorientiert arbeiten?
Versicherungen und Banken nutzen Kunst
"Während früher oft der Patriarch aus persönlichem Interesse Kunst in seiner Firma aufgehängt hat, wird die Kunst heutzutage bei vielen Unternehmen als Imagefaktor für Marketingmaßnahmen genutzt", erklärt Wolfgang Ullrich, Professor für Kunstwissenschaft an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Besonders seien das Branchen, die keine fotogenen Produkte verkaufen, also Versicherungen oder Banken. "Da kommt es doch ganz gut, wenn sich der Vorstand vor einem zeitgenössischen Kunstwerk zeigt, während der Vorstandschef eines Automobilherstellers immer die Möglichkeit hat, sich vor sein neuestes Modell zu stellen." Häufig wird Kunst zu Repräsentationszwecken in Foyers, Besprechungsetagen oder Konferenzräumen ausgestellt.
Dabei wird die Motivation für das Kunstengagement oft mit dem Argument der "gesellschaftlichen Verantwortung" begründet. Bei zahlreichen Firmen gebe es tatsächlich ein ernsthaftes Kunstengagement, bestätigt Ullrich. Ohne diese Hilfe wäre die Kunstbranche deutlich ärmer. "Es gibt zahlreiche Stipendien für junge Künstler oder auch Auftragsarbeiten, ohne die viele sonst gar nicht ihren Beruf weiter ausüben könnten." Alessa Rather vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft weist auf die Artotheken hin, die immer mehr Unternehmen anbieten würden, um Mitarbeiter an die Kunst heranzuführen. "Da können sich die Mitarbeiter mit den Kuratoren austauschen, gemeinsam Kunst betrachten und sich als Leihgabe auch ein Gemälde für das eigene Büro oder für Konferenzräume ausleihen", so Rather.
Deutschland im internationalen Vergleich ganz vorn
Wobei klar sein muss: Ein Picasso oder ein Beckmann hängt dann doch meist nur in den Vorstandsbüros. Das habe oft, sagt Rather, mit den großen Formaten zu tun oder sei aus versicherungstechnischen Gründen nicht anders machbar. Es könnte aber auch noch ein anderes Motiv geben, das der "Distinktionspolitik", wie der Kunstwissenschaftler Ullrich es nennt. Damit ist gemeint, dass manche Konzerne Kunst nutzen, um Distanz zwischen den Hierarchieebenen zu schaffen oder gar zu verstärken.
In Deutschland gibt es Firmensammlungen in bemerkenswerter Anzahl und Vielfalt. Laut Rather sind es knapp über 300 Unternehmen. Dabei sei die Bundesrepublik beim sogenannten "corporate collecting" international führend. Das hat, so der Geschäftsführer des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft, Stephan Frucht, "mit dem starken Mittelstand zu tun", den es sonst in der Welt so nicht gebe. "Dieser engagiert sich sehr stark in der Kultur, speziell der Kunst." Wie beispielsweise der "Schraubenkönig" Reinhold Würth, "der sogar mehrere Museen gebaut hat, um seine Sammlungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen." Oder Ritter. Die Firma, die durch die quadratische Schokolade Rittersport bekannt ist, hat ein eigenes Museum, das sich insbesondere dem Quadrat in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts widmet. Hier ist die Schnittstelle zwischen Produkt und Kunst oder Marketing besonders hoch - und damit das Engagement glaubwürdig.
Was für Schätze sich in einigen Unternehmen befinden, wird manchmal erst bekannt, wenn Unternehmen aus finanziellen Gründen gezwungen sind, ein Kunstwerk zu verkaufen. So wie bei der Commerzbank im Jahr 2010: Die Skulptur L'Homme qui marche I des Schweizer Künstlers Alberto Giacometti ist für knapp 75 Millionen Euro versteigert worden und gilt als das teuerste Kunstwerk der Welt. Als Wertanlage wird Kunst nach Meinung von Ullrich jedoch selten gekauft. "Das mag in den letzten Jahren während des unglaublichen Booms auf dem Kunstmarkt sicherlich auch mal eine Rolle gespielt haben, aber grundsätzlich ist dies nicht der Fall." Das bestätigt auch Stephan Frucht. "Das ist eher selten, dass Unternehmen wie die damalige WestLB Stradivaris gesammelt hat. In der bildenden Kunst spielt das eine untergeordnete Rolle."
Beliebt: Gerhard Richter
Auswirkungen auf den Kunstmarkt nehmen die Firmen durch Ein- und Verkäufe von Kunstwerken laut Ullrich kaum: "Wenn die Hälfte aller Unternehmen plötzlich beschließen sollten, ihre Firmensammlungen zu verkaufen, dann hätte das sicherlich Einfluss. Oder wenn viele Werke eines Künstlers zum selben Zeitpunkt versteigert würden." Beispielsweise die von Gerhard Richter. Der deutsche Maler, Bildhauer und Fotograf steht bei den Unternehmen ganz hoch im Kurs. "Es gibt kaum einen großen Konzern in Deutschland, der Kunst sammelt, der nicht Werke von Gerhard Richter besitzt", so Ullrich. Was die Kunstrichtung betrifft, greifen die Firmen, die inzwischen oft eigene Kuratoren einstellen, auf zeitgenössische, insbesondere abstrakte Kunst zurück: "Das hat eine gewisse Unverbindlichkeit, aber auch etwas Energisches", erklärt Ullrich. "Anstößiges werden Sie eigentlich in keinem Unternehmen finden. Auch Landschaftsgemälde gibt es kaum, die sind wiederum zu harmlos."