Philippinen: Die Stimme aus dem Knast
20. Juli 2017Dass sie Rodrigo Duterte einen "soziopathischen Serienkiller" nannte, dürfte er ihr kaum übel genommen haben. Denn mit seinen Morden gibt der philippinische Präsident selbst gerne an. Dass Leila De Lima nicht müde wird, gegen Dutertes radikale Drogenpolitik vorzugehen, hat ihn offensichtlich mehr gestört.
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit als Präsident hatte Duterte ihr geraten zu schweigen. Gleichzeitig nannte er sie eine ganz und gar unmoralische Person und warf ihr vor, selbst in Drogengeschäfte verwickelt zu sein. Doch De Lima ließ sich nicht beirren und berief einen Senatsausschuss ein, der den Vorwurf außergerichtlicher Exekutionen in Dutertes Auftrag untersuchte.
Im Oktober 2016 dann kamen die ersten Anklagen: De Lima sollte ihren Wahlkampf mit Geld aus einem Drogenkartell finanziert haben. Als Justizministerin sei sie zur "Mutter aller Drogenbosse" aufgestiegen, heißt es in der Anklageschrift.
Die Senatorin wies die Vorwürfe zurück. Alles sei frei erfunden, um sie zum Schweigen zu bringen, sagte sie. Und sie kündigte an weiterzumachen: "Mit ganzem Herzen werde ich dafür kämpfen - und wenn sie mich deswegen einsperren, dann ist es mir eine Ehre, verhaftet zu werden." Am Morgen des 24. Februar 2017 wurde ihr diese "Ehre" zuteil. Seither sitzt sie in Untersuchungshaft.
EU mischt sich ein
Viele glauben De Lima. Vor allem im Ausland, wo Duterte von Anfang an höchst umstritten war, kommt die Botschaft an, die De Limas Verbündete kundtun: Die Senatorin sei Dutertes "erste politische Gefangene". Bereits im März hatte das Parlament der Europäischen Union De Limas Freilassung gefordert. Zumindest erwarte man von der Regierung, dass sie ein faires Verfahren und De Limas Sicherheit garantiere. Diese Wochen reisten zwölf EU-Abgeordnete nach Manila, um die Forderung zu untermauern. Am Mittwoch berichtete die schwedische Delegationsleiterin Soraya Post aus Manila, De Lima mache einen "sehr guten und starken" Eindruck.
Tatsächlich hat Duterte die 58-Jährige mit der Inhaftierung keineswegs zum Schweigen gebracht. Immer wieder gelangen ihre Statements aus dem Gefängnis an die Presse. Auch ihr Senats-Kollege Antonio Trillanes IV hat Anteil daran. Erst am Sonntag verlas er eine Rede, die De Lima in ihrer Zelle geschrieben hatte und in der sie das "stille Einverständnis" der Öffentlichkeit beklagte mit den Tausenden außergerichtlichen Exekutionen, die Dutertes Schergen offenbar im Kampf gegen Drogensüchtige und Dealer durchgeführt haben.
Trillanes gehört zu den wenigen philippinischen Politikern, die Duterte überhaupt noch die Stirn bieten. De Limas Verhaftung, sagt er im Telefonat mit der DW, werde ihn davon auch nicht abbringen. Im Gegenteil: "Es gibt mir umso mehr Gründe, zu verhindern, dass Duterte die demokratischen Institutionen weiter zerstört."
Verbündete gegen Duterte
Dies gelte umso mehr, als die Zahl der Kritiker auch im eigenen Land wachse: "Duterte scheint das Gegenteil von dem zu erreichen, was er wollte. Seit Senatorin De Limas Inhaftierung wenden sich mehr und mehr Menschen von ihm ab - die organisierte Zivilgesellschaft, die Medien, die Kirche, aber auch die Öffentlichkeit insgesamt."
Eine am Mittwoch veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pulse Asia sagt allerdings etwas anderes: Demnach hat sich die Zustimmungsrate für Dutertes Politik sogar wieder erholt. Nachdem 83 Prozent der Befragten Ende 2016 Dutertes Politik für gut befanden, waren es im März 2017 nur noch 78 Prozent. Mittlerweile sind es wieder 82 Prozent.
Trillanes lässt sich davon nicht irritieren: "Wenn Duterte so beliebt wäre, müsste ich auf den Straßen von Lima um mein Leben fürchten. Aber die Menschen grüßen mich und danken mir", sagt er.
Nach De Limas Verhaftung hatten die Medien Trillanes als "nächsten politischen Gefangenen" gehandelt. Auch gegen ihn wird immer wieder Korruptionsverdacht laut. Doch Duterte winkt ab: Er sei zu unbedeutend.
Ziemlich beste Feinde
Allein aus dieser Äußerung Dutertes könnte man lesen, dass er es ist, der es auf De Lima abgesehen hat, nicht die Justiz. Grund genug hätte er. Denn die beiden sind sich schon in der Vergangenheit begegnet: Als Duterte Bürgermeister der Großstadt Davao war, brachte es der "Davao Death Squad", eine Art Bürgermiliz, mit außergerichtlichen Exekutionen zu trauriger Berühmtheit. Mehr als 1000 Morde sollen zwischen 1998 und 2008 auf das Konto der Miliz gehen, darunter viele Straßenkinder.
Die aufstrebende Rechtsanwältin Leila De Lima, damals Leiterin der philippinischen Menschenrechtskommission, untersuchte den Fall. Vieles - darunter Zeugenaussagen - wies darauf hin, dass Duterte den "Todesschwadron" unterstützte. Zu dieser Einschätzung kam auch der UN-Sonderberichterstatter Philip Alston. De Lima prangerte Dutertes Vorgehen auf den Philippinen vehement an - damals und erst recht, als er für die Präsidentschaft kandidierte.
Geistlicher Leidensgenosse
Einer, der überzeugt ist, dass die Vorwürfe gegen De Lima vollkommen aus der Luft gegriffen sind, ist der irische Missionar Pater Shay Cullen. Seit den 70er Jahren setzt er sich mit seiner Organisation PREDA für Straßenkinder und gegen ihren sexuellen Missbrauch ein, wurde dafür mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Auch Cullen hat die willkürlichen Exekutionen durch Todesschwadronen untersucht.
Von damals kennt er De Lima, erzählt Cullen im Gespräch mit der DW, mehrmals hätten sie sich getroffen, um über die Untersuchungen zu sprechen und Dokumente auszutauschen: "Sie ist eine sehr resolute Person, die sich sehr den Menschenrechten verpflichtet fühlt."
Ihre Verhaftung hat ihn nicht überrascht: "Ich glaube, ich bin allein 52 Mal von Menschen verklagt worden, gegen die ich wegen Kindesmissbrauchs ermittelt habe." Auch Duterte als Bürgermeister von Davao habe Vorwürfe gegen ihn konstruiert. "Das passiert hier ständig, das ist ziemlich normal."
So wenig ihn die Anklage gegen De Lima wundert, so sehr besorgt sie ihn. Denn der Pater hält Duterte - wie es auch De Lima tut - für einen Massenmörder. Die guten Umfragewerte, glaubt Cullen, spiegelten bereits die Angst in der Bevölkerung wider. Bereits jetzt habe Duterte genug Geld und Einfluss, um sich weitere Unterstützung zu kaufen. Den Senatsausschuss wegen außergerichtlicher Exekutionen muss er wohl nicht mehr fürchten.
Mit dem Ausnahmezustand in mehreren Regionen werde er seine Macht wohl weiter festigen, fürchtet Cullen. Vieles erinnere ihn an die Diktatur von Ferdinand Marcos zwischen 1972 und 1986. Kein hoffnungsvoller Vergleich - weder für die Philippinen, noch für Leila De Lima.