Pharma-Riesen in der Kritik
4. Dezember 2012Brasilien ist bekannt für seine Gegensätze: Als aufstrebendes Schwellenland ist es ein interessanter Markt für internationale Pharmafirmen. Doch noch immer leben viele Brasilianer in Armut und sind im Krankheitsfall auf preiswerte Medikamente angewiesen.
Deswegen untersuchte die "Pharma-Kampagne" der deutschen Nichtregierungsorganisation "Bundeskoordination Internationalismus" (BUKO) das Geschäftsverhalten von drei internationalen Firmen in Brasilien: Bayer HealthCare, Baxter und Boehringer Ingelheim unterhalten seit Jahrzehnten Produktionsstätten im Land - für die Studie wurde von Januar 2011 bis Juni 2012 das Arzneimittelangebot, die Preispolitik und das Marketing der drei Unternehmen überprüft. Das Fazit fällt trotz einiger positiver Aspekte insgesamt schlecht aus: Zu hohe Preise würden den Zugang zu wichtigen Medikamenten verhindern; zudem kritisieren die Autoren unseriöse Werbung und risikoreiche Wirkstoffe.
"Auf Kosten der Armen" - so lautet denn auch der Titel der Brasilien-Studie. 2010 hatte die Pharma-Kampagne schon in Indien ein Forschungsprojekt zu denselben Firmen durchgeführt; im nächsten Jahr soll dann die Situation in Südafrika im Fokus stehen.
Wirkstoff mit Nebenwirkung
Die Studienautoren beurteilen das Arzneimittelangebot des deutschen Unternehmens Boehringer Ingelheim als "das schlechteste" der drei untersuchten Firmen. Vor allem das Schmerzmittel "Buscopan Composto" wird scharf kritisiert. Es enthält nämlich den Wirkstoff Metamizol, der wegen möglicher Nebenwirkungen umstritten ist: Er kann die sogenannte "Agranulozytose" bewirken - eine starke Abnahme der weißen Blutkörperchen, die für die Krankheitsabwehr wichtig sind. Genaue Zahlen zu diesem Risiko liefert die Studie jedoch nicht, es heißt hier lediglich: "Wahrscheinlich erleidet einer von 1000 bis 3000 Patienten, die Metamizol einnehmen, eine Agranulozytose."
In den USA, in Großbritannien, Australien und Schweden ist der Wirkstoff verboten. In Deutschland wurden 1987 alle Kombinationspräparate mit Metamizol vom Markt genommen, drei Jahre später wurde ihnen die Zulassung entzogen. Als Einzelwirkstoff kann Metamizol dagegen nach wie vor eingesetzt werden - laut Empfehlung der deutschen Arzneimittelkommission jedoch nur bei bestimmten klar definierten Anwendungssituationen.
In Brasilien hingegen ist "Buscopan Composto" nach wie vor rezeptfrei erhältlich; in Form von Tabletten oder Tropfen. Das Schmerzmittel steht sogar auf der Liste empfohlener Medikamente der Nationalen Behörde für Gesundheitsüberwachung (ANVISA); zu den Aufgaben der Behörde gehören die Zulassung von Arzneimitteln sowie deren Kontrolle.
Rogério Hoefler von der brasilianischen Apothekerkammer, dem Kooperationspartner der Studie, erklärt dazu im Interview mit der DW: "Die ANVISA gibt es erst seit etwas mehr als zehn Jahren - sie steckt noch in den Kinderschuhen."
Unethische Vermarktung?
Die Vermarktung des Mittels hält Hoefler für ethisch fragwürdig, er sieht darin ein Ausnutzen der Schwäche des Gesundheitssystems: "Obwohl die Firmen wissen, dass bestimmte Mittel nicht für den Markt geeignet sind, verkaufen sie diese, solange die Landesregierung es erlaubt."
Dass Boehringer Ingelheim das Medikament mit Metamizol noch immer vertreibt, schreibt die Pharma-Kampagne also wirtschaftlichen Interessen zu: "Buscopan Composto" stehe auf der Rangliste der meistverkauften Medikamente Brasiliens an neunter Stelle, das Unternehmen habe im letzten Jahr damit elf Prozent seines Umsatzes in Brasilien erzielt.
Solche Vorwürfe weist Michael Kagerbauer, Pressesprecher von Boehringer Ingelheim, auf Anfrage der DW zurück: "Darüber, ob ein Medikament in einem Land zugelassen wird, entscheidet allein die zuständige nationale Behörde." Er fügt hinzu: "Boehringer Ingelheim vertreibt nur Medikamente mit einer positiven Nutzen-Risiko-Bewertung, bei denen also der Nutzen das mögliche Gesundheitsrisiko überwiegt." Das Mittel sei in mehr als 20 Ländern, wie Belgien, Spanien und Argentinien zugelassen.
Die BUKO-Pharma-Kampagne steht seit Jahren wegen "Buscopan Composto" im kritischen Dialog mit Boehringer - das Mittel sei gefährlich und solle überall vom Markt genommen werden. Aber das Unternehmen sieht für einen solchen Schritt keinen Grund: "Von dem Sicherheits- und Wirksamkeitsprofil der Buscopan-Produktfamilie sind wir überzeugt", so Pressesprecher Kagerbauer.
Teure Gesundheit
1990 begann der Aufbau eines brasilianischen Gesundheitssystems, das allen Bürgern den Zugang zu kostenloser medizinischer Grundversorgung gewähren soll. In den staatlichen Apotheken sollen wichtige Medikamente günstiger oder sogar kostenlos erhältlich sein - so die Theorie. Doch laut Pharma-Studie sind im Schnitt 40 Prozent der eigentlich kostenlosen Arzneimittel in den "Farmacias Popular" gar nicht erhältlich - sie müssten also in privaten Apotheken beschafft und teuer bezahlt werden. Auch in den staatlichen Krankenhäusern mangelt es an Personal und guter Ausstattung - private Kliniken sind die bessere, aber kostspielige Alternative. Eine private Krankenversicherung, zusätzlich zur öffentlichen Versorgung, können sich jedoch nur wohlhabendere Brasilianer leisten.
Hohe Medikamentenpreise sind also ein weiterer zentraler Kritikpunkt der Untersuchung: Das Sortiment der Firma Baxter etwa sei zu einem Viertel im hochpreisigen Sektor angesiedelt. Von Bayer HealthCare mit Sitz in Leverkusen wird "Nexavar" hergestellt, ein sehr wichtiges Mittel gegen Leberkrebs. Das Medikament koste in Brasilien pro Packung mit 60 Tabletten rund 2.940 Euro - das sei selbst für die Mittelklasse unerschwinglich. Bayer würde den Preis mit hohen Forschungskosten rechtfertigen, doch der Wirkstoff Sorafenib, der in "Nexavar" enthalten ist, sei von einem kleineren Unternehmen als Auftragsforschung entwickelt worden, schreiben die Autoren der Studie.
Kontroverse Positionen
"Die in der Studie publizierten Aussagen und Zahlen sind falsch", antwortet Bayers Pressesprecherin Kerstin Crusius der DW. "'Nexavar' entstammt einer Forschungskooperation, in der wir gemeinsam mit unserem Partner nach neuen Wirkstoffen für die Krebstherapie geforscht und diese auch entwickelt haben." Sie betont: "Die Entwicklung eines neuen Medikaments ist ein langer, komplexer und risikobehafteter Prozess, der mehr als eine Milliarde Euro kostet."
An Bayers Vitaminpräparat "Supradyn Pré Natal" hat die "Pharma-Kampagne" gleich zwei Dinge auszusetzen - zum einen beinhalte es 25 verschiedene Wirkstoffe. Dies sei problematisch, da die Wechselwirkungen der einzelnen Bestandteile vom Körper nicht vorhersehbar seien. Und genauso bedenklich ist für die Autoren die zugehörige Werbung: In einem Fernsehspot nehmen Mutter und Sohn zum Fast-Food eine Vitamintablette ein.
Pressesprecherin Crusius betont hingegen, Bayer habe sich beim Marketing internationalen Standards verpflichtet: "Alle Marketingaktivitäten erfolgen weltweit in strikter Übereinstimmung mit nationalen Normen und Gesetzen." Bayer Health Care übt vehement Kritik am Brasilien-Bericht der BUKO Pharma-Kampagne: "Die veröffentlichte Studie beschreibt nur lückenhaft unsere Aktivitäten und vernachlässigt andere, von uns vorab zur Verfügung gestellte Informationen wie beispielsweise unser Engagement auf dem Gebiet der Chagas-Krankheit. Zudem enthält sie faktische Fehler."