Levermann: "Gerechtigkeit braucht Klimaschutz"
19. Juni 2018Deutsche Welle: Herr Levermann, rund 30 Minister aus der ganzen Welt treffen sich in Berlin, um über den Klimaschutz zu sprechen. Der Petersberger Klimadialog versteht sich als Impulsgeber für die nächste Klimakonferenz. Dieses Jahr liegt der Schwerpunkt beim Petersberger Klimadialog auf Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit. Ist das ein richtiger Ansatz?
Anders Levermann: Soziale Gerechtigkeit ist in Deutschland und weltweit entscheidend. Aber ohne Klimaschutz gibt es auch keine soziale Gerechtigkeit. Die Armen leiden immer am meisten, bei einer Überflutung an der Elbe und bei einer Überschwemmung in Bangladesch.
Deswegen ist es so entscheidend, dass man den Kohleausstieg nicht noch weiter verzögert. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit darf nicht als Entschuldigung für eine Verlangsamung dienen. Das muss man anders lösen. Wir müssen uns um beides kümmern und früh anfangen. Sonst bekommt man das kaum mehr hin.
Wo steht denn die Welt? Wird sie es schaffen, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten, möglichst auf unter 1,5 Grad?
Der Pariser Klimagipfel war ein großer Schritt nach vorne. Es war der Durchbruch nach über 20 Jahren Verhandlungen. Aber seit dem Pariser Klimagipfel ist nicht genug passiert, um die Klimaziele einzuhalten. Das muss man ganz klar sagen.
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Was muss passieren?
Es geht um die Einhaltung der langfristigen Klimaziele und die Einleitung des Strukturwandels. Das fällt vielen Ländern schwer, insbesondere Deutschland.
Man braucht einen klaren Blick darauf, dass bis zur Mitte dieses Jahrhunderts die CO2-Emissionen auf Null kommen müssen, wenn die von den Regierungen beschlossene Grenze der globalen Erwärmung eingehalten werden soll.
Das ist eine große Herausforderung, und man hat nicht mehr viel Zeit: Man muss raus aus der Kohle, aus der Verstromung von Kohle, Gas und Öl, und der Transportsektor muss CO2-neutral werden.
Es gilt, jetzt den Strukturwandel einzuleiten. Abwarten macht Klimapolitik teurer, und zugleich wachsen Risiken wie Wetterextreme und Meeresspiegelanstieg.
Warum fällt es der Politik so schwer, diesen Strukturwandel einzuleiten?
Weil dafür etwas Grundsätzliches passieren muss. Ohne raschen Ausstieg aus der Kohle kann man nicht Klimakanzlerin bleiben. Der Kohleausstieg ist der große Punkt für Deutschland, aber auch weltweit.
Diese Transformation muss man früh und schnell angehen, und zwar so, dass die Leute weiter Arbeit finden. Also sozial und gerecht.
Nach Paris ist wenig passiert. Jetzt soll sich in Deutschland aber eine Kohlekommission um den Kohleausstieg kümmern. Ein Anfang?
Na ja… Es sind zwei Jahre seit Paris vergangen, und seit 20 Jahren wissen wir, dass es den Klimawandel gibt. Auch Frau Merkel weiß das, zuerst als Umweltministerin und dann als Kanzlerin. Aber in dieser Großen Koalition haben wir tatsächlich extrem starke Kräfte, die sich gegen einen raschen Kohleausstieg wehren.
Diese Entwicklung passt nicht zum Zwei-Grad-Ziel und zu Deutschlands Selbstverpflichtung. Das heißt: Deutschland reißt die selbstgesteckten Ziele, und diese Ziele waren nicht mal ausreichend, um das Zwei-Grad-Ziel von Paris einzuhalten. Da gibt es wirklich noch viel zu tun. Wenn Deutschland vor 20 Jahren angefangen hätte, dann wäre dieser Prozess auch wesentlich schmerzfreier.
Deutschland war mal Vorreiter beim Klimaschutz, ist aber im internationalen Ranking deutlich abgesackt. Warum sind die Widerstände so groß gegen den Umbau?
Wir haben einen großen Zuwachs an Arbeitsplätzen bei den Erneuerbaren Energien. Aber die Widerstände in der fossilen Wirtschaft, bei Öl, Gas und Kohle sind natürlich enorm. Und da muss die Politik den Weg vorgeben. Den Weg, den sie in Paris beschlossen hat und den viele Menschen auch richtig finden.
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Welche Rolle spielen die Kosten bei dem Umbau?
Viele Menschen denken, dass Klimaschutz gegen ökonomisches Wachstum steht. Das ist aber schon lange nicht mehr der Fall. Es werden Leute viel Geld verdienen, und es werden viele Arbeitsplätze damit geschaffen. Dafür muss man sich aber gegen die existierenden Lobbys stellen, gegen existierende Wirtschaftsinteressen, und neue Wirtschaftssektoren unterstützen. Was gern vergessen wird: Nichtstun könnte für alle teuer sein, weil dann die Klimaschäden wachsen.
Bisher ist also die Politik an den Widerständen der fossilen Industrie und deren Lobby gescheitert. Sehen Sie hier Veränderungen?
Es gibt weltweit Veränderungen. Wir spüren einen enormen Druck aus China. China hat Ende letzten Jahres gesagt, dass sie in der nahen Zukunft den Verbrennungsmotor verbieten werden, und da ging auch ein Ruck durch die deutsche Automobilindustrie. Wenn dieser Markt in China wegfällt, dann passiert tatsächlich etwas Großes.
Ähnliches sehen wir den Sektor der Erneuerbaren Energien in China. Wir spüren hier einen Sog aus China, weil China erkannt hat, dass der Klimawandel ein Problem für die Stabilität des Landes ist.
So wie China drängen jetzt immer mehr Nationen und auch Firmen auf diesen Markt, um dort Geld zu verdienen. Und wenn sich Europa und insbesondere die USA ihre Markt-Vormachtstellung von China ablaufen lassen, dann ist das sehr schlecht für die Arbeitsplätze in Deutschland, in Europa und in den Vereinigten Staaten.
Stellen Sie sich vor: Die US-Wirtschaft wird durch die Trump-Regierung aktiv behindert, auf den erneuerbaren Sektor zu gehen. Umgekehrt fördert China aktiv die Erneuerbaren. Das ist natürlich ein Riesen-Vorteil, weil die Zukunft ganz klar bei den Erneuerbaren ist.
Professor Anders Levermann ist Klimawissenschaftler am Potsdam-Institut Klimafolgenforschung (PIK), Koautor beim vierten Sachstandsbericht des UN-Weltklimarats und berät Vertreter aus Politik und Wirtschaft zu Fragen des Klimawandels.
Das Interview führte Gero Rueter.