Ob Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), sich selbst leid tut? Da muss er sich gemeinsam mit Chinas Staatschef Xi Jinping lächelnd den Fotografen stellen und von dem Machthaber ehren und preisen lassen. Xi Jinping trägt die Verantwortung für schwere Menschenrechtsverletzungen, für die Verfolgung, Internierung und Folter Hunderttausender Uiguren, dafür, dass in Hongkong die Demokratie abgewürgt wird und dafür, dass sein eigenes Staatsvolk die Wahrheit nicht erfährt, weil es weder Pressefreiheit noch freien Zugang zum Internet gibt.
Aber Thomas Bach kann da gar nichts machen: Gebetsmühlenartig weist er darauf hin, dass das IOC politisch neutral sei. Für die Bewertung der Menschenrechtssituation außerhalb der Olympischen Spiele habe das IOC kein Mandat. Ob ihm diese Argumentation hilft, wenn er abends in seinem Zimmer im Pekinger Luxushotel in den Spiegel schauen muss?
Xi Jinping zeigt dagegen wenig Zurückhaltung, wenn es um die Verknüpfung von Sport und Politik geht. Olympische Spiele sind die Gelegenheit für eine Propagandashow. Olympia ist das praktisch letzte Mittel an "Soft Power", das ihm angesichts weltweit wachsender Kritik noch bleibt. Also wurde ohne Rücksicht auf Kosten und Natur eine Wintersportregion aus dem Boden gestampft, die es vorher nicht gab und nach den Spielen auch nicht mehr geben wird. China ist eben keine Wintersportnation.
Millionen neuer Kunden?
Jedenfalls noch nicht. 300 Millionen neue Wintersportler hat Peking bei seiner Bewerbung für die Winterspiele versprochen, ein Riesenmarkt. Mitte Januar verkündete Xi Jinping stolz, den Plan sogar übererfüllt zu haben: 349 Millionen neue chinesische Wintersportler gebe es jetzt. Falls das stimmen sollte - überprüfen lässt sich auch dieser angebliche Fakt in China nicht -, wäre das ein Segen für die weltweite Ski-Industrie, der es gar nicht gut geht: Sie leidet unter dem Klimawandel mit erkennbar weniger Schnee und darunter, dass Nachhaltigkeit für die Wintersportler des Westens eine wachsende Rolle spielt.
Doch wäre es zu kurz gesprungen, die Umsatzhoffnungen der Ski-Industrie als entscheidenden Grund für die Vergabe der Winterspiele an Peking zu nennen. Und auch die Einkünfte aus den Wettkämpfen für das IOC in Höhe von rund 1,5 Milliarden US-Dollar waren nicht entscheidend. TV- und Sponsorengelder hätte es auch an jedem Ort in einem Land gegeben, in dem die Menschenrechte beachtet werden und Demokratie herrscht.
Das Problem: Ein Ort aus solch einem Land hat sich nicht beworben. Von neun ursprünglich geplanten Bewerbungen für dieses Jahr wurden sieben wieder zurückgezogen - alle sieben in Wintersportregionen in demokratischen Ländern. Bürgerinnen und Bürger durften dort mitreden. Und da die Kosten der Spiele im Unterschied zu den Erlösen vergesellschaftet werden, die Rechnung also von den Steuerzahlenden beglichen werden muss, war das den meisten zu teuer. Übrig blieben zwei Städte in Autokratien - Almaty in Kasachstan und eben Peking.
Drängende Fragen
Wir müssen uns also verschiedene Fragen stellen, wenn die Kritik am Austragungsort Peking nicht nur wohlfeiles Geschwätz sein soll: Wollen wir - als Nationen, als Zuschauer, als Sportliebhaberinnen und als aktiv Teilnehmende - überhaupt noch Olympische Winterspiele? Glauben wir noch an die olympische Idee, an die Idee von den friedlichen Wettkämpfen unter Gleichen, ohne jede Diskriminierung? Geht es bei den Spielen vielleicht auch ein paar Nummern kleiner - mit der Nutzung bereits vorhandener Sportstätten und ohne die weitere Zerstörung der Natur? Können wir auf die Gigantomanie verzichten, die dem IOC so wichtig zu sein scheint? Müssen Einnahmen und Ausgaben neu verteilt werden? Braucht das IOC eine komplette Runderneuerung?
Wenn wir diese Fragen mit Ja beantworten, haben Mailand und Cortina d'Ampezzo eine Chance, es in vier Jahren besser zu machen. Und dann können wir jetzt die Leistungen der Sportlerinnen und Sportler bei den Wettkämpfen feiern und gleichzeitig die chinesische Regierung kritisieren. Und hier noch eine letzte Frage stellen:
Wo ist Peng Shuai?