Kandidaten bangen gemeinsam
22. Mai 2016"Also, heute abend gibt es von uns kein Ergebnis mehr", sagte der Moderator des österreichischen Rundfunks (ORF) am Sonntagabend etwas ratlos in die Kamera in der Wiener Hofburg. Er zuckte mit den Schultern und verwies auf die ausgezählten Stimmen aus den Wahllokalen. Jeder der beiden Kandidaten hat rund 2,2 Millionen Stimmen auf sich vereinigt.
Plötzlich wird gekuschelt
"Das ist der spannenste Wahlabend, den ich je erlebt habe", sagte Norbert Hofer als er mit einiger Verspätung das Fernsehstudio des ORF in der Wiener Hofburg, dem Sitz des Bundespräsidenten erreichte. 40 oder 50 Kamerateams bedrängten Hofer und seinen Mitbewerber Alexander Van der Bellen auf ihrem Weg durch das Pressezentrum. Auch viele der in- und ausländischen Korrespondenten waren von der Hängepartie überrascht. Das Interesse an den sonst eher langweiligen Bundespräsidenten-Wahlen war noch nie so groß wie in diesem Jahr, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums. "Eigentlich wollte ich heute ja ruhig schlafen", scherzte Hofer.
Im Studio traf er dann Alexander Van der Bellen, der sich den Verlauf des Abends auch anders vorgestellt hatte. Er gab sich nach einem harten Wahlkampf mit sehr persönlichen Angriffen plötzlich versöhnlich. "Ich möchte zu allererst Nobert Hofer Respekt zollen und natürlich den Wählern danken", säuselte Van der Bellen ins Mikrofon. Der grüne Kandidat und der rechtspopulistische Kandidat gaben sich artig die Hand. Vom Wahlkampfmodus wurde auf Versöhnung umgeschaltet. "Letztendlich müssen wir alle zusammen für Österreich arbeiten", sagte Norbert Hofer und setzte sein schönstes Lächeln auf, das er zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Völlig harmonisch ergänzte Alexander Van der Bellen, er stehe zwar zu seiner politischen Linie, aber er würde "ein Präsident für alle Österreicher" sein. Egal wie das Rennen ausgeht, beide Herren, die sich in den vergangenen vier Wochen Dauerwahlkampf nichts geschenkt haben, wollen nun zusammenarbeiten.
Hofer will kein Rechtspopulist sein
Die ausländischen Korrespondenten interessierte vor allem die Tatsache, dass mit dem FPÖ-Politiker Hofer ein Rechtspopulist auf einen Präsidenten-Sessel gewählt werden könnte. Das Etikett "Rechtspopulist" wischte Norbert Hofer, der immerhin stellvertretender Parteichef der FPÖ ist, beiseite. "Das ist völlig absurd. Ich bin Mitte-Rechts." Vergessen seine ausländerfeindlichen und EU-skeptischen Aussagen. Wenn er am Montag Bundespräsident werden sollte, würde man in den ersten Tagen seiner Amtführung sehen, dass "das nicht den Tatsachen entspricht." Keine Rede mehr davon, dass er notfalls auch die Bundesregierung und das Parlament auflösen würde, wenn deren Politik seinen Vorstellungen nicht entspricht. Das hatte Hofer zumindest im Wahlkampf noch angekündigt. Der 45 Jahre alte Politiker, der jüngste Bewerber um das Präsidentenamt in der Geschichte Österreichs, will das Amt des Staatsoberhaupt neu ausfüllen und eine Art demokratischer "Aufseher für Österreich" sein. Das alte politische System, wo die Große Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen den Ton angab, ist nach Meinung der Hofer-Anhänger überholt.
Versöhnen statt spalten?
Der andere mögliche Bundespräsident, der ehemalige grüne Parteichef Alexander Van der Bellen (72), sieht keine Spaltung der österreichischen Gesellschaft, auch wenn 50 Prozent offenbar rechten Protest gewählt haben. "Das ist ja nur ein Teil, der kleinere Teil der Wähler. Die Menschen sind zornig und das haben sie gezeigt", so Van der Bellen. Mit der neuen Bundesregierung aus Sozialdemokraten und Konservativen, die gerade fünf Tage im Amt ist, wolle er das Land erneuern. An seiner pro-europäischen Linie werde er festhalten. Ihn werde man im Gegensatz zu seinem Mitbewerber in Europa freundlich empfangen.
Der ehemalige EU-Kommissar und konservative Politiker Franz Fischler teilt die Auffassung Van der Bellens. "Ich würde nicht sagen, dass es ein Riss ist, wo sich zwei Seiten unversöhnlich gegenüberstehen, aber der Trend in diese Richtung ist vorhanden." Im Gespräch mit der Deutschen Welle sagte Fischler in der Hofburg, die Wahl habe gezeigt, dass in Österreich die politische Mitte weggebrochen sei. Die regierungstragenden Parteien SPÖ und ÖVP müssten nun daran gehen, "diesen Graben wieder einzuebnen."
Nicht zu ausgiebig feiern
Die Nacht bis zur endgültigen Entscheidung der 50:50 Zitterpartie wollten die Kandidaten unterschiedlich verbringen. Norbert Hofer kündigte an, mit Rücksicht auf seine 13-jährige Tochter früh ins Bett zu gehen. Alexander Van der Bellen wollte "schon ein bisschen feiern" mit seinen Mitarbeitern. "Aber natürlich nicht bis in die frühen Morgenstunden, denn Montag wird wieder ein langer Tag für uns." Das Wahldrama, letzter Akt, steht an.